Schule des Todes

Mordtheorie

Mit den Nerven am Ende komme ich bei Mrs Cooper in der Bibliothek an. „Entschuldigen Sie bitte die Verspätung, ich bin gleich soweit!", keuche ich, als ich vor meiner Direktorin stehe. Sie lächelt gütig und sagt: „Komm erstmal zu Luft Charlotte. Ich habe uns einen Raum gemietet, dort werden wir gleich beginnen." Mrs Cooper führt mich in einen kleinen Saal in der riesigen Bibliothek und ich sehe mich erstaunt um.
Der Saal besitzt eine riesige Empore, Bücherregale bis zur gläsernen Kuppel. Ein leises Wow bringe ich heraus. Langsam schreite ich, den Kopf schief gelegt, um besser die ledernen Einbände der teils sehr alten Memoiren bereits verstorbener Personen zu lesen. Bei einem Tagebuch bleibe ich stehen. Das Tagebuch des Jack the Ripper. Ich stocke kurz. Mrs Cooper lächelt. „Jack war 1988 einer der besten Schüler des Internats. Auch wenn sein Werdegang tragisch ist, immerhin weiß bis heute niemand, wer er wirklich ist. Meine Urgroßmutter hatte ihn selber als Schüler. Und nicht nur sein Memoiren sind hier zu finden. Auch Samuel Little, Ted Bundy und John Wayne Gacy sind hier zu finden. Alles leider hoffnungslose Fälle. Sie alle hatten Potential, doch nicht so ein großes wie du, um für das Allgemeinwohl zu kämpfen." Ich lächle. Doch dann sehe ich auf den nächsten Buchrücken.
Dr Harold Shipman - Dr Death.
Ich blicke Mrs Cooper an. Selbst er ist aus dieser Schule hervorgegangen? „Ja, du könntest mit deinem Abschluss auch Medizin studieren, Harold hat es gemacht und wir wissen ja, wie es ausging."
Ich nicke. Nie im Leben habe ich erwartet, hier solch berühmt berüchtigte Personen wiederzufinden.
Mrs Cooper, die gemerkt hat, dass ich ruhiger geworden bin, sagt: „Ich weiß, dies ist vielleicht etwas viel für den Anfang. Aber du wirst niemals so. Das spüre ich. Du hast nämlich etwas, dass die anderen nicht hatten... Liebe in deinem Herzen."
So einen geschickten Blick hat Mrs Cooper wahrscheinlich ewig nicht mehr gesehen. „Charlotte, Liebe ist etwas gutes, gerade in unserem Beruf, man sollte sie nur nicht zu seiner Schwachstelle machen lassen. Solange Noah sicher im Internat ist, kannst du beruhigt Menschen ermorden, doch sobald du ihn auch nur in Gefahr weißt, herrscht das Chaos in deinem Kopf. Morden ist das süßeste auf der Welt, mach es zu deiner großen Liebe im Auge des Widersachers und dann passiert keinem von euch etwas. Du lernst erstmal Ruhe. Ohne Ruhe überlebst du nicht und ich fürchte, dass auch deine Freunde nicht ohne deine Ruhe überleben können. Morden ist Teamarbeit."
Mrs Cooper setzt sich mir gegenüber und klopft vor sich auf den Boden. Ich setze mich hin und sehe meine Rektorin erwartungsvoll an. Sie sagt: „Setz dich gerade hin und schließe die Augen. Lass die Ströme durch dich hindurch fahren und lausche nur der Stille." Ich tue, wie mir geheißen und setze mich gerade hin. Mrs Cooper legt mir einen kleinen Stapel Bücher auf den Kopf, welcher natürlich sofort hinunterrutscht. Ich hebe ein wenig das Kinn, beginne ruhiger zu atmen und sie legt mir erneut die Bücher auf den Kopf. Er bleibt oben liegen. Sie setzt sich mir gegenüber wieder in den Schneidersitz und beginnt ebenfalls ruhiger zu atmen.
Wir sitzen mindestens eine halbe Stunde lang so da, als meine Uhr vibriert. Ich versuche es zu ignorieren, doch Mrs Cooper sagt: „Sieh ruhig hin, die Bücher werden, wenn du weiter ruhig bist, auf deinem Kopf bleiben." Ich hebe ein wenig meinen Arm von meinen Beinen hinunter und sehe, dass Noah mir geschrieben hat. Es ist nur ein Wort, doch es lässt mich sofort unruhig werden.
Wehe
Ich weiß genau, dass er meine Geschichte gelesen hat. Doch ich ziehe mein Handy unter meinen Beinen hervor und schreibe:
Was hatte ich schon für eine Chance?
Natürlich weiß ich, dass er meinen angedrohten Suizid meint, aber ich tue mal so, als würde ich nicht wissen, worüber er schreibt.
Mein Atem beginnt schneller zu werden und ich beginne zu zittern. Erst leicht, doch irgendwann bebt mein ganzer Körper und selbstverständlich fliegen die Bücher hinunter.
Mrs Cooper sieht mich missbilligend an. „Charlotte, Ruhe bewahren!" Ich nicke und weiß, dass der Tag gelaufen ist.
Doch die Bücher lege ich wieder auf meinen Kopf und schalte Noah bei WhatsApp stumm. Kurz Ruhe. Ich atme tief ein und wieder aus. Noch immer Ruhe. Doch dann ...
Mrs Cooper spielt eine Audioaufnahme ab.
Ich höre meine Familie um Hilfe schreien.
Mein Puls beschleunigt sich.
Meine Freunde.
Mein Herz springt mir fast aus der Brust.
Noah.
Ich schreie: „Aufhören! Bitte!"
Ein Stapel Bücher poltert auf den Boden und ein paar Seiten fliegen heraus. Ohne es zu bemerken bin ich aufgesprungen. Mein ganzer Körper bebt und ich halte mir die Ohren zu.
Mrs Cooper steht ruhig auf, kommt auf mich zu und möchte mir die Hände von den Ohren nehmen. Doch als sie ihre Hand hebt, schlage ich sie weg. „Wieso tun Sie mir das an? Wieso ich?", brülle ich sie an. Mrs Cooper legt ihre Hand beruhigend auf meinen Arm. „Weil du etwas besonderes bist Charlotte. Du erinnerst mich sehr an meine Tochter. Ein kleiner Wirbelwind, der eigentlich nur gutes tun möchte und dann passiert ausversehen ein Unglück. Du bist unsere große Hoffnung. Die Welt wird von Mächten bedroht, die wir uns nicht vorstellen wollen. Und nur, wenn wir einen Anführer, wie dich, haben, können wir die Welt vor weitaus schlimmeren als nur Mrs Scott befreien!"
Sie verlässt den Raum und lässt mich alleine. Kaum ist sie draußen, sinke ich am Boden zusammen und mir laufen stumme Tränen die Wangen hinunter.
Ich kann das nicht. Direkt am dritten Schultag aufgeben aber auch nicht. Also hole ich mir ein Buch aus dem Regal, lege mir einen anderen Stapel auf den Kopf und beginne in dem Buch zu lesen.
Direkt auf der ersten Seite stehen einprägsame Worte, die ich vermutlich noch häufiger hören werde, solange ich auf diese Schule gehen werde.

Je mehr Menschen man liebt, desto schwächer wird man. Wieder besseren Wissens, tut man ihnen Gefallen. Man handelt wie ein Narr, um sie glücklich zu machen, sie beschützt zu wissen. Liebe niemanden außer deinen nächsten. In dieser Beziehung hat ein Mörder keine Wahl.

Na super. Verlieben ist vollkommen natürlich. Doch ich weiß, dass wenn ich mich noch mehr verliebe, angreifbar werde. Oder Noah womöglich umgebracht wird.