Rückkehr

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Melina Hargraves ging neuerdings mit gemischten Gefühlen während ihres Dienstes zum Patienten 1.

P1, der sich als Frank Sutton entpuppte, war jetzt ja auferstanden von den Schlafenden. Sosehr dies sicherlich ihn selbst und auch seine Familienangehörigen erfreute- für Melina war es nunmehr eine andere Situation.
Frank Sutton war nun wach und konnte alles wahrnehmen, was um ihn herum geschah.
Dies verdrängte für Melina die Möglichkeit, sich im Zimmer von P1 unbeobachtet zu fühlen und sorglos in ihre eigene Welt auch während der Dienstzeit zu entfliehen. Zudem war P1 ja auch nicht irgendwer- ihm gehörten de facto die Mehrheitsanteile an der Klinik, in welcher sie ihr Praktikum zu Ende bringen wollte und musste.

Sicherlich- diese mentalen Hemmschwellen hätte sie freundlich und sachlich dahinlächeln können und ihr ganz normales Tagewerk fortlaufen lassen. Aber irgendwie empfand Melina die nun bestehende Situation als unangenehm, denn während P1 im tiefen Schlaf gefangen war, erzählte sie ihm von ihren Erlebnissen im Leben und private Dinge aus der Familie. Sie las ihm vor und hatte auch in seiner Gegenwart ab und an etwas Kritik an mancher Schwester oder auch an Entscheidungen der Ärzte vor P1 in Worte gefasst. Aber immer im Hinterkopf, dass P1 es nicht vernommen hat.

Doch war dem wirklich so?

Wenn Melina über den Flur huschte und an Raum 101 vorbeiging, dann schaute sie stets zumindest aus dem Augenwinkel hinein.

Und oftmals erwiderte Patient Sutton ihren Blick. Vielleicht wegen der kurzen Unterbrechung der situativen Tristesse des Patientenlebens. Vielleicht war es aber auch etwas anderes.

In der Folgewoche hatte Melina nach einem freien Tag in die Frühschicht gewechselt. Hier fielen Melina all ihre Bedenken noch nicht so sehr auf, da Frühschichten von Routinen wie Patientenfrühversorgung, allgemeinen Überprüfungen der Geräte und der Gesundheit der Patienten sowie der Visite geprägt waren. In Frühdienst und auch Spätdienst kamen zudem auch eher Neuaufnahmen auf die Station, da in diesen Zeiten die Operationen lagen.

Aber P1, Frank Sutton, kam immer besser zurück ins Leben. Binnen einer Woche wurde seine Ernährung wieder auf vorsichtige Schonkost umgestellt. Um Risiken zu minimieren und wegen der erkennbaren Kraftlosigkeit von P1 mussten die Schwestern, damit auch Melina, die Mahlzeiten geben.

Melina getraute sich auch gar nicht mehr, mit P1 zu sprechen. Es war auch ein anderer Umgang mit ihm, als mit den weiteren Patienten auf der Station.

Melina selbst gefiel diese Situation nicht. Viel schlimmer jedoch war, dass sie dies selbst feststellte. Dieses innere Unwohlsein im Umgang zu P1 ging so weit, dass sich Melina selbst bei einer Situation dabei ertappte, wo sie Kontakte zu P1 in einer Spätschicht bewusst zu meiden suchte.

Das war dann auch der Moment, wo Melina für sich den Entschluss fasste, dieses 'Patienten- Mobbing' zu unterlassen und wieder offen auf P1- Frank Sutton- zuzugehen. Sie wollte sich wieder bei P1 verhalten, wie sie es vor seinem Erwachen gezeigt hatte.

Seit P1 zu Patient Sutton geworden war, waren nun zwei Wochen vergangen.

Und Melina entschloss sich in einer Spätschicht, zu altbewährten Umgangsmethoden zurück zu finden. Außerdem war es an der Zeit, ihn auszuhorchen. Zumindest zu den vielen gesagten- und oft auch privaten Dingen.

„Hallo.", ging Melina Hargraves also selbstbewusst in das Patientenzimmer. Dabei umklammerte sie fest ihre Schreibkladde. „Herr Sutton, ich habe kurz ihren Blutdruck zu prüfen."

P1, Sutton also, nahm von ihr Notiz. Man hatte ihm wieder Fernsehen ermöglicht im Zimmer. Seit drei Tagen zappte er aus seiner Liegeposition rund um die Uhr durch die Programme.

Als Melina eintrat streifte er seinen Kopfhörer mit schwacher Handbewegung vom Kopf. Dann blickte er auf Melina, die sich flink und behände den linken Arm von Sutton ergriff und das Messgerät überstreifte.

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