Er striff durch den nebligen, dunklen Wald. Die Nacht war noch jung. Eine eisige Kälte durchdrang seinen dicken Pelz. Schneeflocken fielen vom schwarzen Himmel und landeten lautlos auf dem schneebedeckten Boden. Diese Stille... diese ungewöhnliche Stille. Es sangen keine Vögel. Es rannten keine kleinen Tiere durchs Unterholz. Alles war wie ausgestorben. Einen kalten Winter wie diesen hatte es schon lange nicht mehr gegeben.
Auf der Suche nach Nahrung huschte er umher. Seine feine Nase witterte keinerlei Leben. Plötzlich aber blieb er stehen. Unwillkürlich stellten sich seine Nackenhaare in seinem schwarz-grauem Fell auf. Da lag etwas in der Luft. Ein Geruch, den er nur allzugut kannte. Nein, es war kein Geruch. Er spürte etwas. Sein Herz begann schneller zu klopfen, als wäre er gerade auf der Jagd.
Nach kurzem Zögern nahm er die Fährte auf. Der Tod, den er witterte, war nun beinahe greifbar.
Und da lag sie. Eine Gestalt im Schnee. So rote Haare hatte er noch nie gesehen. Er eilte auf sie zu. Es war eine Frau. Ihr Gesicht war weiß wie der Schnee um sie herum. Ihre Lippen waren blau. Die Augen leicht geöffnet. Der Wolf brauchte sie nicht anzustubsen, um zu wissen, dass sie tot war. Sie war der Kälte erlegen. Ihre Kleider, die aus Leder und Fellen bestand, hatten sie nicht retten können. Er starrte sie an. Sie war nicht von hier, so viel war ihm klar. Respektvoll verneigte er den Kopf vor ihr. -Möge sie Frieden finden.- Dann wandte er sich um. Er konnte nichts mehr für sie tun. Die Geister hatten zu entscheiden, wann sich jemand ihnen anschließen würde.
Er hörte das klägliche Wimmern, noch bevor er den Geruch wahrnahm. Überrascht fuhr er herum. Etwas, das in den Armen der Toten lag, regte sich. Er hatte es für ein Bündel Stoffe gehalten. Langsam trat er näher. Mit der Schnauze schob er ein Hasenfell beiseite und erschrak. Dort, wimmernd und zitternd vor Kälte, halb tot, lag ein Kind. Es war kaum älter als ein paar Monate. Ein roter Flaum wuchs auf seinem Kopf. Als das Kind ihn sah, streckte es erschöpft die Arme nach ihm aus. Der Wolf stand da und rührte sich nicht. Woher kam diese Mutter? Was hatte sie hier in den Wald gebracht? Und wieso würde sie ihr Leben und das Leben ihres Kindes in dieser Kälte riskieren? Erneut sträubte sich sein Nackenfell. Könnte das ein böses Omen sein? Er starrte auf das Kind. Was sollte er nun tun? Es mitnehmen? Zuhause hatten genug Mäuler gestopft zu werden. Die Nahrung war so knapp, wie schon seit Jahren nicht mehr. Am besten wäre es, einfach zu gehen. Das Kind seinem Schicksal zu überlassen. Er wich zurück. Das Kind jammerte lauter. Der Wolf starrte es weiterhin an. Er brachte es einfach nicht über sich. Das arme Ding hatte seine Mutter verloren. Niemand hatte solch ein schreckliches Schicksal verdient. Er spürte, wie sein Körper wuchs. Seine gebückte Gestalt wurde größer und seine Haut weich. Die Felle an seinem Körper waren nun lose. Er trug sie wie Kleidung. Der Mann strich sich durch seinen Bart. Dann beugte er sich zu dem Kind und hob es hoch. Das Kind wimmerte immer noch. Es war so schwach. Er presste es gegen seine Kleidung. Schweren Schrittes ging er los. Seine Spur verlor sich im Schnee. Die Tote blieb allein zurück. Allein, aber mit einem Versprechen. Der Fremde würde sich um ihre Tochter kümmern. Er würde sie großziehen. Er würde sie beschützen.Hallo meine lieben Leser.
Dies ist der Prolog meiner Geschichte "Fuchs unter Wölfen". Ich hoffe ich konnte euch neugierig machen. Viel Spaß beim Lesen!
Eure Lauriss
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Fuchs unter Wölfen
FantasyMitteleuropa im Fünfzehnten Jahrhundert. Die Angst vor dem Teufel, der Hölle, schwarzer Magie und Hexen ist weit verbreitet. Menschen, die angeblich Hexerei ausüben, werden verfolgt, gefoltert und getötet. So auch in einem kleinen Dorf, nahe eines r...