Ein überschminktes blaues Auge prangert auf Amayas Gesicht. Eigentlich ist es ganz gut getarnt und für jemanden, der nichts ahnt, unauffällig. Doch für einen Typen, der in seiner Jugend ständig mit solchen Dingern herumgelaufen ist und die mit Hilfe seiner Schwester verstecken musste, ist es dann doch auffällig.
Freddy muss ihr gestern, nachdem ich weg bin, eine verpasst haben. Dieses dreckige Arschloch macht nicht einmal vor einer jungen Frau halt. Das Schlimmste ist, das es meine Schuld ist. Ich wusste ja, dass es idiotisch ist, ins La Désir zu gehen, weil es so oder so mit Stress geendet hätte, aber dass das auch Auswirkungen auf Amaya hat hätte ich nicht gedacht.
Das ist für mich eindeutig der Beweis. Freddy hat sie irgendwie in der Hand. Das muss der Grund sein, wieso sie lügt. Sie tut es nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Angst. Wahrscheinlich droht er ihr mit Gewalt oder so was Ähnlichem.
Ein schlechtes Gewissen macht sich in mir breit. Als ich letztens bei ihr aufgetaucht bin und sie so dermaßen beschuldigt habe, ob es ihr den egal sei und wie sie einfach so damit leben kann. Ich bin ein verdammter Idiot. Aber ihr muss doch bewusst sein, dass es nicht besser wird, wenn ich verurteilt werde und Freddy auf freiem Fuß ist.
Ich habe wirklich Sympathie ihr gegenüber entwickelt. Es ist außer Frage, dass ich weiterhin versuchen muss, sie dazu zu bringen, die Wahrheit zu sagen, aber das geht nur, wenn sie mir vertraut. Erst wenn sie weiß, dass sie mir vertrauen kann, wird sie vielleicht auspacken oder mir zumindest helfen. Das hoffe ich jedenfalls.
Ihr Blick ist beschämt auf den Boden gerichtet. Es stört mich, dass sie so eingeschüchtert ist. Es stört mich generell, dass sie hier ist. Zwischen diesem ganzen Scheiß. Hier gehört sie nicht her. Mich würde sehr interessieren, was bei ihr alles im Leben passiert ist. Wie es zu Aurelie kam und wieso sie im La Désir erst als Prostituierte und jetzt als Barkeeperin arbeitet.
Im Moment sitzt sie zusammen mit Freddy und seinen anderen Angestellten im Zeugenstand.
Der Richter betritt den Saal und eröffnet die Verhandlung. "Wir setzen heute die Verhandlung im Mordfall Rachel Castiel fort. Wir hören die Eltern des Angeklagten. Mrs. Castiel bitte in den Gerichtssaal" ruft er sie auf.
Die Frau, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe und welcher ich gegenüber Abscheu empfinde, betritt den Saal. Sie setzt sich ans Zeugenpult und stellt ihre Handtasche neben sich ab. Sie würdigt mich keines Blickes.
Der Vorsitzende klärt ihre Personalien und beginnt mit der Befragung.
"Sie sind die Mutter des Angeklagten. Ich würde gerne wissen, wie das Verhältnis zu ihm und Rachel ist beziehungsweise war." Fragt er.
Meine Mutter seufzt. "Sie müssen wissen, wir haben keinen Kontakt mehr. Schon seit Monaten. Die beiden hatten als Kinder ein gutes Verhältnis. Unsere Rachel wollte hier an der Universität Psychologie studieren. Das dachten wir jedenfalls. Als wir von Diego erfuhren, dass sie ermordet wurde, haben wir die Wahrheit erfahren. Dass sie seit zwei Jahren hinter unserem Rücken als Nutte mit fremden Männern schläft und sich verkauft" sie hält inne und wischt sich die Tränen weg. Heuchlerin.
"Hast du etwa vergessen, was ihr am Telefon gesagt hab, als ihr es erfahren habt?!" Frage ich rhetorisch. "Ihr habt gesagt 'Kein Wunder, das so etwas in solch einer Branche passiert! Unsere eigene Tochter eine Nutte!' Und dann habt ihr aufgelegt!" Sage ich.
"Haben Sie wirklich das gesagt, als sie erfahren haben, dass ihre Tochter ermordet wurde?" Fragt der Richter.
"Ja, weil es stimmt. Unsere Kinder haben dort nichts verloren. Kein Wunder, das unser Sohn plötzlich zum Mörder wird!" Weint sie und schnäuzt in ihr Taschentuch.
"Sie glauben also, dass der Angeklagte ihre Tochter ermordet hat?" Fragt sie Staatsanwältin.
Meine Mutter zuckt mit den Armen. "Wer erst einmal in solche Branchen eintaucht wird auch wie die Leute dort. Das sind doch alles Huren und Vergewaltiger, Mörder und Leute in Gangs. Ich habe meine Kinder so nicht erzogen und ich dulde so etwas nicht in meiner Familie."
Auch heute wird mal wieder kein Urteil gefällt. Doch, den Tag werde ich so schnell nicht vergessen. Mein Vater hat ungefähr das Gleiche gesagt wie meine Mutter. Die beiden sind doch das Letzte.
Allerdings sind meine Gedanken gerade noch ganz woanders. Ich bin nach der Verhandlung schnell nach Hause gefahren, doch fahre weiter zu Amaya. Ihr blaues Auge lässt mir keine Ruhe.
Vor ihrer Wohnungstür halte ich inne und klopfe. Mein Atmen geht flach und mir ist mulmig zumute.
Überrascht öffnet sie die Tür. Die Schminke ist aus ihrem Gesicht verschwunden und nun sieht man ihr blaues Auge deutlicher. Sie macht sich gar nicht erst die Mühe, es vor mir zu verstecken.
Aurelie kommt plötzlich angerannt und klammert sich an mein Bein. Zaghaft umarme ich das kleine Mädchen. Amaya bittet mich durch eine Geste ins Wohnzimmer. Es ist klein, aber schön und gemütlich. Aurelie setzt sich vor den Fernseher und guckt eine Sendung für Kinder.
"War das Freddy?" Frage ich relativ sicher und deute auf ihr Auge.
Sie fasst sich dort hin und wendet ihren Blick ab. Doch sie nickt zaghaft nach wenigen Sekunden.
"Du musst damit zur Polizei!" Sage ich.
Plötzlich guckt sie ganz panisch in mein Gesicht. Als hätte ich gesagt, sie soll ohne Fallschirm aus einem Flugzeug springen.
Sie holt ihr Handy hervor und tippt etwas ein.
'Es ist halb so wild' schreibt sie, doch es geht weiter 'Wenn du antworten willst, kann ich dir nicht helfen. Freddy ist gefährlich. Für jeden auch für dich. Du darfst nicht mehr in die Nähe des Bordells oder mir sonst tun dir die noch etwas an'.
"Amaya, das kommt gar nicht erst infrage. Ich lass mich ganz sicher nicht von so einem Arschloch in den Knast bringen. Du musst die Wahrheit sagen oder es hört nicht auf" sage ich eindringlich.
Sie hört mir stillschweigend zu. Einige Sekunden, die sich wie Minuten anfühlen, vergehen, ehe sie sich regt und wieder anfängt zu tippen.
'Ich muss Aurelie ins Bett bringen', schreibt sie und steht auf, schnappt sich das kleine Mädchen und verschwindet in ihrem Zimmer.
Ich warte so lange auf der Couch.
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La Désir
Novela Juvenil"Es sieht sehr schlecht für sie aus Mr. Castiel." Der Mann mittleren Alters guckt auf seine Akte, während seine Augen und seine gesamte Mimik nach schlechten Nachrichten aussehen. Aber was habe ich auch anderes erwartet. " -Die meisten Beweise deute...