Kapitel 7 : Gefühle

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Nickis Sicht

Vorsichtig, darauf bedacht, Eddie nicht wehzutun, helfen wir ihm, sich in den Kofferraum zu legen. Der Wohnwagen von Max' Mom ist nur zehn Minuten von hier entfernt, auf einem alten Wohnwagenabstellplatz, wo vielleicht noch ein oder zwei Menschen wohnen.

Wir quetschen uns alle ins Auto und fahren los. Keiner sagt ein Wort. Die Geschehnisse der letzten Stunden hängen wie eine düstere Wolke über uns. So vieles ist passiert, und es ist gerade mal Samstagabend. Alles kommt mir so unreal vor.

Endlich angekommen, steigen wir aus, und Max schließt den Wohnwagen auf. „Okay, macht bloß nie das Licht an, verstanden? Und, ähm, der Wohnwagen ist nicht ans Wasser angeschlossen, aber es gibt ein Bett und ein Sofa, also…“

Ich nicke. Besser als die alte knarzige Hütte, denke ich mir, und helfe Eddie, sich auf das Sofa zu legen. Vorsichtig schiebe ich sein Shirt hoch und blicke mir die Wunde nochmals genauer an. Eine große klaffende Wunde auf der rechten Seite, etwa drei Zentimeter unterhalb der Rippen. „Wir brauchen etwas, um die Wunde zu desinfizieren, und etwas, um sie zu verschließen“, sage ich so selbstbewusst wie möglich. Eddies Augen weiten sich. „Verschließen?“ Er hat Angst, das weiß ich, aber es gibt keine andere Möglichkeit.

Steve, Max und Lucas machen sich auf den Weg, um alles zu besorgen, was wir brauchen. Robin und Dustin sitzen auf dem Boden, und ich setze mich vor das Sofa zu Eddie. „Lucas und Max, die beiden sind echt süß“, sagt plötzlich Robin, und ich nicke. Typisch Robin, das Liebesleben der anderen ist wohl ihr Lieblingsthema. Dustin lacht auf. „Ja, süß, aber nervig.“ Wir alle lachen leicht. „Was läuft eigentlich zwischen Wheeler und Steve?“, fragt Eddie. Überrascht über seine Anteilnahme erzähle ich ihm die Story von Nancy und Steve. Sie waren ein Paar in der Highschool, bis Jonathan sie Steve weggeschnappt hat. Er grinst. „Jonathan Byers? Steve ist doch viel heißer.“ Ich und Robin nicken einstimmig, nur Dustin verzieht das Gesicht, und ich pruste lauthals los.

Solche Momente genieße ich. Es fühlt sich fast normal an.

Steve und die anderen zwei kommen mit zwei vollgepackten Tüten zurück. Max legt alles auf den Tisch und wirft mir eine Flasche zu. Ich öffne sie und will gerade einen großen Schluck nehmen, als Max mich aufhält. „Das ist Alkohol, um die Wunde zu desinfizieren.“

Ich nicke schüchtern und sehe von der Seite, wie Eddie sich ein Lachen verkneifen muss. „Ha-ha“, sage ich und haue ihm spielerisch auf den Oberarm.

Ich stehe auf und gehe zum Tisch. Verbandszeug, Nadel und Faden, Schmerzmittel und eine Menge Tupfer und Tücher. Bei dem Anblick wird mir schlecht. „Ich mach es… jemand muss ihn einfach festhalten.“ Max ist meine Lebensretterin. Sie hat so viel durchgemacht im letzten Jahr und ist trotzdem so stark und furchtlos. Ich bewundere sie, das tue ich wirklich.

Wir räumen alles weg, damit Eddie sich auf den Boden legen kann. Die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Steve und Dustin halten seine Beine fest, damit er sich nicht zu sehr bewegen kann. Ich halte seine Hand, und Robin spielt die Assistentin von Max, während Lucas sicherstellt, dass niemand kommt.

