ACT III: CHAPTER TWENTY-EIGHT

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LOUIS / GEGENWART

Alex lebte allein in einem Stadthaus in Knightsbridge. Das Anwesen war seit Generationen im Besitz seiner Familie. Ich konnte das Gewicht der Geschichte spüren, als er die Flügeltüren aufschwang. Allein die Eingangshalle enthielt mehr Kunst und antike Einrichtungsgegenstände als ein Museum. Ich zog meine Jacke aus und achtete darauf, die Vasen aus der Ming-Dynastie nicht umzustoßen.

Ein verzierter türkischer Teppich führte in den Salon. Es war alles, was ich erwartet hatte und mehr. Ein perlenbesetzter Kronleuchter funkelte in der Mitte des Raums wie eine Supernova. Die getäfelten Wände, das Sofa und die Seidenkissen waren alle elfenbeinfarben mit Bronzepaspeln. Die edwardianischen Schränke und Beistelltische waren aus reich lackierter Eiche, und die Vorhänge mit Quasten waren schwer, samtig und königsblau. Es gab keinen Zentimeter des Ortes, der nicht vor Luxus triefte.

Alex glitt zum Spirituosenschrank hinüber. „Cognac?"

Ich hätte an diesem Abend nichts mehr trinken sollen, aber ich sagte ja.

Auf jeder Oberfläche befanden sich Statuetten und gerahmte Fotos von Tänzern. Sie sahen aus wie Grabsteine, winzige Friedhöfe der Erinnerungen. Ich dachte ich hätte ein Foto von Harry gesehen, aber es war Hans. Er trug schwarze Strumpfhosen und einen weißen Bodysuit und stand mit seiner kleinen Hand auf der Stange an fünfter Position. Es wurde nicht in der RBS aufgenommen. Es muss ein Studio in Paris gewesen sein, wo Alex ihn privat ausgebildet hatte. Ich sah mich um und stellte fest, dass es Dutzende von Fotos von Hans gab: im Studio, im Kostüm, auf der Bühne, hinter der Bühne. Es gab auch persönliche Fotos von Alex und Hans an einem Strand in Südfrankreich, in seinem Haus in Paris, wie sie sich bei einer Gala umarmten .

Ich hatte vergessen, wie nah sie sich waren. Armer Alex. „Dein Verlust tut mir so leid", sagte ich und umarmte ihn. Ich fühlte mich schuldig. Hier beschwerte ich mich die ganze Nacht über meine Trennung von Harry, als Alex immer noch um seinen liebsten Schüler trauerte.

„Es war ein Schock." Er saß auf dem Sofa und hielt den Cognac mit beiden Händen. „Hängend. Was für eine schreckliche Art zu sterben. Die Schnur hat ihm nicht das Genick gebrochen, weißt du. Er erwürgte sich zu Tode. Ich denke darüber nach, wie lange es gedauert haben muss. Es hält mich nachts wach."

Das war fast genau das, was Harry über den Selbstmord von Hans sagte. Keiner schien sich zu fragen, warum er das tat. Ich fragte mich.

„Du hast so viel für ihn getan als er noch bei uns war."
„Ja, und im Tod. Seine Eltern baten mich, bei seiner Beerdigung die Trauerrede zu halten." Müde schlug Alex ein Bein über das andere.

Ich wanderte weiter durch seine Erinnerungen. Es gab mehrere Fotos von seiner Frau Irina und Boris Polzin, mit dem er im Pariser Opernballett tanzte. Es gab auch mehrere Schüler. Er hatte vor Hans einen Jungen an der RBS und vier weitere Jungen an der École de Danse de l'Opéra betreut. Gigi hatte Recht. Er bevorzugte Jungen. Aber das war nicht ungewöhnlich, oder? Alex war ein männlicher Tänzer, er fühlte sich wahrscheinlich mehr mit den Jungs verbunden, weil er sich in ihnen sah. Was ich ungewöhnlich fand war, dass es keine Fotos von Harry gab.

Er wusste, wonach ich suchte. Alex ging zum Bücherregal und nahm einen kleinen silbernen Rahmen herunter.
„Hier ist der kleine Teufel. Ich hätte mehr genommen, aber Harry hasste es fotografiert zu werden. Er würde dafür nicht einmal lächeln. Ich habe es während unserer Reise nach Paris aufgenommen."
Der Harry, an den ich mich erinnerte hatte auf Fotos immer ein riesiges Froschgrinsen.

Als ich den silbernen Rahmen in meinen Händen hielt, weiteten sich meine Augen. Er war ein Baby! Cremiger Teint, Pausbacken, pinke Schmolllippen und ein störrisches Kinn, unter einer Masse wilder Locken. Es schien unmöglich, dass er jemals so jung war. Ich konnte nicht aufhören es anzustarren.

Flightless Bird // translation // l.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt