Die Sonne brannte unerbittlich vom Himmel. Die wütenden Reifen der Fahrzeuge gruben sich durch die trockene Landschaft. Sand wirbelte hinter ihnen auf und bis auf einzelne vertrocknete Büsche Gabe es hier draußen absolut nichts. Dr. Green saß auf der Ladefläche und starrte gedankenlos in den wolkenlosen Himmel. Rechts neben ihm lag sein Bruder schlafend auf dem Wagen. Gegenüber hockte Gohar, die das Steuern einem ihrer Männer überlassen hatte. Die Anführerin hatte sich inzwischen eine beige Leinenrobe übergeworfen und ihr Haupt mit einem grauen Kopftuch bedeckt. Wachsam blickte sie auf die toten Hügel hinab, die rechts seitlich unter ihnen lagen. Im rechten Licht betrachtet war sie recht hübsch, dachte Michael. Er schätzte die Frau auf etwa 30, allerdings sah sie um einiges jünger aus. Ihre dunkle Haut glänzte unter der Wüstensonne und die dunklen Augen musterten stetig ihre Umgebung.„Warum tun sie das hier?", fragte Michael schließlich.„Weil irgendjemand es tun muss, oder?"
„Das ist keine ordentliche Antwort. Sie waren an der Universität und könnten jetzt gerade gemütlich woanders sein. Vielleicht würden sie sogar mehr bewirken, indem sie Forschung betreiben und gezielte Operationen leiten. Stattdessen schlagen sie sich als Rebellin durch und jagen auf eigene Faust den Teufeln der Wüste hinterher."Gohar schaute jetzt zu ihm herüber. Kurz blickte sie zum schlafenden Seth hinab.„Sie müssten es doch wissen, Doktor. Immerhin sind sie Arzt. Auch sie setzen sich für anderen ein und retten deren Leben."
„Nein, das ist es nicht. Ich merke doch, dass sie etwas anderes antreibt. Ich kenne diese Art von Leidenschaft." Er dachte an die vergangenen Jahre, in denen er seinem Bruder hinterhergejagt und ihn gesucht hatte. „Aber falls sie nicht darüber reden möchten, kann ich das auch verstehen. Sie sind sehr stark, Gohar. Doch hinter den meisten starken Menschen steckt ein weiches Herz."Sie nickte und biss sich auf die Unterlippe.„Ja, tatsächlich tue ich das nicht nur für andere. Meine Schwester, sie."Gohar hielt kurz inne, als müsse sie die Erinnerung erst aus einem alten Aktenschrank holen, den sie lange nicht mehr geöffnet hatte.„Eines dieser Wesen, ein Inkubus. Sie haben sie getötet."„Das, das tut mir unheimlich leid. Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer das für sie sein muss, jemandem wie meinem Bruder jetzt zu helfen."
„Nein, ich meine ja. Aber", ihre Worte versagten: „Er, er war es ja nicht und diese Wesen. Sie bringen nur das Schlechteste im Menschen hervor. Mit allem, was ich schon getan habe, sollte ich nicht diejenige sein, die darüber urteilt. Alles, was ich tun kann ist, dafür zu sorgen, dass niemand mehr unter ihnen leiden muss. Dafür müssen wir ihre Königin töten."Michael merkte jetzt, wie die Frau ihre Fäuste geballt hatte. Er sah, dass sie sich schon verfärbten, weil alles Blut aus ihnen gewichen war.„Wir werden sie aufhalten, da bin ich mir sicher", sagte Michael und war selbst von seinen Worten überrascht. Noch nie zuvor hatte er mit solchen übernatürlichen Dingen zu tun. Und für gewöhnlich hasste er es, sich mit Sachen zu beschäftigen, die er nicht verstand. Doch irgendetwas in ihm gab ihm den Mut, daran zu glauben, dass alles wieder gut werden konnte. Er schaute zu seinem schlafenden Bruder hinab und dachte an seine Frau Vanessa. Und ihr ungeborenes Kind. Tief atmete er die trockene Wüstenluft ein und ließ seinen Nacken knacken. Plötzlich sprang Gohar auf und lehnte sich auf die Kante der Ladefläche.„Dort, dort unten. Das ist es. Das könnte die Höhle sein, von der ihr Bruder gesprochen hatte!"Michael sah hinunter in ein von braunem Fels gerahmtes Tal. Ein schmaler gewundener Weg führte hinab, der mit den Fahrzeugen wohl kaum zu passieren war. Hinter einigen Felsen erkannte man ein schwarzes Loch, das sich trichterförmig in das Gestein schnitt. Beim Blick hinab erschauderte er.
„Na, sind wir schon da? Das kleine Schläfchen war genau richtig, bei der Hitze", meldete sich Seth plötzlich.„Dafür, dass du vielleicht gleich das Wesen treffen wirst, das für die Scheiße der letzten Jahre in deinem Leben verantwortlich ist, bist du ja ziemlich gefasst, Bruder."„Du weißt doch, dass ich Nervosität am besten wegschlafe, wenn ich gerade keinen Alk oder Zigaretten dabei habe.", scherzte er. Gohar war bereits vom Wagen gestiegen und befehligte ihre Leute. Seth sprang auch vom Wagen und stieß zu ihnen. Michael selbst blieb noch einige Minuten wortlos sitzen, um sich zu sammeln. Nun war es also soweit. Hier sollte es enden. Endlich. Hundert Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Was würde er den Familien der Opfer erzählen? Sollte er bei der Wahrheit bleiben? Oder im Wissen der Sicherheit, dass so etwas nicht mehr passieren könnte schweigen? Dr. Green schüttelte den Kopf. Nein, darüber könne er sich später Gedanken machen. Nachdem sie getan hatten, was auch immer Gohar für sie geplant hatte.
„Und Salim, kümmere dich bitte um unsere Vorräte", befahl Gohar dem letzten ihrer Männer, bevor sie sich auf einen Stein unter einem verdorrten Baum setzte und einen Schluck Wasser aus ihrer Metallflasche nahm.Seth ging ein paar Schritte auf sie zu. „Du hast deine Truppe ja ziemlich gut im Griff ,was?"„Es sind gute Leute, auch wenn einige etwas grimmig wirken. Aber so ist das hier nun mal, wenn man ständig mit all der Scheiße zu tun hat, die so abläuft. Ganz zu schweigen von der Inkubus-Plage. Die meisten von ihnen haben viel verloren."„Genau wie du?"Sie schaute zu ihm nach oben.„Ich, sorry, ich hab vorhin mitgehört, wie du mit meinem Bruder geredet hast. Das mit deiner Schwester tut mir leid, ich..."„Nein, schon in Ordnung. Es ist schon viele Jahre her."„Haben sie sie?"
„Missbraucht? Nein. Dafür hatte der Inkubus keine Zeit. Sie wehrte sich zu sehr. Esma war einige Jahre älter als ich. Wir waren Kinder. Sie hatte sich immer um mich gekümmert, seit unsere Eltern von Terroristen getötet worden waren. Dann eines Nachts, kam dieser betrunkene Kerl in unser Haus. Zumindest dachten wir, dass er betrunken war. Aber dann zeigte er sein wahres Gesicht. Er packte mich, riss mir die Kleider vom Leib, doch dann kam meine Schwester und stach ihm ein Messer in den Rücken. Er keuchte und schrie, wand sich wie eine Schlange auf dem Boden. Wir liefen nach draußen, schrien um Hilfe, doch unsere Hütte lag etwas abseits unseres Dorfe an einer steilen Klippe. Sie kamen nicht rechtzeitig. Der Inkubus verfolgte uns schon nach kurzer Zeit und hinter uns war nur der Abgrund. Ich weiß noch genau, wie er und anschaute. Seine Fratze war eine groteske Mischung aus bärtigen Männergesicht und schattenhaftem Nebel. Er stürzte sich auf uns und Esma stieß mich zur Seite. Gemeinsam mit dem Wesen fiel sie in die Tiefe. Als die Männer aus dem Dorf endlich kamen, war das Ungeheuer bereits verschwunden. Meine Schwester lag tot auf den Felsen unter unserem Haus. Der Sturz musste sie augenblicklich getötet haben."Gohars Stimme war kalte, doch Seth spürte die tiefe Trauer, die darin verborgen lag. Er meinte eine Träne im linken Auge der Frau erkannt zu haben, doch bevor er sie näher betrachten konnte, erhob sie sich und wandte ihm den Rücken zu.„Also gut, wir sind nicht hierher gekommen, über unsere Vergangenheit zu sprechen, oder? Sehen wir lieber zu, dass wir das Ding aus dir herausbekommen."
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Cubus - Dunkles Verlangen
Mystère / ThrillerNach einer ominösen Mordserie an seiner Universität, sieht sich Dr. Michael Green bald mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert. Er schlägt ein Kapitel seines Lebens auf, das er fast erfolgreich verdrängt hatte. Getrieben von der Suche nach Wah...