9. Freunde

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„Ich schwöre dir, wenn dieses Ding endlich aus mir raus ist, mache ich einhundert Luftsprünge." Meine beste Freundin lehnte sich mit einem gequälten Blick in ihrem Stuhl zurück. Eine Hand drückte sie in ihren unteren Rücken, die andere fuhr sanft über ihren Bauch.
Ihren riesigen, kugelrunden Bauch.

Mit einem ehrlichen Lächeln bedachte ich meine hochschwangere Freundin. „Ruby, ich bin mir sicher das wird noch eine Weile dauern, bis du das machen kannst. Wenn du das überhaupt irgendwann wieder machen kannst..." Ich musterte die mir so vertraute, zierliche kleine Persönlichkeit im Stuhl vor mir. Ihr Bauch war mittlerweile so riesig geworden, dass ich Sorge hatte, sie würde den Tisch samt unseres leckeren Frühstücks einfach umwerfen, wenn sie jetzt niesen würde.
Ruby lachte, ihre blonden Locken hüpften aufgeregt auf ihrer Schulter. „Ach, stell dich nicht so an, Mary" antwortete sie und sah mich liebevoll an. „Was rein kommt, kommt auch wieder raus." So wie sie das sagte, verzog ich angewidert das Gesicht.

Ruby war zwar schon immer meine beste Freundin gewesen und mit immer meine ich wirklich solange ich denken konnte, doch weder die Vorstellung wie sie ein Kind zeugte, noch wie sie eines wieder aus sich rausbekommen sollte, stimmte mich fröhlich.
Schon als wir damals im Garten ihrer Eltern, mit unseren Puppen und Kinderwagen gespielt haben, war jedem klar, sobald sie auch nur ansatzweise einen anständigen Typen an ihrer Seite hätte, würde Ruby alles dafür tun, endlich Mutter zu werden. Von nichts anderem hatte sie dann gesprochen, als sie Nat kennen gelernte hatte.

Nat, eigentlich Nathanel, war damals Austauschschüler bei uns. Es war mir immer ein Rätsel, wieso ein amerikanischer Football-Spieler ein Austauschjahr bei uns, in einer Kleinstadt in Deutschland, absolvierte, doch wenn ich nach mittlerweile fast 10 Jahren ihn und Ruby ansehe, musste es wohl nichts anderes als Schicksal gewesen sein.
Wie in einem typischen High School Drama, hatten die beiden sich gesehen, die Gefühle für einander ewig nicht zugeben wollen und sich dann in einem riesigen Streit, endlich gestanden, was sie für den anderen empfanden.

Und jetzt, knappe 10 Jahre und ungefähr 9.500 km entfernt von unserer Heimatstadt, sitze ich mit meiner Hochschwangeren Freundin, in einem Lokal zum brunchen, mitten in Los Angeles.

Obwohl es eigentlich Liz' Idee gewesen war, saßen wir bis jetzt noch zu zweit im Huckleberry. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl in diesem Café. Von Kuchen bis Burger, gab es hier alles was man sich vorstellen konnte. Die Einrichtung war sehr familiär und ruhig, es wirkte fast wie ein vertrautes Wohnzimmer, in dem man jeden Sonntag zum Kaffee verabredet war.

Meine beste Freundin war gerade dabei, ihr zweites Stück Blaubeer-Tarte zu verputzen, als sie sich dramatisch in ihrem Stuhl zurücklehnte. Sie versuchte, ein Bein über ihr anderes zu kreuzen, doch ihr riesiger Babybauch verhinderte es. Genervt stellte sie ihr Bein also wieder auf dem Boden ab, lehnte sich nach vorne um ihr Gesicht auf ihre Hände stützen zu lassen und sah mich aus ihren großen, eisblauen Augen an.

„So, Mary. Zwei Kaffee sind leer. Ich höre?" Sie wackelte mit den Augenbrauen und sah mich erwartungsvoll an. Ich verdrehte die Augen. Seit der Hälfte ihrer Schwangerschaft, beschwerte Ruby sich über ihre langanhaltende „Schwangerschaftsdemenz", aber die Sachen, die sie wirklich lieber vergessen sollte, behielt sie sich natürlich immer.
„Was willst du wissen?" fragte ich, leicht genervt aber auch etwas amüsiert.
„Wann, wo, wer und was ist passiert?"
Ich atmete tief durch und wappnete mich innerlich für dieses Gespräch. Niemand, wirklich niemand, wusste so viel über mich wie Ruby. Normalerweise machte es mir auch überhaupt nichts aus, mit ihr über meine männlichen Bekanntschaften zu reden. Als wir noch jünger waren, so mit 20 oder 21, führte sie sogar eine Zeit lang Buch über meine Erlebnisse in den Bars und Clubs, die wir beide besuchten. Einmal im Monat trafen wir uns dann immer und erstellten ein Ranking, von meinem schlechtesten, bis besten Ausflug im Nachtleben. Bei Gott, diese Abende waren einfach immer die besten gewesen.

getting down in americaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt