Was als nächstes geschieht, kann ich nicht genau sagen. Ich glaube, ich verliere das Bewusstsein, doch so sicher bin ich mir da nicht. Alles um mich herum ist pechschwarz. Ich höre und sehe rein gar nichts. Das Rauschen ist verschwunden. Das Grün-Braun des Flusses ist verschwunden. Mein gesamter Körper scheint zu schweben. Doch ich spüre das eiskalte Wasser nichtmehr. Ich kann überhaupt nichts mehr spüren. Alles fühlt sich taub an. Sogar mein Inneres, das vor Entsetzen und Verzweiflung eigentlich überkochen sollte. Doch stattdessen treibe ich in einem schwarzen Nichts umher, all meiner Sinne und Gefühle beraubt. Ist das der Tod? Bin ich gestorben? Im Fluss ertrunken? Noch nicht einmal dieser Gedanke löst etwas in mir aus. Und so verweile ich einfach in der Dunkelheit.Irgendwann jedoch beginnt sie zu schwinden. Immer und immer weiter. Sie macht einem unangenehmen gelblichen Licht Platz, welches sich durch meine anscheinend geschlossenen Lider bohrt. Und mit dem Licht kommt alles wieder. Die Angst, die Kälte und ein seltsamer Schmerz im Hinterkopf. Nach Luft ringend reiße ich die Augen auf.
Was ich sehe, kann ich zunächst nicht begreifen. Um mich herum ist tatsächlich alles in ein trübes, gelbliches Licht getaucht. Die Luft, die mich umgibt, wirkt seltsam. Sie bewegt sich und das kann ich mit bloßem Auge sehen. Über meinem Kopf erkenne ich dunkle Windungen, die von überallher zu kommen scheinen. Was ist das? Wurzeln. Wo bin ich? Das kann nicht das Jenseits sein. Oder etwa doch? Der Boden unter mir wirkt seltsam verschwommen. Ich blinzle einige Male, doch dadurch wird es nicht besser. Und da erst bemerke ich, dass ich schwebe. Meine Füße berühren den Untergrund nicht. Ein erstickter Laut verlässt meinen Mund. Er klingt seltsam gedämpft, doch darauf achte ich nicht. Stattdessen bewege ich meine Arme und Beine in einem verzweifelten Versuch, die Kontrolle wiederzuerlangen. Doch obwohl ich es versuche, komme ich einfach nicht vom Fleck. Ich kann mich zwar bewegen, aber trotzdem bleibe ich, wo ich bin. Panik macht sich in mir breit. Blankes Entsetzen. Was ist mit mir passiert?!
Ein fahles Gesicht schiebt sich in mein Blickfeld. Ich war so darauf konzentriert herauszufinden, wo ich bin, dass ich das Wesen in meiner Nähe völlig übersehen habe. Es scheint eins zu sein mit seiner Umgebung und erst jetzt, wo es sich auf mich zubewegt, nehme ich es wahr. Ich erstarre.
Das Wesen vor mir ist nicht menschlich, da besteht kein Zweifel. Ich kann zwar zwei Arme, zwei Beine, Augen, eine Nase und einen Mund ausmachen, doch da hört die Ähnlichkeit schon auf. Es handelt sich um ein männliches Geschöpf, nicht größer als ein Kind. Seine Augen stehen weit aus den Höhlen, wie bei einem Frosch. Sie sind dunkel und mustern mich durchdringend. Am Leib trägt er nur eine Hose. Ich muss zweimal hinsehen, um zu begreifen, dass sie aus Seegras gesponnen ist. Seine Haut wirkt bleich, beinahe grau. Beinahe entsetzt stelle ich fest, dass sie mit hellschimmernden Schuppen gespickt ist. Wie die Haut eines Fisches. Zeischen den langliedrigen Fingern und Zehen kann ich zusätzliche Hautlappen erkennen. Schwimmhäute!
Die Froschaugen des Wesens lassen keinen Moment von mir ab. Seine farblosen Haare wiegen sich hin und her, als ließen sie sich vom Wasser treiben. Und da begreife ich erst. Ich bin umgeben von Wasser. Über mir, unter mir, von allen Seiten. Mein Körper treibt im Wasser, tief unter der Oberfläche. Voller Entsetzen ringe ich nach Luft, in der Erwartung sie mit grüner, grausiger Flüssigkeit zu füllen. Doch nichts dergleichen geschieht. Ich atme ein und aus. Und noch einmal, ein und aus. „Umwerfend, nicht wahr?“ Ich zucke zusammen. Die säuselnde Stimme kam ohne jeden Zweifel von dem Geschöpf vor mir. „Diese Blase ist eine meiner liebsten Spielereien. Ich habe sie im Laufe der Gezeiten perfektioniert. An ihrer Nützlichkeit habe ich niemals gezweifelt.“ Es blickt mich an und lacht erfreut. Dabei erkenne ich die kleinen spitzen Zähne in seinem Mund. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. „Wo… wo bin ich?“ Meine Stimme klingt seltsam dumpf und fern, als käme sie von weit her. Das Wesen im Wasser klatscht in die Hände. Es wirkt so, als hätte es Spaß. „Oh holde Maid, es ist mir eine ausgesprochene Ehre, dich in meinem bescheidenen Heim begrüßen zu dürfen. Ich bin Triton, der König des Flusses.“ Bei seinen letzten Worten breitet das seltsame Wesen die Arme aus. Ich starre es an. „König des Flusses?“ Triton lacht und das klingt wie das heisere Krächzen eines Raben. „Nun, ein wahrhaftiger König bin ich nicht, aber hier im Fluss sind die Tage lang und die Gesellschaft ist sehr wortkarg. Da beginnt man irgendwann einfallsreich zu werden.“ Ich blicke ihn an. „Aber… ich… du… was bist du?“ Da verzieht mein Gegenüber das Gesicht. „Wahrlich, deine Manieren lassen zu wünschen übrig. Aber wegen deines wunderschönen roten Haars will und kann ich dir nicht böse sein. Ich, Triton der König des Flusses, bin ein Wassermann. Einer der letzten seines Geschlechts und der einzige weit und breit. Das kann mitunter sehr betrüblich sein.“ Ein Wassermann. Es verschlägt mir für einen Moment die Sprache. Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Von Wassermännern haben die Ältesten im Stamm manchmal erzählt. Allerdings hätte ich niemals gedacht, einem wahrhaftigen über den Weg zu laufen. Angestrengt versuche ich, mir die Geschichten wieder in Erinnerung zu rufen, um herauszufinden, wie vorsichtig ich Triton begegnen muss, doch vergebens. Es ist einfach zu lange her, dass ich jenen Geschichten gelauscht habe. Das lindert meine Angst nicht unbedingt, doch ich versuche ruhig zu bleiben. „Ich… ich weiß nicht, wo ich bin. Hast du mich in die Tiefe des Flusses gezogen? Warum bin ich hier?“ Plötzlich fällt es mir siedend heiß ein. „Wo sind meine Freunde?!“ Für einen entsetzlichen Moment denke ich, sie könnten in den Fluten des Flusses umgekommen sein. Triton lächelt nur und zeigt seine Reißzähne. „Die beiden Knaben sind vermutlich noch dort, wo du sie zurückgelassen hast, Tochter der Abendsonne.“ Tochter der Abendsonne? Seine seltsame Betitelung verwirrt mich, doch ich beschließe, dem keine Beachtung zu schenken. Das ist jetzt nicht wichtig. „Dann muss ich zurück! Sie suchen mich sicher ganz verzweifelt!“ Trotz der Dringlichkeit meiner Worte, zeigt sich auf Tritons Gesicht nicht die geringste Sorge. Noch immer lächelt er mich an und dieses Lächeln gefällt mir ganz und gar nicht. „Aber du kannst hier nicht weg, meine Schönheit.“ Er breitet erneut die Arme aus. Seine Stimme klingt plötzlich feierlich. „Ich werde dich zu meiner Frau nehmen und wir beide werden bis ans Ende unserer Tage glücklich vereint in meinem wunderbaren Königreich leben.“
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Fuchs unter Wölfen
FantasyMitteleuropa im Fünfzehnten Jahrhundert. Die Angst vor dem Teufel, der Hölle, schwarzer Magie und Hexen ist weit verbreitet. Menschen, die angeblich Hexerei ausüben, werden verfolgt, gefoltert und getötet. So auch in einem kleinen Dorf, nahe eines r...