Ruf mich bei deinem Namen

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1985; irgendwo in seiner viel zu überteuerten Wohnung, lief Elio nervös auf und ab.

Es war ein Donnerstagnachmittag, Ende Februar und Oliver war spät dran. Elio fragte sich, in welcher Stimmung Oliver wohl bei ihm erscheinen würde.

„Tut mir leid Elio. Ich bin zu spät", entschuldigte sich Oliver, als er zur Tür hereinkam und Elio zärtlich einen Kuss gab.
„Und ich bin am Verhungern. Ich hoffe du hast was zum essen da."
Elio legte ein schiefes Grinsen auf und zog die Nase kraus.
Ziemlich schnell nach seinem Auszug, war Elio klar geworden, dass wohl nicht gerade er es gewesen war, der viel zur Hausarbeit beigetragen hatte, denn sein Kühlschrank war meistens leer und der Wäschekorb voll.
Oliver war schon auf dem Weg zum Kühlschrank.
„Den Weg kannst du dir sparen, aber ich hole dir eben was vom Bäcker."
Elio gab Oliver einen flüchtigen Kuss, bevor dieser protestieren konnte und eilte dann schon zur Tür hinaus.

Erst kürzlich hatte Elio Oliver von seiner Badehosentheorie, damals in Italien erzählt. Jene Theorie nach der seine Badehosenfarbe, von seiner Stimmung abhängig war. Oliver hatte nur den Kopf geschüttelt, über welche Dinge Elio sich den Kopf zerbrach. Die Grüne; das war seine Lieblingshose gewesen, hatte er Elio gesagt. Dabei hatte Elio so gehofft, dass es die Rote gewesen war.

Fakt war aber, dass Elio auch jetzt nie wusste, in welcher Gemütslage Oliver bei ihm erschien.
Es gab Tage, da stürmte er zur Tür hinein und sie schafften es nicht mal mehr ins Schlafzimmer, sondern liebten sich sofort auf der Couch.
An anderen Tagen hingegen, ließ Oliver sich auf eben diese fallen und sie redeten stundenlang, lasen sich gegenseitig aus Romanen oder Gedichtbänden vor, oder Elio spielte für Oliver am Klavier. Ab und an bat Oliver Elio, ihm seine Meinung zu seinem Buch zu sagen und Elio lauschte seinen Ausführungen nur zu gerne. Weil man dabei, so gut seine Augen entspannen kann, ließ er Oliver wissen.

Heute war ein typischer Donnerstag, fand Elio.
Die Dienstag und Donnerstag Nachmittage gehörten Elio, da Rebekka an diesen Tagen Langstreckenflüge hatte und erst spät nachhause zurückkehrte. An den Donnerstagen war Oliver meistens nicht so ausgehungert. Es hungerte ihn dann nicht so sehr nach sexueller Befriedigung. 
Nicht so wie dienstags, vor allen Dingen, wenn sie sich am Wochenende nicht gesehen hatten. Gelegentlich überraschte Oliver ihn auch mit einem spontanen Besuch, was dazu geführt hatte, dass Elio viele Nachmittage mit warten verbracht hatte, nur um sich dann abends in den Schlaf zu weinen, weil Oliver nicht erschienen war.

Daraufhin war Elio dem Literaturclub im College beigetreten und hatte die Bekanntschaft mit Etienne gemacht. Etienne war Franzose und im gleichen Semester wie Elio. Er war Elio nie aufgefallen, was nicht verwunderlich war, denn bisher hatte er kein Interesse an seinen Mitstudenten gezeigt.
„Du bist mir sofort aufgefallen. Kein Wunder, bei deinem Talent", hatte Etienne nach einem der ersten Treffen in einem bezaubernden englischen Dialekt gesagt. Elio mochte ihn. Er liebte es, sich mit ihm auf Französisch zu unterhalten, zu musizieren oder einfach nur ins Kino zu gehen. Auch wenn Etienne ebenfalls auf Männer stand und kein Geheimnis daraus machte, verband sie nur eine wundervolle Freundschaft.
So kam es, dass es ein Foto von ihnen war, welches als erstes den Weg an die Tür von Elios Kühlschrank fand.

Als Elio wieder zur Wohnungstür hereinkam, stand Oliver mit eben diesem Foto in der Hand vor dem Kühlschrank.
„Du hast jemanden kennengelernt", stellte Oliver fest, während Elio die Brötchentüte auf den Tisch legte.
„Ja! Das ist Etienne. Er ist Franzose. Ich weiß ja was du von Franzosen hältst, deshalb habe ich nichts erzählt", scherzte Elio, aber in Wirklichkeit hatte er es nicht erzählt, weil es unbedeutend war, für das was ihn und Oliver verband. 
„Ich habe mir schon so etwas gedacht."
„Wie meinst du das?"
„Ich war ein-, zweimal hier. Du aber nicht."
„Warum hast du mir nicht vorher Bescheid gesagt? Ich wäre hier gewesen."
Oliver winkte mit einer Handbewegung ab. Dann ging er zu seiner Aktentasche und kramte darin herum.
„Ich habe dir etwas mitgebracht", sagte er ernst, zog dann eine Schachtel Kondome aus der Tasche und weil es ihm merkwürdig vorkam sie Elio direkt in die Hand zu drücken, warf er sie einfach auf den Tisch. Sie rutschte ein Stück und kam in der Mitte des Tisches zum Erliegen. Elio, der auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches stand, reckte etwas den Kopf um zu gucken, ob er richtig gesehen hatte, worum es sich bei der Schachtel handelt. Keiner sagte auch nur ein Wort. Es herrschte die berühmte Ruhe vor dem Sturm.

Zwischen immer und nie  - Call me by your name Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt