Drinnen schlägt mir ein seltsamer Geruch entgegen. Irgendwie riecht es nach Honig, Kräutern und etwas undefinierbar Scharfem, das in meinen Augen und in der Nase brennt. Überall stehen Kerzen, die ein warmes Licht verbreiten. Der Raum, in welchem wir uns befinden, ist so voll, dass er aus allen Nähten zu platzen scheint. Pflanzen, Werkzeuge, aber vor allem Stoffe, Fäden, Teppiche und Kleider, alle in den buntesten Farben, sind überall verteilt. In der Mitte des Raumes steht ein niedriger Tisch. Um ihn zu erreichen, müsste man wohl am Boden sitzen. Die meisten Teppiche liegen um ihn herum. „Setzt euch doch bitte.", meint die Alte und deutet auf den Tisch. Zögerlich lassen wir uns zu Boden sinken. Erst jetzt fällt mir auf, dass Finn und Ikaron mich in die Mitte genommen haben. Irgendwie stürzt mich das in Verlegenheit. „Wartet hier.", weist uns die Alte an. „Ich sehe nach der Suppe. Ihr könnt euch so lange ausruhen." Ohne unsere Antwort abzuwarten, verschwindet sie durch eine Tür, die mir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal aufgefallen ist. Schweigen tritt ein, während wir uns umsehen. „Sieht ganz anders aus als Zuhause.", stellt Finn fest. „Scharfsinnig beobachtet.", zieht Ikaron ihn auf und bekommt einen wütenden Blick zugefeuert. Ich schenke dem keine Beachtung. Stattdessen mustere ich den Raum. Er wirkt viel zu groß, als dass er in solch einer kleinen Hütte Platz hätte. Und dort vorne führt die Tür in ein weiteres Zimmer. Hier ist etwas ganz und gar faul. Nervös rutsche ich hin und her. „Jetzt beruhig dich Avalin." Ikaron blickt zu mir und lächelt aufmunternd. „Uns wird schon nichts passieren. Wir bleiben eine Nacht hier und morgen sind wir auch schon wieder weg. Wirst schon sehen." Zögerlich erwidere ich sein Lächeln, um nicht als Feigling dazustehen. Doch wohl fühle ich mich ganz und gar nicht.
Die Alte kommt nach einer Weile zurück, dampfende Schüsseln in den Händen. Sie stellt sie vor Finn und mir ab, ehe sie die anderen beiden Schüsseln, Becher sowie einen Krug Wasser holt. Dann setzt sie sich an die andere Seite des Tisches. „Esst Kindchen, esst. Lasst die Suppe nicht kaltwerden." Ikaron und Finn heben die Schüsseln an die Lippen und beginnen zu schlürfen. Zögerlich folge ich ihrem Beispiel, während mir der Schierling draußen nicht aus dem Kopf geht. Ich habe von einer Hinrichtungsmethode gehört, bei welcher der Verurteilte einen Becher mit zerstampftem Schierling trinken muss. Keine schöne Art zu sterben. Doch während wir die Suppe schlürfen, beginnt sich niemand von uns in Krämpfen zu winden, oder röchelnd umzukippen. Also werde ich etwas ruhiger. Wider Erwarten schmeckt die Suppe sogar gut. Sie enthält Pilze, Zwiebeln und Bärlauch. Es ist wirklich angenehm, wieder etwas Warmes im Magen zu haben.
Während des Essens sprechen wir kein Wort. Doch als unsere Bäuche voll und die Schüsseln leer sind, sieht die alte Frau uns erwartungsvoll an. Ihr forschender Blick gefällt mir nicht. „Vielen Dank für das Mahl.", unterbricht Finn schließlich die Stille. „Es war köstlich." Die Alte lächelt und zeigt dabei ihre wenigen Zähne. „Freut mich, dass es euch geschmeckt hat." Sie mustert Finn, Ikaron und mich der Reihe nach, wobei ihr Blick viel zu lange an Finn und schließlich an mir hängenbleibt. Ich räuspere mich. „Können wir Euch als Dank zur Hand gehen?" „Nein, nein." Abwehrend hebt die Alte die Hände. „Macht euch bloß keine Umstände. Ihr seid meine Gäste." Sie lächelt erneut. „Aber ihr könntet mir ein wenig von eurer Reise erzählen. Ich bin die meiste Zeit allein, da lechzt man irgendwann nach Geschichten." Meine beiden Reisegefährten und ich wechseln einen Blick. Könnte es uns schaden, wenn wir die Wahrheit verraten? Ich bin mir da nicht so sicher. Andererseits wollte ich ja Antworten erhalten. Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenigstens etwas durchsickern zu lassen. Doch bevor ich mir meine Worte zurechtlegen kann, antwortet Finn auch schon. „Wir kommen von weit her. Vor vielen Monden machten wir uns auf den Weg zu einem Dorf, das in der Nähe dieses Waldes liegen muss. Dort erhoffen wir uns Antworten zu finden, die jemanden betreffen, der uns nahesteht." Die Alte faltet die Hände auf dem Tisch und sieht Finn eindringlich an. „Antworten worauf?" „Nun..." Finns Blick huscht kurz zu mir. „Das Geheimnis über einige Wesen dieses Waldes." „Einige Wesen dieses Waldes?" Die Alte runzelt die Stirn. „Ja, genau. In unserer Heimat geschehen rätselhafte Dinge und wir wollen herausfinden, was da vor sich geht." Finn lügt nicht ganz. Er spricht über Majendrons Tod. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Der Blick der Alten wird noch durchdringender. Sie fragt nicht weiter, sieht uns einfach nur an. Mir fällt auf, dass Ikaron nervös mit den Fingern auf seinen Bogen trommelt, welcher neben ihm liegt. Jetzt scheint auch sein Misstrauen geweckt. Doch nichts geschieht. „Es ist schon spät. Ihr müsst müde sein.", sagt die Frau plötzlich, als wäre nichts gewesen. Als würde Finns lückenhafte Schilderung keine weiteren Fragen mehr aufwerfen. Ich sehe zu Ikaron und er erwidert meinen Blick. „Ihr könnt hier schlafen.", meint die alte Frau und macht eine ausladende Handbewegung, die den ganzen Raum beschreibt. „Ich bringe euch noch Decken, damit ihr es gemütlicher habt." „Macht... macht Euch bitte keine Umstände.", bringe ich hervor. Am liebsten würde ich einfach wieder gehen. Der dunkle Wald wirkt nicht halb so unheimlich, wie dieses alte Weib. „Ach, das sind doch keine Umstände." Sie lächelt noch immer. „Aber du könntest mir helfen die Schüsseln rüberzubringen, wenn du möchtest." Sie sieht mich an. „Währenddessen können die Knaben euer Nachtlager aufschlagen." Sofort sieht Ikaron wieder zu mir, ebenso wie Finn. Nein, ich möchte nicht. Keinen Schritt möchte ich weiter in diese Hütte machen. Aber die Alte hat uns bewirtet, uns ein Dach über dem Kopf geboten. Es wäre unhöflich diese einfache Bitte abzulehnen. Also nicke ich und nehme die Schalen zur Hand. Finn wirft mir einen skeptischen Blick zu. „Bin gleich wieder zurück.", verspreche ich ihm. „Und ich bringe euch im Anschluss noch Decken.", sagt die Alte. „Komm, Kindchen."

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Fuchs unter Wölfen
FantasyMitteleuropa im Fünfzehnten Jahrhundert. Die Angst vor dem Teufel, der Hölle, schwarzer Magie und Hexen ist weit verbreitet. Menschen, die angeblich Hexerei ausüben, werden verfolgt, gefoltert und getötet. So auch in einem kleinen Dorf, nahe eines r...