Die Warteschlange zog sich an fast den ganzen Häuserblock entlang. Weylan stampfte auf der Stelle und zog seinen Umhang dichter um sich. Eigentlich war es noch gar nicht so kalt, aber die Warteschlange vor dem Gildenhaus befand sich im Schatten der Gebäude. Es dauerte jedes Mal eine gefühlte Ewigkeit, bevor er ein paar kleine Schritte vorwärts kam, bis die Schlange wieder zum Stillstand kam.
Um ihn herum hatten die Wartenden Bücher oder Manuskriptrollen herausgeholt und lasen. Der junge Mann direkt vor ihm schnitzte an einem Stück Holz herum. Das Ergebnis würde entweder eine geballte Faust aus Holz oder ein Schaf werden. Weylan war sich noch nicht sicher.
Er hatte nichts mitgebracht und rief seinen Charakterbogen auf. Keine Veränderungen. Immer noch Assassine Level 1. Mit einem unterdrückten Seufzen begann er die Meldungen der Weltenstimme durchzublättern. Nach seiner Verletzung hatte er einiges verpasst. Nun hatte er die Gelegenheit nachzuschauen ob etwas wichtiges...
Queste abgeschlossen: Rettet die Graugnome
Erfolgsquote: Entscheidender Anteil an der Rettung.
Belohnung:
Attribut-Bonus: Konstitution +2
300 EP
100 Goldstücke
Schuhe des Assassinen
Er spürte wie seine Taschen voller und schwerer wurden und verkniff sich ein Grinsen. Dann sah er sich um. Keine überraschend aufgetauchten Schuhe auf dem Boden. Ganz sicher auch keine in seinen Taschen. Er hob den Fuß. Das waren nicht die Schuhe er morgens angezogen hatte. Die Schuhe, die er mit seinem Vater zusammen beim Schuhmacher des Nachbardorfes hatte anfertigen lassen. Niemand der den ganzen Tag im Gelände verbrachte, würde an Schuhen sparen. Die neuen sahen nur wenig anders aus. Hätte er seine alten Schuhe nicht zwei Jahre getragen, wäre ihm kein Unterschied aufgefallen. Aber sie passten noch besser. Sie waren leichter und beweglicher. Dazu konnte er den Boden durch die Sohlen fühlen. Als würde er Barfuß gehen. Als er probeweise fest aufstampfte, hörte er nur das leiseste Geräusch.
Die restlichen Nachrichten enthielten keine überraschenden EP, aber er fand trotzdem vieles, das ihm während der unterirdischen Schlacht entgangen war. Er war so vertieft, dass er den Pförtner, der den Eingang zum Gebäude kontrollierte, erst gar nicht gehört hatte: „He! Ich sagte der nächste! Wenn du pennst, lasse ich den nächsten rein und du kannst nochmal drei Stunden anstehen."
„Verzeihung." Weylan eilte die drei Stufen hoch und in das Gebäude. Er kam direkt in einen länglichen Raum, in dem an beiden Seiten Schreibtische aufgestellt waren. Hinter den Tischen saßen uniformierte Mitarbeiter der Stadtverwaltung, auf der anderen standen bunt gemischte Gestalten. Alt und Jung, gut gekleidet und in Lumpen. In dem freien Gang in der Mitte stand ein Mann in einer etwas aufwendiger verzierten Uniform: „Halt. Bleib bitte einen Moment ruhig stehen. Status Analyse."
Analyse Skill widerstanden.
Skill gesteigert. Gedankenblockade (Geselle II)
Weylan ignorierte die Nachricht der Weltenstimme und bemühte sich gelassen zu sein, obwohl er sich innerlich verkrampfte.
Der Mann sah gelangweilt in die Luft vor sich und seufzte. Er winkte Weylan zu ihm zu folgen und ging an ein paar Schreibtischen vorbei, bis er zu einem kam an dem der Angestellte gerade frei war. Er bedeutete Weylan sich davor zu stellen und wandte sich dann an den gemütlich dahinter sitzenden Mann: „Schäfer, Level 1. Viel Spaß." Damit drehte er sich um und nahm den nächsten Neuankömmling in Empfang.
Weylan nickte dem Mann hinter dem Schreibtisch höflich zu. Ein dezentes Schild gab seinen Namen als „Sifridus Federweiß" an. Erste graue Strähnen durchzogen seine ansonsten schwarzen Haare und der stattliche Bierbauch zeigte, dass er sich nicht oft aus seinem Stuhl erhob. Der Mann hatte die Augen leicht geschlossen und rieb sich die rechte Schläfe, als würde ihm die Nachricht Schmerzen bereiten. Seine Stimme war gelangweilt: „Noch ein Schäfer? Passt in den Ebenen überhaupt noch jemand auf eure Herden auf oder seid ihr alle abgehauen?" Er wartete keine Antwort ab: „Egal. Wir haben zwar ein paar Herden, aber schon mehr als genug Schäfer. Mit nur einem Level würde es dich nicht viel Erfahrung kosten auf eine andere Charakterklasse zu wechseln. Hättest du Interesse? Ich würde es dringend empfehlen, solange du noch kannst."
„Ich weiß nicht. Kommt darauf an. Was gibt es denn? Stadtgardist? Soldat? Leibwächter?"
Sifridus öffnete die Augen und musterte Weylan beiläufig. Seine Mundwinkel zuckten kurz abfällig. Er unterdrückte ein Lachen und schüttelte den Kopf: „Nein. Kampfklassen werden nur Einwohnern der Vereinten Königreiche gelehrt. Bürger der neutralen Gebiete sind davon ausgeschlossen. Die Gefahr, dass Spione und Saboteure eingeschleust werden könnten ist viel zu groß. Außerdem hast du kaum die erforderlichen Attributwerte für eine Kämpferklasse.
„Ich habe Körperkraft auf 12 und Geschicklichkeit auf 14!"
Sifridus hielt den Kopf schief und sah ihn zum ersten Mal genauer an: „Tatsächlich? Wie sieht es mit Intelligenz aus?"
Weylan senkte den Kopf und antwortete nur widerwillig: „Zehn."
Der städtische Angestellte rieb sich nachdenklich das Kinn und schüttelte dann den Kopf: „Schade. Er wollte mindestens Intelligenz 12. Ich habe ihm einmal jemanden mit 11 vorgeschlagen, du hättest ihn hören sollten. Aber das tut nichts zur Sache. Das war vor der Heimsuchung." Er lehnte sich zur Seite, zog eine Schublade auf und holte nach einigem herumkramen ein Blatt Papier heraus. „Hier ist die Adresse. Melde dich bei Meister Ruttgar." Während Weylan verwirrt das Blatt in der linken Hand hielt und den Namen einer Taverne las, schüttelte Sifridus ihm die an andere Hand: „Willkommen in der spannenden Welt der Spülküchen!"
„Nein!" Weylan ließ das Papier fallen, als hätte er sich verbrannt. „Wenn ihr nichts Besseres habt, suche ich mir selber eine Anstellung!"
Der Mann schüttelte den Kopf: „Ohne Arbeitsplatz hast du kein Einkommen. Zumindest kein legales. Und da wir keine Verbrecher oder Bettler in der Stadt haben wollen, nimmst du entweder was du angeboten bekommst, oder wirst aus der Stadt geworfen."
Wie aus dem Nichts tauchten zwei großgewachsene Stadtgardisten hinter Weylan aus. Er bemerkte erst jetzt die dunklen Alkoven in denen sie bereitgestanden hatten. Noch machten sie keine bedrohlichen Gesten oder Gesichter. Der linke lächelte ihm sogar beruhigend zu: „Keine Sorge. Wir mussten schon lange niemanden von der Wallmauer werfen. Das machen wir immer erst beim zweiten Vergehen."
Der andere Gardist sah ihn nur finster an.
„Gibt es wirklich nichts Besseres, als Spüler in einer Taverne?"
„Nichts wofür du ohne die richtige Klasse geeignet bist."
„Ich habe schon genug EP für den nächsten Level, dann kann ich Intelligenz steigern."
„Wieso bist du dann nicht automatisch aufgestiegen?"
Weylan zögerte einen Moment und senkte dann den Kopf, als ob ihm die Antwort peinlich wäre: „Ist ein Nachteil."
Sifridus breitete die Arme aus: „Du hast Unselbständiger Lehrling als Nachteil? Das ist ja fantastisch! Nur mit einem Lehrmeister leveln zu können, sollte wirklich nicht als Nachteil zählen. Damit kannst du gezielt deine nächste Klasse wählen. Du hast wirklich schon genug EP für den nächsten Level?"
Der grimmige Stadtgardist mischte sich ein: „Moment mal, wo willst du Milchschlürfer denn EP herhaben? Vom Schafe fi..." Der andere Gardist rammte ihm den Ellenbogen in die Seite, so dass er mit einem Husten endete.
„Von einem Wolfsüberfall."
„Wieso hast du danach nicht gleich geleveled?"
„Mein Lehrmeister war mein Vater, der Schäfer des Dorfes."
„Dann hätte er dich doch... oh... ich verstehe... die Wölfe?"
Weylan nickte nur. Selbst der grimmige Gardist sah etwas betroffen aus. Herr Federweiß erholte sich am schnellsten: „Nun, jedenfalls kannst du so extrem schnell eine neue Klasse lernen. Im Schloss brauchen sie dringend noch ein paar Domestiken. Das sind Hausdiener, die vor allem anspruchsvollere Aufgaben und die Organisation der anderen Diener übernehmen. Der Haushofmeister des Barons sucht dringend einen Lehrling. Klug, geschickt und lernfähig. Wenn du nach ein paar Tagen schon Domestik als Charakterklasse erlernst und diesen und den nächsten Level deine Intelligenz steigerst, wird er sicher zufrieden sein. Bis dahin versuch einfach dich nicht zu dumm anzustellen. Also? Interesse?"
Weylan nickte.Alles würde besser sein als den ganzen Tag Teller und Gläser zu spülen. OderSchafe zu hüten.
DU LIEST GERADE
Dungeon der Assassinen (Band 2: Power Levelling)
FantasyNach der Rettung der Graugnome fangen die Probleme der NSCs erst an. Das Dungeon muss zu einem dauerhaften Wohnort für die Graugnome umfunktioniert werden. Die NSC Helden müssen ihre Fähigkeiten und Ausrüstung schnellstens auf ein Niveau bringen, m...