Es war bereits am späten Nachmittag. Gohar hatte sie mit drei Geländewagen in ein kleines Dorf weit im Landesinneren gebracht. Michael und Seth hatten die meiste Zeit der Fahrt über nur Still die karge Landschaft begutachtet. Das Land war trocken, rau und doch wunderschön. Immer wieder entdeckte Dr. Green Felsformationen, die wie Monumente emporragten, oder Bäume, die sich ihren Weg aus dem trockenen Boden erkämpft hatten. Sie waren auch dem Weg in jenes Dorf, in dem Seth vor Jahren selbst gewesen war. Es wusste noch, dass er sich damals aufgemacht hatte, um Recherch zu betreiben, während Michael selbst in Damaskus geblieben war. Kurzfristig hatte er auch die Nacht dort verbracht, doch an genaue Details konnte er sich nicht erinnern. Gohar versuchte, dies zu ändern, indem sie Seth an jenen Ort bringen wollte, an dem vielleicht all das begonnen hatte.
„Wir sind da", erklang es von vorne. Die beiden Zwillingsbrüder drehten ihre Köpfe fast synchron herum und erblickten ein kleines Dorf, das sich in den Hang einer Klippe schmiegte. Sie fuhren über eine flache sandige Ebene und nur ein schmaler Weg führte zur Ortschaft.„Das ist es, ich erinnere mich", murmelte Seth. Michael blickte besorgt zu ihm hinüber.Gohar steuerte ihren Jeep voraus und die Fahrzeuge, in denen ihre Leute saßen, folgten ihr auf dem brüchigen Weg. Sofort als sie gehalten hatten, stieg Seth vom Fahrzeug und schaute umher. Augenblicklich stiegen auch aus den anderen Jeeps allerhand Leute aus. Gohars kleiner Trupp bestand neben ihr selbst aus sieben Männern und einer weiteren Frau. Allesamt trugen sie entweder abgetragene Militärausrüstung mit Schutzwesten und Waffenholstern, oder weite Leinengewänder, unter denen Michael ebenfalls Waffen vermutete. „Das hier ist es, nicht wahr? Das Dorf, von dem wir gesprochen hatten", fragte die Anführerin.„Ja. Ich erinnere mich noch genau. Ich hatte nicht viel dabei, nur einen Übersetzer und einen Rucksack voll mit Laptop, Notizblock, Stiften und solchem Kram eben."„Wir sollten jemanden finden, der sich an dich erinnert, vielleicht hilft dir das auf die Sprünge."Während die meisten von Gohars Leuten bei den Fahrzeugen blieb, begleiteten zwei Kerle mit Sturmgewehren die Gruppe. Als sie ins Dorf kamen schienen die Einwohner aufmerksam zu werden, jedoch machte es nicht den Eindruck, als hätten sie Angst.„Kennen euch die Leute hier?", fragte Michael. Gohar nickte.„Ja, wir kommen hier durch, wenn es die Zeit zulässt und wir genug Proviant dabeihaben. Manchmal lassen wir ihnen auch etwas aus der Hauptstadt hier. Früchte, Fleisch oder andere wertvolle Lebensmittel. Sie vertrauen uns nicht, aber sie wissen, dass wir ihnen nichts Böses wollen."„Verstehe."
Das Dorf war nicht groß. Es bestand aus ungefähr zwanzig bis dreißig Häusern, so genau konnte man das nicht sagen, da viele der Gebäude direkt aneinander gebaut waren. Von außen war es somit unmöglich zu erkennen, welcher Bereich zu welchem Haus gehörte. Die Mittagshitze war vorbei und langsam kamen die Menschen hervor. Einige begrüßten Gohar und ihre Leute, andere mieden ihre Blicke. Auf einem schmalen Balkon saß ein alter Mann mit weißem Bart, der ihm bis zu den Knien wucherte. Er nippte an einer Schale, dessen Inhalt Michael nicht erkennen konnte, doch als Gohar zu ihm hinüberblicke, grinste er nur verschmitzt.„Und, dämmert schon etwas?", fragte sie irgendwann.„I-ich weiß es nicht. Irgendwie scheint es so, als wäre. Als wäre meine Erinnerung blockiert. Aber, ja... ja, da ist etwas."Seth blieb auf einem kleinen Platz zwischen zwei sandsteinfarbenen Häusern stehen. Er lehnte sich an die Wand hinter ihm und verschränkte die Arme, während er die Augen geschlossen hielt, eine seiner üblichen Denkpositionen. Auch Michael nahm diese Haltung öfters ein, wenn er in Gedanken versunken war.„Mr. Carens? Mr. Carens sind sie das?", erklang plötzlich eine heisere Stimme mit starkem Akzent.
Seth öffnete die Augen und schaute zur Seite. Zu seiner Rechten stand nun ein klein gewachsener Mann mit krausem Schwarzen Haar und Dreitagebart. Er trag hellbraune Hosen und ein weißes Leinenhemd.„Marco?", fragte Seth: „Bist du es?"„Mr. Carens! Das muss ewig her sein! Wie geht es ihnen?"Verwirrt schauten Michael und Gohar zu ihm hinüber. Seth schüttelte dem Fremden die Hand.„Marco, das ist Michael, mein Bruder, du erinnerst dich?"„Aaah, ja. Dr. Michael!"
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Cubus - Dunkles Verlangen
Mystery / ThrillerNach einer ominösen Mordserie an seiner Universität, sieht sich Dr. Michael Green bald mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert. Er schlägt ein Kapitel seines Lebens auf, das er fast erfolgreich verdrängt hatte. Getrieben von der Suche nach Wah...