7. Kein Wort

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Amayas Brust hebt sich gleichmäßig beim Schlafen. Ich sitze neben ihrem Bett und warte, das sie erwacht. Irgendwer sollte schließlich hier sein, wenn sie wach wird.

Meine Augen fallen mir selber immer mehr und mehr zu. Es ist mittlerweile fast 21 Uhr. Ich warte schon seit 2 Stunden.

Meine Aufmerksamkeit wird auf Amayas Krankenbett gelenkt, als diese sich erschöpft aufrichtet und die Augen öffnet. Es dauert einige Sekunden, bis sie diese wirklich geöffnet hat und zu realisieren scheint, wo sie ist. Sie guckt verwundert auf den Katheter in ihrem Arm und auf die Decke, die über ihr liegt.

"Amaya?" Sage ich vorsichtig, da sie mich noch nicht entdeckt hat.

Sie zuckt zusammen und sieht aus, als hätte sie einen Geist gesehen. Plötzlich wird sie hektisch und sucht das Zimmer nach etwas ab.

Die junge Frau versucht mir irgendwie zu symbolisieren, was sie sagen will, doch ich verstehe nichts. Als Kommunikationsmittel reiche ich ihr die geöffneten Notizen auf meinem Handy. Nervös tippt sie darauf herum, während ihre Augen anfangen zu tränen.

'Wo ist Aurelie?!' Steht dort.

"Eine Schwester hat sie zur Beschäftigung mit zu anderen Kindern genommen. Sie wird gleich hier sein. Keine Sorge" antworte ich.

Amaya weint auf einmal still vor sich hin. Das überfordert mich irgendwie sehr. Aurelie kommt mit der Schwester ins Zimmer und springt direkt auf das Bett, in dem ihre Mutter liegt. Diese schließt ihre Tochter sofort fest in die Arme und drückt sie. Ich fühle mich mehr als nur fehl am Platz.

So schnell es geht, verschwinde ich und steige in mein Auto, um nach Hause zu fahren. Amaya wird ihre Angelegenheiten schon regeln können.

Auf dem Weg nach Hause wird mir erst bewusst, dass sie eine ziemlich junge Mutter ist. Aurelie meinte, sie wäre 4 Jahre alt und Amaya ist 22. Also hat sie ihre Tochter mit gerade Mal 18 Jahren bekommen. Bestimmt nicht einfach so jung Mutter zu werden.

Ich muss mir die Gedanken um diese Frau aus dem Kopf schlagen. Abgesehen von der Wahrheit will ich schließlich nichts. Allerdings wie soll ich vergessen, dass sie wegen mir im Krankenhaus gelandet ist.

Als Rachel 15 war, hatte sie einen Freund. Der war damals schon 18 und ich konnte ihn sowieso nicht leiden. Dann habe ich mitbekommen, wie sie zu Hause in ihrem Zimmer saß und bitterlich geweint hat. Ich wollte wissen, was los war. Der Idiot hatte sie mit einer ihrer engsten Freundinnen betrogen und meine Schwester musste das durch irgendeine Freundin erfahren. Als ich dem Kerl dann mal begegnet war, habe ich ihn zur Rede gestellt. Er hat sich noch so spöttisch das Maul zerrissen, das ich ihm eine verpasst habe. Natürlich hat er sich gewährt und es hat damit geendet, dass er ins Krankenhaus musste. Ich auch allerdings ging es bei mir nur um eine aufgeplatzte Lippe und eine verstauchte Nase. Er hatte mehr als das.

Damals hatte ich kein schlechtes Gewissen, als der Idiot wegen mir im Krankenhaus gelandet ist. Bei Amaya war das heute was anderes. Ich habe sie zwar nur indirekt hierhergebracht, aber es war schlimmer. Ihre Tochter so traurig zu sehen. So verschreckt und ängstlich, als sie noch nicht wusste, dass es ihrer Mutter wieder gut gehen wird. Woher sollte Aurelie auch das Verständnis oder die Erkenntnis haben, dass es sich ich sage mal nur um einen Kreislaufzusammenbruch handelt und um nichts viel Schlimmeres. Wer weiß vielleicht dachte sie, ihre Mutter wacht nicht mehr auf.

Der Gedanke, dass ich schuld daran bin, dass dieses kleine Mädchen so eine Angst hatte und dass ihre Mutter wegen mir und meinem Gefühlsausbruch jetzt auf Station liegt, ist schlicht und weg Scheiße. Anders kann man es einfach nicht sagen.

Allerdings verdränge ich die Gedanken, als ich vor meiner Wohnung zum Stehen komme. Ich schließe mein Auto ab und meine Wohnungstür auf. Ben hat sich angemeldet, noch einmal vorbeizukommen.

Kurz nachdem ich rein bin, schließt er mit einem sixer Bier unter dem Arm die Tür auf und setzt sich in meine Küche. Er kommt so oft vorbei, dass ich ihm den Ersatzschlüssel gegeben habe.

Ich erzähle ihm das Neuste und was heute passiert ist. Wir sitzen bis um 23 Uhr in der Küche und trinken, bis Ben mich zum Basketballplatz hier in der Nähe schleift.

Egal welche Uhrzeit es ist, die Jungs sind immer da. Tyrese, John, Elton und Marco sind immer dort zu finden.

"Sie mal an, wer sich mal wieder hier her traut", lacht Tyrese und schlägt ein, als wir ankommen.

Er hat recht, wir waren lange nicht hier. Zwischen den ganzen Verfahren bleibt eben nicht viel Zeit für solche Vergnügungen. Aber die Jungs wissen davon nichts.

Wir teilen uns in zwei Teams auf und spielen etwas, bis es Zeit wird, nach Haus zu gehen.

Am nächsten Morgen bin ich genauso müde wie am Abend davor. Ich habe ständig vom Krankenhaus geträumt. Ein schlechtes Gewissen plagt mich, dass ich einfach abgehauen bin. Vielleicht sollte ich noch einmal hinfahren?

Die Verhandlung wird erst morgen weitergeführt, also hätte ich Zeit.

Nach dem Frühstück und einer Dusche schnappe ich mir die Autoschlüssel und fahre mit einem stop bei der Tankstelle direkt zum Krankenhaus. Am Empfang husche ich vorbei und laufe ins Zimmer, in welchem Amaya gestern lag. Ich will sie nicht wieder so anstrengen und belasten wie gestern, aber mein Vorhaben, die Wahrheit zu erfahren, habe ich nicht vergessen. Vielleicht bekomme ich heute etwas aus ihr heraus.

Zimmer 307 ist leer. Das Bett ist frisch gemacht und der Boden vom Wischen noch nass. Sie ist nicht da. Am Empfang bestätigt mir eine Schwester das Amaya, sich gestern Abend trotz der Empfehlung, die Nacht hierzubleiben auf eigene Gefahr selbst entlassen hat und mit Aurelie mach Hause ist.

Dann muss ich wohl zu ihr nach Hause. Einmal durch die ganze Stadt stehe ich vor ihrer Wohnungstür. Allerdings wird diese dieses Mal nicht von Aurelie, sondern von einer älteren Frau geöffnet.

"Ja bitte? Oh wer sind sie denn?" Sagt sie überrascht und scannt mich erst einmal.

La DésirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt