Reitet der Held allein?

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Frau Singh wusste schon Bescheid über all die vorgefallenen Dinge im Kongresszentrum. Sie erwartete schon die Rückkehrer.

Bis auf Herrn Singh steigen alle aus. Herr Singh rangierte den Range Rover zurück in die Garage.

Mark Monroe zog sich sogleich in seine Gästewohnung zurück. Er hatte vor, Schlaf nachzuholen. „Seht es mir nach, wenn ich nicht vor morgen Früh wieder auf der Bildfläche erscheine. Ich brauche erst einmal eine riesige Mütze Schlaf. Frau Singh? Haben sie Baldrian im Haus? Ich befürchte, ich muss heute auf Red Bull verzichten, um die Augen geschlossen zu bekommen."

„Aber ja. Kommen Sie herein. Baldrian haben wir sicherlich irgendwo in der Hausapotheke." Frau Singh war fürsorglich, wie immer. „Frank? Melina? Kommt ihr auch?"

„Gebt uns bitte mal eine Minute, ja? Lasst uns bitte mal kurz allein.", bat Frank- irgendwie traurig und melancholisch wirkend.

Melina stand nun mit Frank allein vor 'Corbanian House'.

„Mein Held hat es geschafft. Frank? Auch, wenn es nicht ganz so lief, wie Du es Dir vorgenommen hattest.", stellte Melina fest.

„Melina? Können wir ein paar Schritte gehen?"

In den Baumkronen im Park hinter 'Corbanian House' rüttelten kräftige Windstöße an den Blättern herum. Von der Nordsee- Seite kam ein frischer Wind heran und ließ nicht erkennen, was er an Wetter- Eskapaden mit sich bringen würde. Auch das Schilfdach an der Themsemündung wurde erkennbar bewegt. Die Halme schwangen im Gleichklang hin und her.

Wortlos gingen Melina und Frank Hand in Hand hinunter zum Ufer- ließen alles andere symbolisch abseits, um für sich zu sein.

Melina befürchtete, dass dieser scharfe Wind im übertragenen Sinne auch sie Zwei erfassen würde- die Stimmung nach diesem Tag war bereits im Auto auf der Rückfahrt irgendwie seltsam.

Frank hielt inne. Er wandte sich Melina zu- er nahm ihre beiden Hände.

Jetzt wurde es wohl ernst, dachte Melina sich. Irgendetwas arbeitet in Frank- sie spürte es. Doch sie würde nichts fordern. Ihre Entscheidung stand fest- nur Franks Entscheidung schien offen.

Er erklärte sich: „Melina? Der 'Showdown' war heftig."

„Oh ja. Das war er in der Tat."

„Der Cowboy- Held hat letztlich dann doch die Stadt gerettet, auch wenn er keinen Schuss auf den Bösewicht abgeben musste. Und nun? Nun überlegt der Held, wie es weitergehen soll für ihn. Allein aus der Stadt reiten- neuen Abenteuern entgegen? Oder die Saloon- Schönheit mitnehmen ins Ungewisse?"

Melina entzog Frank ihre Hände. Sie zog beide Hände vor ihr Gesicht. Wenn Frank so anfing? Konnte sich all ihr Cowboy und Western- Gerede nun vielleicht gegen sie wenden? War dies jetzt der Moment des Abschiedes?

Frank faltete die Hände, wie zum inständigen Gebet und er rieb die Hände in dieser Stellung fest aneinander.

„Fest steht, dass ich an einem Punkt bin, wo die Schritte einer Genesung nicht mehr so beschwerlich und fremd sind. Ich habe gerade in der letzten Zeit da doch große Schritte gemacht- auch dank deiner Unterstützung. Und für heute bin ich Dir unendlich dankbar- allein das du da warst. Für mich, dann auch für Lydia- überhaupt."

Frank sog Luft ein, als müsse er sich Mut machen, etwas Schweres zu sagen. Er pustete aus.

„Ich denke, es wäre an der Zeit, sich einzugestehen, dass ich mich von Dir als Schwester Melina wohl verabschieden muss."

Melina war geschockt, doch Frank setzte schnell nach.

„Doch warte! Nicht so schnell. Ich möchte nur die Schwester Melina wieder freigeben- für die Welt da draußen. Nur die Krankenschwester." Frank nickte in Richtung Chatham, wo Klinik, Ärzte, Kolleginnen und medizinische Arbeiten warteten. „Die Melina, die ich als Mensch kennen und schätzen gelernt habe, diese Melina möchte ich gerne noch bei mir behalten- zumindest im übertragenen Sinn. Jetzt, da all der Grobe Zinnober vorbei ist. Also dein Held fragt sich- so auf einem Hügel mit seinem Pferd stehend, ob er vielleicht in die Stadt zu der Saloon- Schönheit zurückreiten sollte. Er hat große Angst, etwas Wichtiges und neu Gewonnenes zurück zu lassen. Und er würde zurück reiten wollen, um die Saloon- Schönheit noch viel besser kennen zu lernen. Die Frage, die sich mein Held stellt: Wenn er jetzt sein Pferd anhält, um sich zur Stadt zurück zu drehen und hinunter zu schauen zur Stadtgrenze- wird die Saloon- Schönheit dastehen und ihm hinterherschauen? Wird sie hoffen, dass er zurückkommt?"

Melina lächelte schon seit einiger Zeit. Allein dies verriet Frank Sutton wohl, dass er seine Geschichte ausschmücken durfte. Dies hat er ja dann auch nun getan- reichlich ausgeschmückt.

„Die wirklich sehr adrette Saloon- Schönheit? Die, mit dem großen Herzen? Die Heldin, die den Cowboy ständig zugeredet und ihn motiviert hat? Die immer ein offenes Ohr für die Nöte und Sorgen des Cowboys hatte?", fragte Melina nach.

„Ja genau- diese wunderschöne Saloon- Lady, wie im Filmklassiker."

„Die Saloon- Schönheit, die den angeschossenen, verletzten Cowboy pflegte und umsorgte, als der Cowboy noch nicht wusste, dass er der 'Held der Stadt' werden würde?"

Frank rollte schon mit den Augen. Er kannte dieses Spiel. Doch er wollte nicht viel länger noch eins mehr daraufsetzen- Melina würde es können, wenn man ihr die Zeit dazu gab.

„Ja genau. Diese Schönheit- die im Film wie im Leben für mich aussieht, wie Du. Dich frage ich- würdest Du dastehen und hoffen, dass ich zu Dir zurückkomme?", fragte Frank.

Melina schloss die Augen und hob den Kopf leicht in den Nacken.

„Ja. Würde ich! Nicht, weil es Klischee ist. Ich würde warten, weil ich meinen Helden Frank Sutton lieber bei mir habe, als irgendwo da draußen. Weil ich Frank Sutton noch besser kennen möchte. Und nicht, weil mir Frank Sutton noch Geld für Whisky schuldet. Ich will Frank Sutton zurück, weil ich ihn mag und mich vielleicht sogar schon in Frank Sutton verliebt habe."

Frank musste über dieses Statement nun seinerseits schmunzeln. Er überlegte kurz, wollte den Spieß nun seinerseits umdrehen- die Chance ist selten genug. Doch durfte man das Jetzt ausreizen? Besser nicht!

„Dann würde ich zurückreiten zu Dir. Um dich auch besser kennen zu lernen."

„Ach echt?"

„Aber ja. Vielleicht mag ich Dich ja auch- hab mich vielleicht ja auch schon mächtig in Melina Hargraves verliebt. Ich reite zurück zu Melina Hargraves."

„Das machst Du?"

„Ja."

Melina war kurzentschlossen. Sie nahm ihre Hände an Franks Kopf, zog ihn sanft etwas heran und gab ihm einen langen Kuss.

Frank nahm die Gelegenheit beim Schopf. Er kam ganz nahe an Melina heran und forderte einen zweiten Kuss von Melinas Lippen ein.

Ein feiner Nieselregen setzte ein.

Melina und Frank- sie verzogen beide zeitgleich das Gesicht und lösten sich aus dem Kuss.

„Also DAS ist nicht der schöne Sundown- Effekt, den ich mir jetzt erhofft hatte?", gestand Melina ein.

„Aber dieses Wetter ist so richtig britisch! Was meinst du? Zurück zum Haus?"

„Zurück zum Haus!"

Hand in Hand gingen sie unter die Bäume, um dem Nieselregen etwas zu entkommen- allerdings langsam.

„Was hat es eigentlich mit diesem Film- Klassiker auf sich? Wie ist er ausgegangen?", fragte Frank.

„'High Noon?' Mit James Steward?"

"Ja.", hakte Frank Sutton nach.

"Kann ich dir nicht sagen. Ich habe ihn nie gesehen?" Melina zuckte mit den Schultern.

„Was? Echt nicht?" Frank war fassungslos.

„Nein, wirklich nicht. Ich hatte nur dieses Poster an der Wand. Hab James Steward nur immer als Poster angehimmelt! Den Film habe ich aber nie gesehen."

„Und dann erzählst Du mir solche Geschichten?"

„Ich habe mir das eben SO vorgestellt.", betonte Melina.

„Na dann? Wir gehen jetzt sofort in mein Heimkino- Zimmer und streamen den Film."

„Wirklich?"

„Na klar. Nicht, dass wir vollkommen falsch an die Sache herangegangen sind."

„Ach, wohin denkst du."

„Gut. Aber wir machen Das jetzt."

„Okay? Aber ich hätte dazu gern eine heiße Schokolade.".....

Coin DreamerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt