1984; irgendwo tief in ihren Herzen, hatten Oliver und Elio, ein neues Kapitel ihrer Liebesgeschichte begonnen.
Elio lag in Olivers Arm. Er hatte die Augen geschlossen und genoss die warme Sonne auf seinem Gesicht, die durch das Fenster hineinfiel und das Gefühl, welches Olivers Fingerkuppen auf seinem linken Oberarm hinterließen. Er dachte daran, dass es bei ihm nicht wie bei Miguel de Cervantes Don Quijote war. Liebe und Verlangen waren nicht zwei unterschiedliche Dinge. Nicht in Bezug auf Oliver, da waren sie eins.
„Elio", begann Oliver und riss ihn aus seinen Gedanken. Elio öffnete die Augen und sah Oliver an.
„Wir haben nicht geredet", sagte dieser.Elio wandte das Gesicht ab und betrachtete den Kunstdruck Die Schule von Athen, der über der Kommode mit seinen Sachen hing.
Elio wollte nicht reden, nicht dieses Mal.
Reden würde alles kaputt machen.
Denn war es nicht so, dass Oliver nur bei ihm war, weil Rebekka es nicht war? Wenn Oliver dies nun ausspräche, dann läge es wie ein Schatten über ihrer noch verbleibenden Zeit. Aber sprächen sie nicht, könnte Elio den letzten Funken Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft, tief in seinem Inneren bewahren.
Ihnen blieben noch zwei Tage, bis Rebekka zurückkehren und Oliver ihn wahrscheinlich wieder fallenlassen würde.
Genau genommen 38 Stunden, oder 2.280 Minuten.
Elio hatte die ihnen verbleibende Zeit eigentlich nicht zählen wollen, da die Zeit um die Rechnung aufzustellen schon vergeudete Zeit war, aber er konnte nicht aus seiner Haut.
Er wollte nicht reden. Er wollte einfach hier mit Oliver im Bett liegen bleiben, Liebe machen und das Zimmer nie wieder verlassen.„Ich will nicht reden", sagte Elio nach einer Weile.
„Du weißt aber, dass wir irgendwann schon reden müssen?"
Oliver drehte Elios Gesicht wieder dem seinigen zu.
„Aber nicht jetzt."
„Gut, dann lass uns aufstehen."
Oliver stieg über Elio aus dem Bett und streckte diesem seine Hand entgegen.
„Lass mich raten, das willst du auch nicht?!"
Elio der ein Auge zugekniffen hatte, von der Sonne geblendet, grinste und schüttelte den Kopf.
„Ich habe leider nicht so eine Ausdauer wie du. Also komm!", scherzte Oliver, packte Elio am Arm und zog ihn aus dem Bett. Widerwillig stand Elio auf und zog sich an.Oliver wies Elio an das Brot zu schneiden, während er sich daran machte den Tisch zu decken. Er hätte Elio keine unpassendere Aufgabe zuteilwerden lassen, denn schon bei der ersten Scheibe, schnitt sich Elio in den Finger.
„Merda", fluchte er und zog die Hand zurück. Oliver schüttelte den Kopf, schnappte sich Elios Hand, begutachtete die Wunde und nahm sie dann zwischen seine Lippen, um die Blutung zu stoppen.
„Wie kann man nur so talentiert mit seinen Händen und so unfähig in der Küche sein?", fragte Oliver kopfschüttelnd.
„So etwas hat Mafalda halt immer für mich gemacht", verteidigte sich Elio, während Oliver ein Pflaster holte und die Wunde damit verschloss.
„Komm, setz dich dahin und schau einfach nur gut aus", sagte Oliver in einem gespielt arroganten Ton.
Elio gab ihm einen freundschaftlichen Schlag in die Rippen und lachte.„Schön dich wieder lachen zu hören."
Oliver sah Elio glücklich an.
„Es tut mir so leid, dass ich dir weh getan habe."
„Du hast dich doch schon entschuldigt", tat Elio mit leicht rotem Kopf die Entschuldigung ab, während er auf die andere Seite der Kücheninsel trat. Oliver hingegen fuhr sich nervös durch die Haare.
„Ich meinte nicht den körperlichen Schmerz. Ich meine, als ich gesagt habe, dass ich nichts gefühlt habe. Ich wollte, dass du wieder aus meinem Leben verschwindest, damit ich mir nicht eingestehen musste was ich verloren hatte."
Oliver atmete schwer aus, schaute zu Boden, dann wieder zu Elio, bevor er weitersprach.
„Als ich letztes Jahr in die Staaten zurückgekehrt bin, galten meine Gedanken nur dir. Ich konnte an nichts anderes denken, mich auf nichts anderes konzentrieren, außer den leeren Platz in meinem Bett, an dem eigentlich du liegen solltest. Also blieb mir nichts anderes übrig, als zu vergessen. Ich wollte vergessen was ich empfunden habe, wollte vergessen wie ich dich zurückgelassen habe. Elio, wie konnte ich dich nur so zurücklassen?", sagte Oliver dessen Stimme fast erstarb und Elio konnte den Kummer in seinen Augen sehen. Den gleichen Kummer den auch er verspürte, wenn er an ihren Abschied dachte.
„Mitunter habe ich damals am Bahnhof, nachdem du weg warst ein wenig geweint."
Elio schaute hinauf zur Decke, damit die Tränen in seinen Augen, sich nicht den Weg nach draußen bahnten. Dann atmete er langsam aus, nur um seine Emotionen in sich zu behalten. Er wusste nun, dass auch Oliver bedauerte wie die Dinge gelaufen waren und so war es nicht nötig, es ihm durch einen Gefühlsausbruch noch schwerer zu machen.
„All die Erinnerungen an dich waren noch da, aber du warst fort. Der Schmerz würde vorbeigehen, haben sie gesagt. Aber das tat er nicht. Deshalb musste ich einfach herkommen."
Elio griff über die Küchentheke nach Olivers Hand.
„Mir war klar, dass ich eines Tages dafür bezahlen muss, für das was ich dir angetan habe."
„Mir angetan? Du bist das Beste was mir passieren konnte. Ich war nie so glücklich wie letzten Sommer. Also tut es dir leid, dass ich hergekommen bin?"
„Nein, nein so meinte ich das nicht. Ich bezahle dafür, weil ich jeden Tag damit kämpfen muss, das Richtige zu tun und nur das Falsche tun kann...Als deine Mutter anrief und deinen Besuch angekündigt hat, da habe ich deine Postkarte wieder hervorgeholt und mit ihr alle Erinnerungen an Italien."
„Und dann stand ich wie ein Trottel am Flughafen", sagte Elio lachend.
„Wie ein Trottel? Du weißt gar nicht wie umwerfend du dort warst und wie gerne ich dich in die Arme geschlossen hätte."
„Ich hatte den Eindruck, dass du mich am ersten Abend schon loswerden wolltest."
„Wie könnte ich?! Aber ich befand mich in so einem Gefühlschaos, weil jedes deiner Worte mich wieder näher zu dir gebracht haben und dabei war es ganz egal was du gesagt hast. Ich wusste warum du da warst, aber ich wollte es aus deinem Mund hören."
„Aber du hast gesagt, dass es besser ist nichts zu sagen", erwiderte Elio verwirrt.
„Ja, weil ich mir dann nichts mehr hätte vormachen können. An diesem Tag war ich stark genug, dich zurückzuweisen. An anderen Tagen nicht, wenn ich in deiner Nähe seien wollte, dich einfach berühren musste."
Oliver kam lächelnd auf Elio zu und küsste dessen Hals nahe dem Ohre.
„Weißt du noch an dem Vormittag mit der Kassette?"
Oliver ging um Elio herum und umarmte ihn von hinten.
„Erinnere mich nicht daran."
Elio befreite sich lachend aus seinem Griff.
„Ich war so schwach an diesem Tag und ich war bereit mich auf dich einzulassen, aber du..."
„Ich war sehr beschäftigt."
„Ja, das war kaum zu übersehen," sagte Oliver und lächelte bei dem Gedanken an Elio, wie er verkrampft am Schreibtisch gestanden hatte.
„Du warst so damit beschäftigt, alles vor mir zu verbergen, dass du nicht mitbekommen hast, dass ich bereit für einen Flirt war. Ja und vielleicht hätte ich dich auch gleich auf dem Schreibtisch genommen."
Oliver drückte Elio gegen die Küchentheke und gab ihm einen stürmischen Kuss, aus dem sich Elio schnell befreite.
„Moment... was? Nein, da war nur irgendein Geschwafel über dein Buch."
„Ich wollte von dir hören, dass du mehr auf den Autor dieses Buches stehst, als auf deine Komponisten."
„Das hätte mir also sehr viel Leid erspart."
Oliver wich einen Schritt zurück und fuhr sich über den Hinterkopf.
„Du verstehst das vielleicht nicht, aber ich habe mich so gehasst für meine Gedanken an diesem Vormittag, dass ich dich wegstoßen musste. Dir klar machen musste, dass da nie mehr was sein wird."
„Du hattest nur Angst."
Elio streichelte sanft über Olivers Unterarm.
„Als du das sagtest, erkannte ich wie gut du mich kennst. Dass du mich besser kennst, als jeder andere. Ja, vielleicht sogar besser, als ich mich selbst."
„Und warst du dann eifersüchtig, als ich ausgegangen bin?"
„Das ist schwer zu sagen. Ich hätte es dir gegönnt, auch wenn die Vorstellung, dass du mit jemand anderen zusammen bist schwer war. Ich war innerlich zerrissen, so wie ich es die ganze Zeit bin. Aber ich war wirklich froh, als du mir gesagt hast, dass nichts passiert ist."
„Und warum musstest du mich dann unbedingt outen?"
Oliver legte eine Hand an Elios Gesicht.
„Elio, es tut mir so leid. Ich war kurz davor ihr alles zu erzählen, weil ich dich nicht länger leiden sehen konnte."
„Was hast du ihr erzählt?"
Oliver zog seine Hand weg und lief nervös im Zimmer auf und ab, bevor er den Mut fand auf die Frage zu antworten.
„Ich habe ihr gesagt, dass du letztes Jahr ein Verhältnis zu einem Mann hattest und ihr tiefe Gefühle füreinander hattet ... und wahrscheinlich immer noch habt."
Er schaute Elio an, als würde er prüfen wollen, ob dieser dem Gesagten zustimmte, bevor er weitersprach.
„Um ein Haar hätte ich gesagt, dass ich dieser Mann war. Aber ich war zu feige."
Oliver blickte niedergeschlagen zu Boden.
Am liebsten hätte Elio gesagt: „Ich fühle so wie du", aber er merkte Olivers Zwiespalt und er fürchtete den Verlauf den das Gespräch genommen hatte.
„Und wie kam es zu dem Entschluss, mir in die Hose zu greifen?"
„Tja, hättest du lieber geredet?"
„Nein, wahrscheinlich eher nicht," sagte Elio und gab Oliver einen Kuss.
„Jetzt haben wir ja doch geredet."
„Ja, über das was hinter uns liegt. Aber über das was vor uns liegt, reden wir ein anderes Mal."
„Aber die Pläne für den Tag können wir schon noch machen, oder?"
„Ich fand es spontan auch ganz gut", erwiderte Elio und machte sich an den Knöpfen von Olivers Hemd zu schaffen. Oliver nahm Elios Hände in seine.
„Elio, du machst es mir wirklich sehr schwer. Wir könnten vielleicht nochmal in die Ausstellung und du zickst mich dieses Mal nicht an."
„Du willst das Haus verlassen? Aber dann können wir nicht... wir selbst sein", sagte Elio entgeistert.
„Ich kenne da einen Ort an dem wir ungestört sind."
„Ich hoffe nicht wieder eine Bahnhofstoilette."
Elio hatte es eigentlich lustig gemeint, doch der Blick in Olivers Augen verriet, dass es das nicht war. Umgehend fühlte sich Elio zurückversetzt, an jenen Tag des Vorjahres, Anfang August in Clusone.
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Zwischen immer und nie - Call me by your name
Fanfiction„Immer war unsere Zeit begrenzt. Dabei wollte ich doch ein ganzes Leben mit dir." Nachdem Elio und seine Eltern von Olivers Hochzeit erfahren haben, beschließt Elio sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und Oliver zurückzugewinnen. Er wird Ol...