„Okay, das wird jetzt weh tun, aber ich muss die Wunde säubern.“ Er nickt panisch, und ich drehe seinen Kopf zu mir. „Schau mich an, alles wird gut.“ Ich versuche, die Worte glaubwürdig klingen zu lassen, aber ich glaube nicht, dass es mir gelungen ist.

Max tupft Alkohol auf ein Tuch und beginnt, die Wunde zu säubern. Er schreit auf und krümmt sich vor Schmerzen. „Shht, Eddie, bitte“, flüstere ich und merke, wie mir heiße Tränen die Wange hinunterlaufen. Er schreit erneut auf, und mein Herz springt mir fast aus der Brust. Steve wirft mir ein Tuch zu. Ohne Worte verstehe ich, was ich tun muss. Ich öffne Eddies Mund und stecke ihm das Tuch hinein, um seinen Schrei zu dämpfen. „Es tut mir so leid“, flüstere ich immer und immer wieder.

Ich blicke ihm tief in die Augen, halte seine Hand ganz fest mit beiden Händen und bete zu Gott, dass er ohnmächtig wird. Ihn so zu sehen, das halte ich nicht noch länger aus.

Meine Gebete werden erhört, denn in dem Moment, als Max die Nadel durch sein Fleisch sticht, wird Eddie ohnmächtig. Ich muss nicht mehr stark sein, denke ich mir, und fange an zu schluchzen. Steve zieht mich von Eddie weg und nimmt mich fest in den Arm.

Es fühlt sich an, als ob alles in mir explodieren würde, als ob jede Faser meines Körpers schreien würde. Bilder der letzten Tage schießen durch meinen Kopf: Chrissy, ihr lebloser Körper, Billy und sein hasserfülltes Gesicht, und Eddie, sein flehender Blick. Ich schluchze hemmungslos, als Max verkündet, dass sie fertig ist. Robin macht noch einen Verband um seinen Bauch, und Dustin und Lucas heben Eddie hoch und legen ihn ins Bett.

„Wie, wie geht es jetzt weiter?“, will ich wissen und versuche, mich wieder zu beruhigen. „Wir haben leider nichts von Will oder Elfi gehört. Nancy meinte, sie sei an etwas dran, aber keine Ahnung“, sagt Steve leise.

„Wir müssen einen Weg zur anderen Seite finden, oder?“, hake ich nach und erhalte ein Nicken. Niemand scheint einen Plan zu haben oder einen Anhaltspunkt, wo sich dieses Tor befinden könnte. Aber das macht nichts, für heute haben sie alle mehr als genug für mich und Eddie getan.

Es ist gegen 11 Uhr, als sie beschließen, nach Hause zu gehen. Ich umarme alle und bedanke mich bei Max tausendfach. Sie hat Eddie gerettet, und auch wenn ich selbst noch nicht begreifen kann, wie viel es mir bedeutet, weiß ich, dass ich für immer in ihrer Schuld stehen werde.

Als sie alle weg sind, beschließe ich, mich zu Eddie ins Bett zu legen. Nicht, dass ich schlafen kann, aber ich will einfach bei ihm sein. Egal, wie verrückt das klingt, ich fühle mich sicher, wenn er in der Nähe ist.

Ich mustere Eddies Gesicht, als er langsam seine Augen öffnet. Mühsam dreht er sich auf die linke Seite. Jetzt sind unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt, und er streicht mir eine Träne von der Wange.

Ohne nachzudenken, presse ich meine Lippen auf seine. Was ich für ihn empfinde? Keine Ahnung, aber zum ersten Mal seit Monaten fühlt es sich so an, als ob ich endlich angekommen bin. Im Hier, im Jetzt, in einem Leben, um das es sich zu kämpfen lohnt.

Wir lösen uns sanft voneinander, beide unfähig, etwas zu sagen. Ich lege meinen Kopf behutsam auf seine Brust, und er streicht mir durchs Haar, während ich langsam einschlafe.

Die Geschichte von Eddie dem Freak (Part One)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt