Kapitel 2 - Umbramar

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Die untergehende Sonne schien trübe durch das staubige Fenster des Raumes herein. Die Gestalt saß an einem Tisch voller akkurat gestapelten Papierseiten. Finger mit unregelmäßig geschnittenen Fingernägeln fuhren nachdenklich durch schmierige Haare.

Der Mann tunkte seine Schreibfeder in das Tintenfass und hielt sie über das Papier. Seine Augen fuhren eine lange Spalte von Zahlen entlang. Ohne zu zögern notierte er die Summe darunter.

Seine raue Stimme war leise, aber seine Sekretärin richtete sofort die langen Hasenvolkohren auf: „Es reicht nicht."

Jezebel legte die Hanteln weg, mit denen sie trainiert hatte, und ging zu ihm hinüber. Sie warf einen Blick auf die Papiere und verglich das Ergebnis der Seite mit erwartetem Einkommen, die der Nekromanten-Priester eben fertiggestellt hatte, mit der Summe der erwarteten Ausgaben. Sie nickte: „Wenn wir an der Spitze der Gilden bleiben wollen, brauchen wir Top Ausrüstung, Lehrmeister und Skill-Kristalle. Die Elitesten und die Königsmannen haben bereits Meister-Handwerker angeheuert um ihre Ausrüstung zu optimieren. Die Elitesten haben einen der Lederrüstungen fertigt, die Königsmannen haben einen Schwert-Schmied."

„Ohne einen Artefaktmagier und die notwendigen magischen Kristalle, Häute und Monsterherzen, bringt ihnen meisterhafte Ausrüstung nur einen geringen Vorteil. Aber es zieht hochstufige Helden an. Wir werden es schwer haben, gute Mitglieder zu bekommen."

„Hast du nicht genug echtes Geld in dieses Spiel gesteckt um drei andere Gilden zu kaufen?"

„Es gibt Grenzen, wieviel Nemesis mich investieren lässt. Egal wie sehr ihre Besitzer jammern und wehklagen, Nemesis akzeptiert keine Gefährdung des Spielgleichgewichtes. Reichtum muss im Spiel erworben werden. Ich habe mein Limit bereits erreicht und Ausrüstung für unsere nächste Gruppe von Anwärtern eingekauft. Noobs werden wir problemlos bekommen, aber es dauert sie hoch zu steigern."

„Das Problem wird Top Spieler anzulocken. Ich meine, wenn du sogar diesen Verräter nehmen musst..."

Der Nekromanten-Priester winkte ab: „OrkSlayer ist berechenbar. Ich wusste damals immer genau wann er mich betrügen würde. Er ist außerdem durchaus in der Lage sich vorzustellen, wie ungehalten ich sein würde, wenn er mich noch einmal hintergeht. Diesmal weiß er auch wer ich in der realen Welt bin."

„Wie ist dein Plan um an Gold zu kommen? Noobs in eine Mine schicken?"

„Minenarbeiten funktioniert identisch zur Arbeit in der richtigen Welt. Mit Spitzhacke, Hammer und Meißel auf Steine einklopfen. Magie ermöglicht vernünftige Beleuchtung und einen Schutz vor Staub. Ein mächtiger Hellseher kann ein paar Meter durch den Stein sehen um die Erzadern zu orten. Aber es ist trotzdem eine dreckige und vor allem eintönige Arbeit. Kein Spieler macht das mehr als ein paar Tage mit."

„Was dann?"

Der Nekromant stand auf. Während er sich aufrichtete, knackten seine Rückenwirbel. Jezebel unterdrückte ein sichtbares Schaudern. Er ging zum Fenster, wischte den Staub in einem breiten Streifen weg. Jezebel trat neben ihn und sah hinaus. Sie sahen auf eine große Gruppe von Menschen hinab, die vor auf dem großen Platz hinter dem Tor durch die Wallfestung zusammengedrängt waren. Stadtgardisten umringten die Gruppe, während immer nur Gruppen von drei oder vier herausgelassen wurden.

Jezebel runzelte die Stirn: „Flüchtlinge? Willst du sie als Sklaven an die Orks verkaufen?"

Umbramar gab ein abfälliges Grunzen von sich: „Natürlich nicht. Das ließe sich niemals geheim halten. Die vereinigten Königreiche verbieten Sklaverei. Stattdessen werden wir diese armen verstoßenen Flüchtlinge eines ungerechten Krieges eine Unterkunft und kostenlose Ernährung anbieten. Sie müssen nur ein wenig für uns arbeiten."

„Ein wenig?"

„Etwa 14 Stunden am Tag. Da sind alle möglichen Berufe vertreten. Helden Brauchen nicht nur Waffen und Rüstungen. Sie brauchen auch normale Kleidung, Nahrung, Werkzeug und unzählige weitere Dinge. Ich habe mehrere Lagerhallen zu Fabrikhallen umgebaut. Massenfertigung ist hier immer noch selten. Im Norden der Stadt bauen ein paar Noobs gerade eine Mühle zu einer Hammer­schmiede um. Die Schwerter, die man dort bald schmieden wird, sind hässlich und qualitativ minderwertig, aber sie sind besser als gar keine Waffe. Die Armee und die neuen Noobs werden sie uns aus den Händen reißen."

„Gut ein Viertel der Flüchtlinge sind Kinder. Das dürfte die Gewinnquote schmälern. Ich würde empfehlen das Angebot auf Familien ohne oder mit maximal einem Kind zu beschränken."

„Auch Kinder können arbeiten. Solange sie es freiwillig tun, wird Nemesis nicht eingreifen. Die Eltern unterschreiben einen Vertrag völlig ohne Zwang, und schon ist das erledigt. Sie werden kostenlose Kost und Logis lesen und die Nebenkosten im Kleingedruckten ignorieren. Das Essen in der Unterkunft ist kostenlos, aber niemand wird sie ungefragt darauf hinweisen, dass das Mittagessen in der Kantine an ihrem Arbeitsplatz sehr teuer ist. Ebenso wie die Getränke dort. In einer Woche sind sie so verschuldet, dass sie nirgends anders mehr unterkommen können. Diese Welt ist völlig ahnungslos, wenn es um Vertragsrecht geht. Ich dagegen habe auch einen Meister-Handwerker mitgebracht, ihm die ersten fünf Level gekauft und ihn danach von einer Heldengruppe powerleveln lassen. Nach drei Runden durch ein Anfänger-Dungeon, ist er nun ein Schreiber auf Level 7. Schreiber leben gewöhnlich ein ruhiges Leben. Mehr als Level 5 zu erreichen ist praktisch unerhört. Ein paar Auftritte in Gerichtsverfahren, haben seinen Rechtskunde Wert aus unserer Welt hierher übertragen. Markus Tullius ist nun einer der wenigen in der Spielwelt, mit einem Meister-Skill in Rechtskunde und Schreiben. Er hat die Verträge geschrieben, die seine Assistenten jetzt gleich verteilen werden."

Die beiden sahen zu, wie unten ein paar gut gekleidete Männer an die Wachen herantraten und nach kurzer Diskussion durchgelassen wurden. Sie verteilten sich in der Menge und sammelten schnell Zuhörer um sich. Es dauerte eine Weile, dann holten Sie kleine Klemmbretter und Pergamente heraus. Die Flüchtlinge drängten sich dicht um sie, um möglichst schnell zu unterschreiben.

Lange nicht mehr benutzte Muskeln verzogen Umbramars Gesicht zu einem zufriedenen Lächeln. Jezebel sah es und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. „Wäre das nicht eine Aufgabe für OrkSlayer gewesen?"

„Natürlich. Er ist ein begnadeter Redner. Deswegen habe ich ihn zu ein paar Waisenhäusern weiter im Norden geschickt."

Dungeon der Assassinen (Band 2: Power Levelling)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt