Klartext

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Die Schulleiterin und ihre Schwester führen uns in das geräumige Schloss, das von innen weniger groß zu sein scheint, als von außen.
Im Schloss treffen wir auch auf die Kinder dieser, wie uns die Schwestern erzählen, adligen Familie. Aber sie beharren darauf, dass wir nicht knicksen oder so, sondern einfach unseren Spaß haben.
Die beiden Mädchen sehen sehr nett aus. Eine von ihnen hat langes, gewelltes rotes Haar, stechend grüne Augen und ein mit Sommersprossen überdecktes Gesicht. Sie trägt ein halblanges grünes Kleid mit einer Lederjacke. An ihrem Finger trägt sie einen Ehering.
Dieses Mädchen ist nicht viel älter als ich und ist schon verheiratet? Ich werde diese Adligen nie verstehen. Was soll's? Ist nicht mein Problem.
Das andere Mädchen ist ein Stück größer als das andere und hat etwa meine Haarfarbe und blaue Augen. Neben ihr taucht ihr perfektes männliches Ebenbild auf. Die beiden stellen sich als Helen und Charlie vor, das rothaarige Mädchen als Carlotta.
Irgendwann kommt auch von hinten ein hochgewachsener Junge zu dem rothaarigen Mädchen. Er stellt sich als Luke vor. Ich höre sofort an seinem Akzent, dass er aus Deutschland zu kommen scheint.
Auf einmal ruft Helen in einen Raum, der sich als Küche herausstellt: „Marco, die aus dem Irrenhaus sind da."
Wow, kluger Schachzug. Unsere Schule als Irrenhaus zu bezeichnen. Ich nehme es ihr nicht übel, immerhin war die Schule mal eine Psychiatrie.
Aus dem Raum, in den sie hineingerufen hat, kommt ein Junge mit schwarzen Haaren, gebräunter Haut und braunen Augen heraus. „Hi, ich bin Marco, schön, euch kennenzulernen.", stellt er sich vor und reicht jedem von uns die Hand.
Ich merke auch hier direkt am Akzent, dass er nicht von hier und entpuppen tut sich der Akzent als Spanisch.
Hinter uns tauchen auch noch ein definitiv jüngeres blondes Mädchen und eine ca vierzig jährige blonde Frau mit Brille auf.
„'allo, isch bin Gabrielle, die Halbschwester der Mädschen und Charlie.", sagt sie.
Definitiv Französin.
Die andere Blonde Frau, ich denke ihre Mutter, stellt sich mit perfekter irisch-englischer Aussprache als Lou Kaichonski-Warren vor.
Wo war dann aber die Mutter von Gabrielle, denn Lou wird es sicher nicht sein.
Okay. Nur nicht durchdrehen. Das ist also eine Großfamilie, in der hauptsächlich Frauen leben. Irgendwo müssen diese ganzen Kinder aber herkommen.
Ich bin echt neugierig, frage aber lieber nicht nach, sonst falle ich direkt am ersten Tag hier auf.

Im Laufe des Tages lernen wir das ganze Schloss, die Ställe, das Dorf und die Umgebung kennen. Amelia und ich schnappen uns mit Helen und Carlotta auch zwei Pferde und machen einen Ausritt.
Carlotta reitet auf einem schwarzen Hengst, während Helen auf einer Braunen Isländerstute reitet. Amelia und mir wurden zwei fast weiße Pferde zugeteilt, die Lonestar und Rose heißen. Ich frage auch hier nicht wegen der Namen nach, denn ich habe auch heraus gefunden, dass die Familie Pferdezucht betreibt und daher jeder Name von ihnen kommt.
Helen, die braunhaarige der beiden, spricht mich irgendwann an.
„Du bist Charlotte, richtig?"
Ich nicke. Auch, wenn mir Charly lieber ist, aber der ist in dieser Familie schon vergeben und würde nur für Verwirrung sorgen.
„Ich sehe, dass du sehr neugierig bist. Ich kann dir bisschen erzählen, wenn du willst."
Ich bin natürlich hellauf begeistert.
„Alles hat vor einigen Jahren angefangen, naja eigentlich Jahrhunderten, aber unsere Geschichte erst vor ein paar Jahren. Laut einer Prophezeiung aus dem sechzehnten Jahrhundert oder so, gibt es pro Generation immer vier Kinder. Wie ihre Beziehung zueinander ist, ist egal, sie müssen nur in dieser Generation der Familie sein. Eine rothaarig mit grünen Augen, die anderen sind blond oder braunhaarig. Ach und ein Geschwisterkind wird früh sterben, der Rest wird alt. Frag nicht, dass hat sich irgendein Medikus damals ausgedacht. Naja auf jeden Fall sind die mit den grünen Augen und roten Haaren zu etwas größerem bestimmt. Das war bei uns Carlotta. In der Generation unserer Mütter hatte niemand grüne Augen, deswegen bleibt die ganze Scheiße an uns hängen. Wir mussten in den letzten Jahren ein paar Verluste durch unseren Vater Benedikt Kaminski betrauern. Unteranderem den unserer Schwester Evanna, unseres Onkels Heinrich und unsere Cousine, um einige Ecken, Vera. Er war ein wenig Mordsüchtig, deswegen ist er jetzt hinter Gittern. Naja, auf jeden Fall war Carlotta dazu bestimmt, sich darum zu kümmern, dass er ins Kittchen kommt. Zwischendurch hat sie noch ihren Freund Luke geheiratet, das war letztes Jahr. Evanna wurde am Tag vor der Hochzeit ermordet und ihre Leiche vorbeigebracht. Was soll ich sagen, unsere Familiengeschichte ist Crazy und hat ziemlich viel mit Mord zu tun. Also nicht, dass morden kein Spaß machen würde, versteh mich jetzt nicht falsch, aber... okay, das kommt auch komisch. Tut mir leid, ich bin ein bisschen aufgeregt, weil Marco schon den ganzen Tag in der Küche sitzt und ich nicht weiß, was er macht."
Ich grinse. Das bin ich. Mord, eine verrückte Familiengeschichte, ein wenig Probleme mit meinen Eltern, das volle Programm.
„Keine Angst.", sage ich. „Ich habe das Stipendium für unsere Schule nur bekommen, weil ich meine damalige Lehrerin umgebracht habe. Aber es war Notwehr, sie hat mich nachsitzen lassen.", versuche ich mich noch herauszureden. Doch es ist zu spät.
Helen hat bereits abrupt angehalten und sieht mich mit großen Augen an.
„Carlotta, kommt mal eben bitte.", ruft sie der rothaarigen und Amelia zu.
Sie kommen.
„Schwesterherz, wir haben definitiv wen gefunden, der uns bei Benedikt hätte helfen können. Charlotte hier hat ihre Lehrerin umgebracht, hat dadurch das Stipendium bekommen und ist deswegen jetzt hier. Sie hätten wir letztes Jahr echt brauchen können.", sagt sie lässig.
Ich sehe Amelia an. Wir beide bekommen einen Lachanfall.
„Was ist das für eine Schule, auf die ihr da geht?", fragt Carlotta uns neugierig . Wir sehen uns verstohlen an. Sollen wir es ihnen wirklich sagen?
Okay, ich fasse mir ein Herz.
„Die Schule heißt London School of Death. Wir werden zu Profikillern für Großbritannien ausgebildet und haben so gute Chancen auf Berufe beim MI5 und MI6. Ich weiß, es klingt komisch, aber das ist scheinbar unsere Bestimmung. Aber wenn ich so eure Geschichte höre, glaube ich, dass wir uns gut ergänzen können.", erkläre ich ruhig. Eigentlich habe ich erwartet, dass die beiden Mädchen gleich hysterisch aufschreien würden, doch das tun sie nicht. Sie sehen Amelia und mich nur interessiert an.
Carlotta ergreift das Wort.
„Wir haben zwar unsere A-Levels bereits bestanden in diesem Jahr, aber glaubt ihr, wir könnten vielleicht noch ein Jahr rüber nach London und mit euch ausgebildet werden? Es würde uns sehr helfen, weiter im Notfall gegen unseren Vater vorzugehen.", sagt sie.
Amelia und ich Zucken die Schultern. „Das müsst ihr mit Mrs und Mr Scott ausmachen. Aber eigentlich spricht nichts dagegen." Während sie das sagt, lächelt sie wieder so süß und ihre Vorderzähne gucken ein wenig hervor.
Ich lächle auch.
Irgendwie fühlt es sich in ihrem Beisein zurzeit sehr natürlich an. Während ich mit Noah auch schon die ein oder andere unschöne Konversation in den letzten Wochen führen musste, wir uns aber immer wieder gerafft haben, habe ich das Gefühl, dass mich Amelia irgendwie versteht.
Ach, was denke ich da schon wieder. Warum denke ich zurzeit so viel über sie nach. Ich bin doch hundertprozentig Heterosexuell. Oder? So langsam bin ich mir zurzeit nicht ganz sicher darüber.
Ich hatte zwar in meiner Vergangenheit schon häufiger solche Momente, dass ich so drauf war, dass ich manche Mädchen schon ganz süß fand, aber dann eher auf Aussehen bezogen.
Doch Amelia ist so anders, als die anderen. Sie ist offen, doch trotzdem schüchtern. Und sie macht mich so wahnsinnig verrückt. Aber auf eine gute Art, wie ich es bisher nur mit Noah eigentlich erlebt habe.
Ach was weiß ich. Es ist zurzeit zu viel Gefühlschaos, was aber auch an dem Dauerstress durch Prüfungen, Training und Beruf liegen könnte. Jetzt erstmal bin ich davon befreit und muss gucken, in wie weit ich damit klar komme, nach den Sommerferien. Doch, wenn es so weiter geht, wie der erste Tag hier, dann wird das der beste Sommer, den ich jemals hatte.

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