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⊱Thalia⊰

Es ist ganz normal die Dinge zu meiden, für die man sich noch nicht bereit fühlt.
Und manchmal muss man diesen Schritt einfach übergehen und keine Zeit mehr verschwenden. Ich habe schon reichlich Zeit verschwendet, deswegen muss ich jetzt einfach tapfer sein.

"Ich bin ein richtiger Arsch.", stößt Kian neben mir plötzlich aus.
Verwirrt drehe ich mich zu ihm. "Ja schon, aber warum genau?" Jedoch grinst er nicht auf meinen Versuch hin die Stimmung zu lockern.
"Die ganze Zeit will ich dich zu etwas drängen wozu du offensichtlich nicht bereit für bist!"

Er hat recht. Teilweise.

"Das ist okay, weißt du? Du gibst mir diesen Schubser der Vernunft, immer dann wenn ich ihn brauche. Ich danke dir, dass du dich so um mich sorgst..." Ich atme tief ein und schließe für einen Moment meine Augen.

"Seit geraumer Zeit bist du der Mensch auf den ich mich bedingungslos verlassen kann."

Seine Hand greift sanft nach meiner, wobei sein Daumen leicht über meinen Handrücken fährt. Ich tue das gleiche bei seiner Hand.

"Glaubst du, du schaffst das? Ich bleibe auch bei dir, wenn du willst.", bietet er sofort an.
Ich schenke ihm ein vertrauliches Lächeln. "Danke, wirklich, ich danke dir von Herzen, für die letzte Woche, für den heutigen Tag.. Aber das ist eine Sache, die muss ich zu hundert Prozent allein machen."

Entschlossen schaue ich zu der Haustür und dann zu Kian.
Er sieht nicht wirklich einverstanden aus, aber er nickt.

"Okay, aber du kannst mich jederzeit anrufen, ich kann dich abholen und-" Hastig unterbreche ich ihn, indem ich meine Lippen auf seine lege. Es ist ein zaghafter, unschuldiger, kleiner Kuss und er sagt mehr als tausend Worte es jemals könnten.

"Ich melde mich später bei dir, ja?" Er nickt. Aber ich sehe es in seinen Augen, er ist nicht gewillt mich das allein machen zu lassen, aber er wird es tun. Er respektiert meine Entscheidung, auch wenn er sie nicht gutheißt. "Ich hoffe es."

Ich steige aus und gehe, er wartet bis ich an der Tür bin und dann winke ich ihm beruhigend zu und er fährt davon. Das geht alles so schnell.

"Danke, Kian." Mein Herz fühlt sich so voll an, wenn ich an ihn denke. Sein Name sorgt für ein Kribbeln in meinem Bauch und seine Berührungen befördern mich in den Himmel.

"Thalia?", höre ich meine Mom fragen, als ich in den Flur trete. "Ehr, Jepp, ich bins."
Heilige Scheiße.
Wie soll ich dieses Gespräch starten?

"Komm ins Wohnzimmer." Dad. Kurz sackt alles in mir in sich zusammen, aber ich reiße mich zusammen und gehe dort hin.
"Hey, Liebling." Mom greift nach meiner Hand und zieht mich neben sich auf das Sofa. "Hey."

"Wo bist du gewesen?" Dass es ausgerechnet mein Vater ist, der mich das fragt wundert mich sehr. "I-Ich war bei Kian.." Ich denke automatisch an Marcus und all das gesagte was jetzt zwischen uns steht. Schon ironisch, vorher stand so viel ungesagtes zwischen uns und jetzt ist es das was ich weiß.

"Warum hast du mir nicht bescheid gegeben?" In ihrer Stimme schwingt weniger Vorwurf als Sorge mit. "Ich habe- ich muss euch etwas erzählen."

Mein Herz rast und ich ziehe in Erwägung das alles zu lassen und einfach meinen Dad zu begrüßen. Aber jetzt ist meine Möglichkeit alles auf den Tisch zu packen, auch das über mich.

Ich stehe auf und setzte mich auf den Sessel meinen Eltern gegenüber. Ich kann nicht direkt neben ihr sitzen, wenn ich ihnen diese Nachricht überbringe.

"Thea ist.. sie ist nicht einfach so ertrunken.." Mein Dad reißt seine Augen weit auf und wirft einen Blick zu meiner Mom, die nicht weniger überrascht aussieht.

"Ich habe überlegt ob ich euch das überhaupt erzähle, weil wir sind ja alle darüber hinweg, leben unser Leben weiter und - ich, es-" Ich unterbreche mein Gestammel. "Ist es das was du denkst, Thalia?", hakt Dad nach. "Dass wir über den Tod unserer Tochter hinweg sind?" Er klingt ehrlich verletzt.

Ich will mich schämen, aber das tue ich nicht.

"Für mich schien es die ganze Zeit so. Ihr habt euer Leben weiter gelebt, ohne uns."

Meine Mutter keucht überrascht und ich schaffe es nicht ihren Augen stand zu halten. Im Gegenteil. Wie ein Feigling starre ich auf meine verknoteten Finger.

"Wie kannst du das sagen?", will er zerknirscht wissen. Doch ich höre sie ihm etwas zu flüstern. "Gibst du ihr auch noch recht?", beschwert er sich.

"Nach ihrem Tod habt ihr mich allein gelassen, ihr habt euch mit eurer Arbeit beschäftigt, euch damit abgelenkt, während ich nicht mehr klar gekommen bin. Meine Schwester war einfach weg und ihr seid es auch gewesen." Ich schlucke heftig und ringe nach Atem.
"Ich wollte nicht mehr leben. Jedes Mal als ihr morgens weg wart habe ich gedacht ich hätte es verdient, ihr habt mir das gefühl gegeben ich wäre Schuld und deswegen dachte ich es dann auch. Ich dachte ihr hasst mich, deswegen habe ich mich dann auch gehasst."

Ich höre ein leises Schluchzen von meiner Mom.

"Aber sie ist nicht gestorben weil ich an dem Abend nicht da war, sie ist gestorben weil wir aufgehört haben eine Familie zu sein."

Die Worte wiegen so viel, haben eine so tiefe Bedeutung. Und ich glaube sie drohen nicht nur mich zu zerreißen.

"Liebling...", murmelt Dad. Ich habe ihn immer noch nicht richtig angesehen. Mein Herz sehnt sich nach meinen Eltern, aber ich weiß nicht ob ich die beiden je wieder ansehen kann.

"Sie hat sich das Leben genommen, weil sie- weil sie schreckliches durchstehen musste und ich war nicht für sie da, es tut mir leid. Ich hätte für sie da sein sollen..." Unzählige Tränen rollen über mein Gesicht.
"Es tut mir leid, dass ich sie sterben lassen habe. Aber ich hätte euch gebraucht, ihr hättet für mich da sein sollen, hättet mich halten sollen als ich an meinem tiefsten Punkt angelangt bin, genauso wie es jemand bei Thea hätte tun sollen!"

"Es tut mir leid!", stoße ich leise aus und stehe auf.

Und dann schaue ich meine Familie an. Sie halten sich gegenseitig im Arm. Sie vergießen die Tränen, die ich vergossen habe. Sie spenden sich den Trost, den Kian mir gegeben hat.

"Uns tut es so unendlich leid, Thalia!" Dad springt vom Sofa auf und kommt schnell auf mich zu. Ich weiß nicht was ich erwartet habe, aber nicht dass er mich fast schon in seine Arme reißt und mich so fest an sich drückt, dass es mir alle Luft aus den Lungen presst.

"Mir tut es leid, Liebling ich liebe euch, ich liebe dich." Ich spüre die Arme von Mom sich um uns legen. Ihr Kopf findet Halt auf meiner Schulter.
"Du warst niemals Schuld und es tut mir so wahnsinnig leid, dass wir keine guten Eltern waren, wir haben uns abgekapselt und dich dir selbst überlassen." Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange.
"Wir haben ein Kind verloren, aber wir hatten noch dich und-" Sie unterbricht sich selbst um zu schluchzen.

So viel Nähe habe ich nicht erwartet, so viel Einsicht, so viel Liebe. Ich habe gedacht hiermit alles kaputt gemacht zu haben, aber wir sind schon längst kaputt gewesen.

Jetzt können wir daran arbeiten uns zu reparieren.

"Verlasst mich bitte nie wieder."
"Nie wieder, das verspreche ich."

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A/N: ich bin nicht ganz zufrieden mit dem Kapitel, aber ich liebe die Aussprache von Thalia mit ihren Eltern.

PS: Seid nachsichtig, ich hab das in der Nacht geschrieben, haha

𝐁𝐑𝐎𝐊𝐄𝐍 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt