Es ist Zeit, dass es Zeit wird

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1985; irgendwo in den Straßen einer Großstadt, überschritt ein mintfarbener Chevrolet Malibu die Höchstgeschwindigkeit um 10 km/h.

Umgehend nach dem Telefonat, hatten sie die Wohnung verlassen, um noch vor dem Konzert, der Gala von Olivers Vater einen Besuch abzustatten.

„Was ist das für eine Veranstaltung?"
Elio drehte die Musik des Autoradios leiser.
„Ach, so eine stocksteife Veranstaltung. Mein Vater richtet jährlich eine Spendengala für die American Heart Association aus."
„Oh, das hätte ich gar nicht gedacht."
„Wie meinst du das?", fragte Oliver während sie an einer roten Ampel hielten.
„Naja, du hast nie viel von deiner Familie erzählt, aber es kam nie so rüber als..."
Elio hielt inne und suchte nach den passenden Worten.
„...sei mein Vater ein guter Mensch?"
„So hätte ich das jetzt nicht gesagt."

Gewiss hätte er es diplomatischer ausgedrückt, aber eigentlich hatte es Oliver ganz gut getroffen, fand Elio.

„Meine Mutter wirst du mögen."
„Wie und deinen Vater jetzt nicht?"
„Mach dir gleich am besten selbst ein Bild von ihm. Aber was man ihm lassen muss; er steht für seine Ideal ein; nur dass seine nicht meine sind."
„Wird dein Bruder auch da sein?"
„Ich denke nicht, dass er sich die Chance entgehen lässt sich zu profilieren."
„Höre ich da Neid aus deiner Stimme?"
„Nein, ganz bestimmt nicht. Ich wollte nie in die Fußstapfen meines Vaters treten. Ich war schon immer das schwarze Schaf der Familie, weil ich mein eigenes Ding gemacht habe. Wir sind da."
Oliver fuhr in ein nahegelegenes Parkhaus.

„Bist du sicher, dass ich mitkommen soll?", fragte Elio verunsichert, als sie die Stufen zum Eingangsportal emporstiegen.
„Ohne dich stehe ich das nicht durch." Oliver wirkte angespannt, während sie mit den vielen anderen wichtig aussehenden Leuten den Saal betraten.
Oliver wurde umgehend von einem Mann Ende Sechzig angesprochen und Elio blieb lieber ein paar Schritte hinter ihm in Deckung. Er fragte sich, wie oft Oliver wohl schon auf Veranstaltung dieser Art gewesen war, denn er wirkte sehr seriös und entgegenkommend. Es war nicht so, dass Elio nicht geübt darin war Gespräche zu führen, aber hier ging es nicht um geistreiche Konversationen. Es ging nur darum, zu sehen und gesehen zu werden. Oliver begrüßte die Herren mit einem festen Händedruck und die Damen, die sie begleiteten, mit einem Kuss auf die Hand. Er war der Meister der Täuschung. Er war einer von ihnen. Nur, dass er nie wirklich dazu gehören würde. Oliver hätte wie er so dastand, in seinem schwarzen Anzug, den Lackschuhen, der übertriebenen charmanten Art, einem Roman von Jane Austen entsprungen seien können. Doch es wäre für Ihn wahrscheinlich noch schwieriger gewesen, zu dieser Zeit gelebt zu haben, dachte Elio.

Elio hatte sich ein Glas, des ihm angebotenen Champagners, von einem Tablett genommen und wollte es gerade an die Lippen führen, als Oliver es ihm aus der Hand nahm und sich selbst einen Schluck genehmigte.
„Das war mein Glas", sagte Elio mit gespielter Empörung.
„Elio", flüsterte Oliver und sah sich prüfend um. Als er sicher war, dass niemand sie hörte oder gar beobachtete, beugte er sich zu Elio herüber.
„Du bist unschuldige 19. Du darfst gar keinen Alkohol trinken. Wie verantwortungslos wäre es von mir das zuzulassen. Ach, das unschuldig nehme ich zurück."
Oliver grinste süffisant, aber es war das einzig echte Lächeln, welches er an diesem Abend jemanden geschenkt hatte. Oliver nahm einen zweiten Schluck und leerte damit das Glas.

Wie gerne Elio ihn in diesem Moment geküsst hätte, mit dem noch prickelnden Champagner in dessen Mund. Dann hätte er den Champagner, der aus Olivers Mund gelaufen wäre, langsam von dessen Hals geleckt. In Elios Schritt breitete sich eine angenehme wohlige Spannung aus, die er mit aller Macht, versuchte zu unterdrücken. Denn plötzlich war das Lächeln von Olivers Gesicht verschwunden und der Maske gewichen, die er schon beim Betreten des Saals aufgesetzt hatte.
„Mein Vater."

Zwischen immer und nie  - Call me by your name Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt