Kapitel 1 - Fünf Jahre zuvor im Oktober

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In Gedanken verloren brütete er in seinem weißen Kittel. Seine dunkelbraunen Haare hingen ihm aufgrund seiner Haltung vors Gesicht, über zwei Fotos. Diese zeigten die Leichen zweier junger Frauen. Grotesk entstellt und verstümmelt lagen sie wie ein Stück Fleisch in einer Lache aus tiefrotem Blut. „Jessica wäre im Herbst 20 geworden. Satomi arbeitete gerade an ihrer Dissertation über den Einfluss verschiedener Umweltfaktoren auf das Wachstum des menschlichen Skelettes", murmelte er leise. Eine gut gebaute, aber durchaus attraktive Frau mit langen schwarzen Haaren um die Dreißig brachte gerade frischen Kaffee ins abendliche Nachdenkzentrum, welches sich in einer dunklen Kammer eines Nebengebäudes der University of California in San Francisco manifestierte. Der Name der Frau war Sarah Kells und sie unterstand Dr. Michael Green, mehrfach promovierter Chirurg und Spezialist für innere Medizin und menschliche Anatomie. Dr. Green war in seiner Laufbahn ein regelrechter Senkrechtstarter. Mit gerade einmal 18 Jahren hatte er sein Medizinstudium an der Universität in San Francisco begonnen, welches er in Rekordzeit abgeschlossen hatte. Bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr praktizierte er in allen Top-Kliniken der USA. Er verbrachte obendrein zwei Jahre in Tokyo, Dresden und Südafrika. Mit 31, also vor drei Jahren, begann er neben seinen medizinischen Tätigkeiten auch an seiner Heimatuniversität zu unterrichten. Dies alles verhalf ihm innerhalb der Welt der Medizin zu einem Ruf, wie ihn sonst nur Hollywood-Superstars genießen.Doch nun saß er vor dem größten Rätsel seines Lebens. Vor zwei Wochen verschwand Jessica Howards, eine von Dr. Greens Studentinnen, spurlos. Drei Tage später fand man ihren Leichnam misshandelt und verstümmelt in einem Waldstück außerhalb der Stadt. Nun, vor gerade einmal zwei Tagen, wiederholte sich diese Tragödie. Diesmal war das Opfer die japanische Austauschstudentin Satomi Masamo, die kurz davor stand ihren Doktortitel zu erlangen. „Danke Sarah", murmelte Dr. Green leise und verschluckte fast das halbe Wort. War er einmal von etwas gefesselt, schien er beinahe alles und jeden um sich herum zu vergessen. Sarah sah es inzwischen als ihre Aufgabe an Michael hie und da in die Realität zurückzuholen und ihn daran zu erinnern manchmal etwas zu essen oder zu trinken. „Herr Doktor, sie dürfen sich nicht überanstrengen. Die Polizei ermittelt doch schon unter Einsatz all ihrer Kräfte an dem Fall. Garantiert wird es bald erste Erkenntnisse geben", sagte Sarah, im Versuch Michaels Gemüt zu beruhigen. Er schlug mit der Faust auf die vielen Unterlagen auf seinem Schreibtisch und die Tasse Kaffee drohte, umzukippen. Gerade noch rechtzeitig griff Sarah nach dem Becher und verhinderte so eine weitere Sauerei.


„Erste Erkenntnisse?! Was soll ich mit ersten Erkenntnissen? Hier läuft wahrscheinlich ein irrer Vergewaltiger auf dem Campus auf und ab und vergreift sich an meinen Studentinnen. Glauben Sie mir. Ich übersehe hier irgendetwas. Ich kann es nicht erklären, doch mein Gefühl sagt mir, dass es kein Zufall war, dass beide Mädchen unter meiner Obhut standen. Also entweder will mich hier einer richtig verarschen, oder es gibt da einen weiteren Zusammenhang, den ich nur noch nicht erkannt habe.", fluchte er.


Die Ader auf Michaels Stirn pochte wie bei einem seiner Patienten, dene er einen Stent setzte. Dr. Green galt seit je her als ruhiger und gelassener Mediziner. In seinen Vorlesungen herrschte stets ein fast schon besinnliches Klima und selbst in kritischen Situationen im OP standen ihm höchstens ein paar Schweißperlen auf der Stirn. Er verschaffte sich üblicherweise durch Kampfsport einen Ausgleich zum stressigen Alltag. Dazu kam er allerdings seit Tagen nicht mehr. Diesmal jedoch steckte weitaus mehr dahinter. Dr. Michael Green verspürte einen regelrechten Hass auf alle Männer, die Frauen schlecht behandelten. Dies lag vielleicht daran, dass er in seinen jungen Jahren hatte mitansehen müssen, wie sein Stiefvater seine Mutter misshandelt hatte. Mit gerade einmal 8 Jahren verfolgte Michael fast täglich diese Schandtaten aus seiner Zimmertür heraus, während sein Zwillingsbruder Seth weinend unter der Bettdecke kauerte. Glücklicherweise dauerte diese Phase nicht ewig an. Drei Jahre später war ein Verfahren gegen Michael und Seths Stiefvater eingeleitet worden, woraufhin er zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden war. Seit damals hatte niemand etwas von ihm gehört. In all der Zeit in der Michaels Mutter solchem Schmerz ausgesetzt war, kümmerte Michael sich um sie. Er pflegte ihre Wunden und versorgte sie mit allem, was sie brauchte. Seth hingegen war lange von der Angst wie paralysiert. Allgemein war Michaels um eine halbe Stunde jüngerer Zwillingsbruder der schwächere von beiden. Ein Umstand von dem er sich aber in der Pubertät erholte und zum Frauenschwarm mutierten ließ. All das ließ in Michael selbst starke Führungsqualitäten und Selbstbewusstsein wachsen. Zudem sehnte er sich nach einem Leben, in dem er anderen Menschen helfen konnte.

Cubus - Dunkles VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt