Die Hütte im Wald

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Dunkle Klauen, bestehend aus schwarzem Rauch greifen nach mir. Sie kommen von allen Seiten, schneiden mir den Weg ab. Ich kann nicht fliehen, nicht nach Hilfe schreien, aus Angst, der Rauch könnte in meinen Mund dringen. Voller Verzweiflung weiche ich den Klauen aus, die bei jedem Windhauch zerfallen und sich sofort wieder neu bilden. Ich könnte durch sie hindurchlaufen wie durch eine Nebelwand, doch mein Instinkt schreit, es nicht zu tun. Also weiche ich zurück. Weiter und weiter, bis die Klauen hinter mir näher sind als die vorne. Es gibt keinen Ausweg. Was auch immer das ist, wird mich verschlingen, mich mit Haut und Haaren in sich aufnehmen und nicht mehr freigeben. Ich spüre die Füchsin in mir toben und gebe ihr nach. Was macht es schon für einen Unterschied, in welcher Gestalt ich sterbe?

Die Füchsin sieht dem Tod kämpferischer ins Auge. Sie bleckt die Zähne, stößt ein Knurren aus. Und dann, mit einem Mal scheinen sich die Klauen vor mir zurückzuziehen. Sie lösen sich nicht auf, vergrößern aber ihren Abstand zu mir. Stück für Stück. Ich sehe mich um. Auf allen Seiten zieht der Rauch sich gleichmäßig zurück. Als wäre er von einem Sog erfasst worden. Aus Klauen werden Rauchschwaden. Sie ziehen durch den Wald. Gegen alle Vernunft folge ich den Rauchschwaden, darauf bedacht, ihnen nicht zu nahe zu kommen. Eine Weile laufe ich so durch den Wald. Wohin führt mich der Rauch?

Es dauert nicht lange, bis ich es herausfinde. Den Körper, der auf einer Lichtung am Boden liegt, erkenne ich sofort. „Finn!" Der Schrei verlässt nicht meinen Mund. Ich bin stumm. Finn liegt da, rührt sich nicht, doch die Augen hat er weit aufgerissen. Seine Brust hebt und senkt sich. Die Klauen aus schwarzem Rauch wabern auf ihn zu, manifestieren sich wieder. „Nein!", will ich schreien. Ich will zu Finn stürzen, ihn fortzerren, doch ich kann mich nicht bewegen. Mein Körper ist wie erstarrt, als würde eine unsichtbare Kraft ihn zurückhalten. Ich kann nichts tun. Die Panik, das Grauen und die Verzweiflung steigen in mir auf, drohen mich zu ersticken. „Du kannst ihm nicht helfen.", ertönt eine Stimme von irgendwoher. Sie scheint einer Frau zu gehören, doch sehen kann ich sie nicht. „Es ist zu spät." „Nein! Nein, Finn!", will ich schreien, doch die Füchsin ist stumm. Ich bin stumm. Bewegungsunfähig. Machtlos.

„Avalin!" Hände rütteln mich an meinen Schultern. Ich fahre hoch, schnappe nach Luft wie ein Ertrinkender. Der Wald um mich herum ist nicht verschwunden. Und da liegt Finn. Aber etwas ist anders. Seine Augen sind geschlossen, die Brust hebt und senkt sich viel langsamer. Vor mir, die Hände noch immer auf meinen Schultern, sitzt jemand. Ikaron. Er sieht mich aus seinen grünen Augen erschrocken an. „He, alles gut.", sagt er. „Es war nur ein Traum." Seine Stimme und der Druck seiner Hände lassen mich wieder ruhiger werden. Tief atme ich aus, dann wieder ein. Das wiederhole ich noch einige Male. Langsam schlägt mein Herz wieder ruhiger. Was war das nur für ein furchtbarer Traum? Er kam mir bekannt vor. Einen derartigen Traum hatte ich lange nicht mehr, aber es war nicht das erste Mal. „Geht's wieder?", fragt Ikaron und lässt mich los. „Ja.", gebe ich zurück und bin darüber erleichtert, wie fest meine Stimme klingt. „Danke, dass du mich geweckt hast, Ikaron." „Gerne." Er lächelt aufmunternd. „Und dir geht's wirklich gut?" „Mir fehlt nichts. Es war nur ein schlechter Traum." Ich lasse den Blick schweifen. Es ist bereits hell. Offenbar hat Ikaron Finn von der Wache abgelöst. „Bist du schon lange wach?" „Eine ganze Weile." „Gut, dann leg dich hin. Ich halte noch ein wenig Wache." Ikaron winkt ab. „Nicht nötig. Bin hellwach. Finn schläft schon lange genug. Wenn wir ihn wecken, könnten wir gleich weiter." Ich sehe zu meinem besten Freund. Er wirkt so friedlich im Schlaf. Ganz anders als in meinem Traum. Am liebsten würde ich ihn schlafen lassen. Doch wenn wir jetzt schon losgehen, kommen wir bestimmt weit. Also rutsche ich zu ihm und stoße ihn sanft an. „Finn. Wach auf. Wir wollen weiter." Seine Augenlider gehen flatternd auf. Er braucht einige Augenblicke, um zu realisieren, wo er ist. Dann lächelt er mich an und setzt sich auf. „Schon wach?" „Erst seit kurzem.", gebe ich zurück. „Du siehst aber müde aus.", stellt er fest. Natürlich merkt er, dass etwas nicht stimmt. Doch ich lächle. „Hab nur schlecht geträumt. Nichts weiter." Finn mustert mich besorgt. Mir kommen die Worte aus meinem Traum in den Sinn. „Du kannst ihm nicht helfen. Es ist zu spät." Ein Schauer läuft mir über den Rücken. „Wollen wir unterwegs essen?", fragt Ikaron und reißt mich somit aus meinen Gedanken. Finn erhebt sich. „Wieso nicht?" Ich nicke und bin froh über diesen Vorschlag, denn so brauche ich mich vorerst nicht zu verwandeln. Und so brechen wir auf. Wir sind bereits sieben Tage unterwegs und mittlerweile ist mir der Wald völlig fremd. So weit weg vom Stamm der Thalier war ich noch nie. Oder vielleicht doch? Eilig, um mich nicht wieder in düsteren Gedanken zu verlieren, folge ich den beiden anderen.

Fuchs unter WölfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt