Keuchend reiße ich die Augen auf. Der See ist verschwunden und ich liege wieder in meiner Hütte. Einen schrecklichen Augenblick lang, wage ich es nicht, zu meinen Händen zu blicken, aus Angst dort die Pfoten der Füchsin ruhen zu sehen. Doch als ich den Kopf schließlich ein wenig drehe, erkenne ich meine Hände, die zu Fäusten geballt sind. Erleichtert seufze ich auf. Was für ein seltsamer Traum. Mein Blick schweift durch den Raum. Es ist ziemlich düster, was mich darauf schließen lässt, dass der Tag noch sehr jung ist. Thion liegt, in ein paar Felle gewickelt, auf seinem Schlafplatz. Sein Atem geht ruhig und gleichmäßig. Mir fällt der Traum ein, der von Finn gehandelt hat und sofort werde ich wieder unruhig. Zur Zeit träume ich immer wieder, dass Finn in entsetzlicher Gefahr schwebt. Besorgt drehe ich mich hin und her. Die Träume wirken so anders... so echt. Als wollten sie mich warnen. Etwas vorhersagen. Aber das kann nicht sein. Nur Heiler haben diese Gabe.
Lange liege ich auf meinen Fellen und sehe dem Licht zu, wie es immer weiter durch die Ritzen im Holz dringt und das Innere der Hütte erhellt. Die schlechten Träume lassen mich nicht mehr schlafen. Endlich wacht auch mein Großvater auf. "Guten Morgen Avalin.", grüßt er mich. "Guten Morgen." Thion steht mühsam auf. Eilig komme ich auf die Beine und helfe ihm. "Danke Liebes." Er holt tief Luft und mir wird wieder einmal klar, wie alt mein Großvater bereits ist. Thions Gesichtsausdruck ändert sich plötzlich. "Geht es dir gut?" Kurz spiele ich mit den Gedanken, Thion von meinen Träumen zu erzählen, lasse es dann aber doch. Ich will nicht, dass sich mein Großvater noch mehr Sorgen um mich macht. Eilig schlucke ich den Kloß in meinem Hals hinunter. "Natürlich. Ich habe nur wenig geschlafen." Thion mustert mich mit seinem einen Auge so intensiv, dass es mir kalt den Rücken hinunterläuft. "Lass uns essen.", sagt er dann.
Gemeinsam decken wir den Tisch und nehmen ein kleines Mahl zu uns. Während wir essen, ist es sehr still. Thion starrt vor sich hin, als wäre er mit den Gedanken ganz woanders. Ich mustere ihn. Meinen Großvater, der so anders ist als ich. "Großvater?", unterbreche ich auf einmal die Stille. "Wieso bin ich denn so anders als alle?" Eigentlich wollte ich das nicht fragen, doch die Worte verlassen meinen Mund, ehe ich sie aufhalten kann. Thion richtet sein Auge auf mich. In seinem Blick liegt etwas, das ich noch nie zuvor gesehen habe. Einige Zeit lang sagt er kein Wort. "Meine liebe Avalin.", sagt er dann mit seiner tiefen Stimme. "Du bist anders, weil du etwas Besonderes bist." "Aber..." "Deine Mutter... sie hatte dieselben roten Haare. Dieselben grünen Augen und dieselbe helle Haut. Sie sah dir so ähnlich." Er nimmt über den Tisch meine Hand. "Und sie war sehr tapfer. Sie hat ihr Leben in der Schlacht gegeben, damit du in Sicherheit bist. So wie dein Vater." Mein Herz wird schwer, so wie jedes Mal, wenn Thion über meine Eltern redet. Dies kommt jedoch kaum vor. "Also war Mutter auch... anders?" Thion nickt. Erneut ist es still. "Avalin.", sagt er dann bestimmt. "Ja?" "Es ist wichtig, dass du mir nun zuhörst." Der Ton in seiner Stimme gefällt mir ganz und gar nicht. Thion lässt meine Hand los und faltet die Hände auf der hölzernen Tischplatte. "Ich will, dass du dich in Acht nimmst." "In Acht? Aber wovor?" Thion geht nicht auf meine Frage ein. "Versprichst du mir das? Wirst du auf dich aufpassen?" In seiner Stimme liegt nun solch eine Dringlichkeit, dass mein Magen sich vor Unbehagen zusammenzieht. "Natürlich, Großvater, aber..." "Vergiss nicht, dass...", doch ich werde nie erfahren, was ich nicht vergessen soll, denn in diesem Moment ertönen Schreie von draußen. Thion und ich springen gleichzeitig auf und stürzen zur Tür. Auf unserem Lagerplatz ist die Hölle los. Fast alle Stammesmitglieder sind versammelt. Sie rufen panisch durcheinander und wuseln umher. Ich presche los und bahne mir einen Weg durch die Menge. "Thion!", rufen einige entsetzte Stimmen. "Wir brauchen Thion." "Avalin!" Jemand packt mich am Arm und hält mich zurück. Ich fahre herum. Finns Gesicht taucht vor mir auf, bleich und das Entsetzen in seinen Augen ist nicht zu übersehen. "Was ist hier los Finn?!" "Glaub mir, das willst du nicht sehen." Der Griff um meinen Arm wird fester. "Finn! Was ist hier los?!" "Avalin, ehrlich..." In diesem Moment drängt sich Thion durch die Menge. Meine Stammmesmitglieder weichen zurück. Und da sehe ich etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Rhun, unser Anführer, kniet am Boden. Vor ihm liegt der Körper einer unserer Stammesmitglieder. Mir wird übel. Ich kenne diesen Menschen sehr gut. Sein Name ist Majendron, einer unserer ältesten Jäger. Sein Gesicht ist zerkratzt. Die Kleidung und der Boden rund um ihn herum, blutgetränkt. Die Augen starr, voller Entsetzen. Rhun blickt zu uns. "Er ist tot."
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Fuchs unter Wölfen
FantasyMitteleuropa im Fünfzehnten Jahrhundert. Die Angst vor dem Teufel, der Hölle, schwarzer Magie und Hexen ist weit verbreitet. Menschen, die angeblich Hexerei ausüben, werden verfolgt, gefoltert und getötet. So auch in einem kleinen Dorf, nahe eines r...