37 • Not Perfect

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Es war mitten unter der Woche. Das stickige Klassenzimmer raubte mir jeden einzelnen Nerv. Das einzige, worauf ich mich konzentrieren konnte war das Ticken der Uhr, welches kein Ende zu nehmen schien. Mein Blick war starr an die Tafel gerichtet und dennoch hatte ich keinen blassen Schimmer, was unser Mathelehrer uns vermitteln wollte.
Ich war nicht schlecht in der Schule. Ganz im Gegenteil. Eigentlich war ich immer recht gut, da ich auch hohe Ziele hatte, wofür ich eben ein gutes Zeugnis benötigte.
Es machte mir keinen Spaß viel für die Schule zu tun, aber leider musste man das, wenn man gute Leistungen erbringen wollte. Beziehungsweise Erwartungen an einen gestellt wurden...
Vielleicht kann man sich bei vielen Leuten, die manche gerne als 'Streber'  betitelten, denken, dass diese nicht nur gute Noten schrieben, weil sie riesen Spaß daran hatten sich Tag für Tag jegliche Formeln und Vokabeln einzuprügeln.
Ich denke, dass bei jedem unfassbar viel Leistungsdruck dahinter steckt. Sei es von außerhalb wie beispielsweise den Eltern oder der Person selbst. Ausgeprägter Perfektionismus machte auch so einigen Menschen das Leben zur Hölle.

Mein Vater war das perfekte Beispiel, wenn es um Perfektionismus ging. Bei ihm gab es sowas wie schlechte Noten nicht. Und das war noch eher harmlos. Bei Dingen wie Ordnung im Haus, die Arbeit, die Familie oder das generelle Sozialleben, alles musste perfekt sein.
Der wohl größte Dorn in seinem Auge war leider Gottes sein eigener Sohn. Jaja Überraschung, ich war alles andere als perfekt. Und ja, mir war durchaus bewusst, dass das niemand war. Es konnte kein einziger Mensch auf diesem Planeten existieren, der alle Erwartungen von "Perfektion" erfüllte. Was bedeutete das eigentlich? Perfektion.
Eigentlich hatte jeder seine eigene Definition davon, aber irgendwie hatten doch auch alle das gleiche Bild vor Augen.

Perfektion ist eher eine Illusion, eine Wunschvorstellung. Und eigentlich predigten die Menschen immer, niemand sei perfekt und dennoch strebten alle danach. Sei es bewusst oder unbewusst. Jeder wollte doch irgendwie nur reinpassen und sich Fehler zu erlauben schien dabei das Worst-Case-Szenario zu sein.
"Alle machen mal Fehler. Daraus lernt man doch nur.", sagten sie, aber dachten selbst tage- oder sogar wochenlang darüber nach, wenn ihnen einmal versehentlich ein Fehler unterlaufen war... oder machten andere dafür runter oder gaben ihnen sogar die Schuld, weil sie es sich nicht eingestehen konnten, wenn sie mal falsch lagen.
"Wir sind doch auch alle nur Menschen", sagten sie, nur um im nächsten Moment über jemanden herzuziehen, der gerade mal ein wenig aus der Reihe tanzte. Aber seht doch bitte über meine eigenen Fehler hinweg, jaja.
"Mensch ist Mensch", sagten sie, aber regten sich über die Dame im Supermarkt auf, die einen Hijab trug.
"Andere interessieren mich nicht, jeder soll machen wie er will", sagten sie und dennoch schauten sie ihre Arbeitskollegin auch nach 2 Jahren immer noch schief an, weil sie auf Facebook gesehen haben, dass sie eine Frau geheiratet hat.
"Ist sie lesbisch? Das es sowas in unserer Firma gibt. Seltsam, wie sich das verbreitet, wenn Gott doch Mann und Frau kreiert hatte.", sagten sie. Aber was andere machten interessierte sie doch gar nicht.
Oder etwa doch?
Klingt für mich wie eine Doppelmoral.

Menschen waren komisch, widersprachen sich ständig. Niemand wollte so richtig seine Fehler eingestehen und wenn dann nur mit sehr viel Überwindung. Sie gaukelten anderen eine heile Welt vor und insgeheim zogen sie doch über sie her.
Menschen widersprachen sich konstant.
Menschen waren komisch.

Und ein weiteres riesen Problem der Menschen stellte ihr purer Pessimismus dar. Wie sie sich alle immer nur an negativen Dingen aufhielten.
Sie konzentrierten sich auf das schlechte, anstatt ihren Fokus auf das Positive zu legen. Bestes Beispiel dafür war doch auch das Schulsystem, welches sowieso totaler Bullshit war. Die Schüler werden darauf gedrillt  keine Fehler zu machen, konzentrierten sich nur auf ihre Fehlerpunkte, sollen mehr Zeit darein investieren, was sie nicht verstehen und wo ihre Schwächen liegen, anstatt ihnen beizubringen ihre Stärken auszubauen.
Und so wird jedem eingetrichtert, dass man überall gut sein muss, eine gute Leistung zu erbringen um erfolgreich zu sein. Scheiß egal, was sie später mal werden wollten. Hauptsache sie konnten die binomische Formel im Schlaf aufsagen, auch wenn diese sie als Kinderpfleger*in absolut nichts weiterbrachte.

Punkt Eins || taekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt