Teil 9 | Abstand

6 2 0
                                    

Schon seit einer Stunde verstecke ich mich hier. Vor ungefähr zwei Stunden bin ich aufgestanden mit einem schlechten Gewissen.
Ich habe Noah geküsst.
Ich habe David betrogen.
Ich war egoistisch.
Und jetzt weiß ich nicht was ich machen soll. Wie soll ich Noah über den Weg laufen? Wie soll ich mich verhalten?
Ich richte mich langsam auf, streiche mein langes Kleid glatt und fahre mir durch die Haare.
Ein- und Ausatmen, nicht vergessen.
Langsam drücke ich die Türklinke herunter und taste mich so leise wie möglich auf den Flur. Von der Küche höre ich laute Stimmen, sie lachen.
Gibt es gute Neuigkeiten?
Ich laufe die Treppe hinunter und laufe in die Küche.
„Sie ist auch mal wach!"
Ich haue Jannik auf die Schulter.
Alex und Noah sind an der Theke angelehnt, Jannik und Bryson sitzen am Tisch.
Mein Blick wandert kurzzeitig zu Noah, doch der ignoriert meine Anwesenheit komplett.
Alex und ich tauschen ein kleines Lächeln aus.
„Elias kann in ungefähr einer Woche wieder aus dem Krankenhaus kommen. Er muss sich aber erholen, nach dieser Woche bringen wir ihn zu dir nachhause.", Jannik löffelt in seiner halb-volle Müslischale.
„Heißt das ich muss wieder nach Bleaksville?"
„Das wäre das Beste.", Alex schaut hinab.
„Ich verstehe...", mein Blick senkt sich und ich bemerke, dass Noah sich räuspert und an mir schnell vorbeiläuft.
Diese Reaktion war nicht anders zu erwarten. Natürlich war sie es nicht...
„Dann packe ich lieber meine Sachen."

So schnell wie ich unten war, lande ich genauso schnell in das Zimmer von Elias und räume es ein wenig auf.
Meine Klamotten packe ich in meinen Koffer, den ich mitgenommen habe.
Mit Druck schließe ich den Koffer und bemerke, dass meine Augen gegen meinen Willen Tränen formen.
Ich möchte nicht weinen, ich möchte nicht verletzt werden, ich möchte so nicht behandelt werden.

Davor haben wir Blicke, einige Wörter oder sonst was ausgetauscht.

Und jetzt ist da gar nichts.

Ich wische mir die Tränen weg, hole mein Handy aus der Tasche und rufe David an.
Mein Rücken ist in Richtung Türe gedreht, also habe ich nicht bemerkt, dass an der anderen Seite der Türe jemand steht.
Ich habe nicht bemerkt, dass man mit mir reden wollte.
„Sarah! Endlich! Ich habe mir solche Sorgen gemacht, wie geht es dir?"
„Mir geht es gut David, oder zumindest akzeptabel...", ich atme tief ein und aus,"Hör zu..."
„Das klingt aber nicht gut..."
„Ich möchte heute meine Sachen holen. Es ist mir alles zu viel in letzter Zeit."
„Verstehe..."
Ich zögere, soll ich ihm von dem Kuss erzählen?
„Sarah, es war eine schöne Zeit mit dir. Ich hoffe du weißt, du kannst dich immer bei mir melden."
„Ich weiß, danke..."
„Du hast ja die Schlüssel...ich arbeite heute."
Und somit legt er auf.

Erleichterung.

Ich verspüre eine große Erleichterung.
Das Gefühl beobachtet zu werden verschwindet nicht, also drehe ich mich um, mache die Türe auf, doch sehe niemanden.
„Ich werde noch verrückt...", flüstere ich.
Also schließe ich die Türe und gehe die Treppen herunter.
Alle außer Noah stehen vor der Haustüre.
„Pass bitte auf dich auf.", sagt Alex und umarmt mich.
Ich werde von einer Gruppenumarmung überrumpelt. „Alles gut, keine Sorge.", ich lächele.
„Du hast schon genug Scheiße gebaut, diese eine Woche wirst du wohl aushalten.", Bryson drückt mir die Hand.
Ich nicke als Antwort.
Nach der kurzen Verabschiedung steige ich in mein Auto, lege meinen Koffer ab und zögere wieder.
So möchte ich nicht gehen.
So kann das nicht enden.
Ein Teil in mir hofft, dass Noah die Treppen herunterkommt. Mir sagt, dass ich bleiben soll.
Aber das ist keine Liebesgeschichte.
Wir gehören nicht zusammen.

Also schließe ich die Autotüre, schalte das Auto an, winke den Jungs zu und fahre meinen Weg zurück.
Ich möchte zuerst bei David vorbeischauen. Meine letzten Klamotten abholen und dann muss ich nachhause.
Meine Eltern haben keine Ahnung von alldem.
Zumindest glaube ich das.
Ich möchte für einen Tag nur Ruhe bewahren.
Normalsein.
Das möchte ich.
Ich rufe meine Mutter an, die direkt rangeht.
„Hallo Schatz! Alles okay? Wie lange möchtest du noch bei Anisa bleiben?"
Übrigens, das war wieder eine Lüge.
„Ich bin heute Abend wieder da! Mach dir keine Sorgen, möchtest du einen Film anschauen?"
„Das würde ich gerne."
Wir reden noch ein bisschen über Elias, meine Mutter erzählt mir, dass sie von ihm nichts gehört hat, aber das bestimmt alles gut ist.
„Alles gut, er hat mir erzählt, dass er in letzter Zeit fast nie am Handy ist. Du weißt schon, Zeit mit Freunden genießen und so."
Sie kichert,"Ja das kann ich gut verstehen.", sie stoppt ganz kurz,"Hör zu, wir werden für die nächsten zwei Wochen nicht da sein, dein Vater und ich müssen auf Geschäftsreise, aber wir haben dir Geld dagelassen, du kannst machen was du willst. Wir hören uns später, ich muss jetzt wieder los."
„Alles klar, wir sehen uns!"
Und somit endete das kurze Gespräch.
In letzter Zeit ist alles in den Bach runtergefallen.
Vielleicht war alles schon beschissen und ich habe das nur nicht gesehen.
Es sind so viele Sachen passiert, dass ich nicht weiß wohin mit mir.
Wo soll ich hin? Was soll ich sagen? Mit wem soll ich reden? Ich habe keine Ahnung.
Es ist mir alles zu viel.
Ich hatte alles in LA, einen Freund, gute Freunde, einen Bruder, der nicht ständig in Gefahr war.
Und jetzt?
Jetzt habe ich Angst.
Einfach nur Angst.

NoahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt