Mit dem Teufel unter einem Dach

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Vor mir steht ein älterer Mann, der mir sehr bekannt vorkommt.
„Charlotte Evans, wie schön, Sie wieder zu sehen.", sagt er.
„Einen schönen Guten Morgen, Mr Pearce.", stottere ich, als ich an der langen Gestalt meines alten Lehrers hinaufblicke.
Ich darf keine Furcht zeigen. „Was machen Sie denn an einem solch schönen Morgen an dieser Schule? Soweit ich weiß, haben Sie keine Kinder hier, die Sie besuchen.", sage ich, mit weitaus festerer Stimme, wobei meine Hände schweißnass sind.
Er antwortet: „Oh, da muss Ihnen aber etwas missfallen sein. Meine Tochter ist hier nicht mehr Schülerin. Sie ist hier Direktorin! Haben Sie sie zufällig gesehen?"
Ich reiße erschrocken die Augen auf. Aemond Pearce ist der Vater von Mrs Cooper? Das würde einiges erklären.
Ein wenig verzweifelt blicke ich mich um, doch da kommt meine Schulleiterin auf uns zu und sieht mich ebenso schockiert an.
„Vater, was tust du hier?", sagt sie kühl, als sie bei uns angekommen ist.
Okay, sie macht also keinen Hehl daraus, dass ich es weiß. Schonmal gut.
„Charlotte, gehst du bitte zu Mr Scott in den Unterricht zurück? Ich muss mit meinem Vater etwas klären. Und schickst du ihn nach der Stunde bitte in mein Büro?", sagt sie leise, doch sehr eindringlich.
Nach der Stunde.
Das ist in zwanzig Minuten.
Scheiße, wie viel Zeit ist nur vergangen?
Ich nicke und renne los, in die Richtung, aus der Mrs Cooper gerade kam.
Vollkommen zerzaust komme ich in der Trainingshalle an. Ich setze mich leise neben meine Freunde und atme einmal tief durch.
„Miss Evans, ein Wunder, dass Sie es auch noch vorziehen zum Unterricht zu erscheinen.", sagt er ein wenig enttäuscht von mir. Ich entgegne leise: „Mrs Cooper wollte mit mir reden, ich werde den Unterricht natürlich nachholen. Ihr Vater ist soeben aufgetaucht, Sie sollen nach der Stunde in ihr Büro kommen."
Er sieht mich schockiert an und sagt laut: „Die Stunde ist für heute beendet, übt bitte weiter die Atemübung, die ich Ihnen gezeigt habe. Das ist die einzige Hausaufgabe." An mich gewendet fügt er noch leise hinzu: „Charly, würden Sie mich bitte begleiten? Ich weiß, wie der Vater von Mrs Cooper ist."
Ich nicke und folge ihm unauffällig.
Meine Freunde lasse ich hinter mir.
Kaum sind wir aus der Halle draußen, beginnt Mr Scott zu rennen und ich habe mühe ihm, mit meinen kaputten Körperteilen, zu folgen. Erst, als wir in dem Gang der Lehrerbüros sind, wird er langsamer und sein Atem komischerweise ganz ruhig.
„Fragen Sie nicht, Miss Evans, wären Sie heute da gewesen, wüssten Sie, wie ich das mache. Halten Sie sich hier draußen bedeckt, wer weiß, was der Bastard da drinnen mit Mrs Cooper anstellt. Ich gehe da gleich rein, je nachdem, was passiert, musst du sofort Hilfe rufen gehen. Und es ist mir auch scheiß egal, ob du einen Feuermelder einschlägst, Hauptsache, der Mistkerl kommt nicht damit davon. Hast du das verstanden? Und ich warne dich, wenn du rein kommst und dich damit selbst in Gefahr bringst, dann werde ich dich die nächsten Wochen im Unterricht quälen."
Ich nicke. „Schwöre es!", sagt er harsch. Ich schließe die Augen und sage: „Ich Charlotte Viktoria Evans, schwöre bei dem Leben meiner älteren Schwester Lily Elizabeth, dass ich nicht in das Büro kommen werde und im Notfall Hilfe suchen werde."
Er nickt und schlägt ein.
Was er nicht weiß: meine ältere Schwester Lily Elizabeth Evans ist bereits vor fünfzehn Jahren bei einem Unfall im Alter von dreizehn Jahren verstorben. Ich war damals vier Jahre alt und habe es nicht verstanden. Wirklich an sie erinnern kann ich mich auch nicht mehr.
Doch das ist jetzt nebensächlich.
Mr Scott klopft an die Tür, ich verstecke mich hinter einer der Säulen, die in dem Gang stehen und beobachte Mrs Cooper, wie sie die Tür öffnet. Weiter hinten im Raum steht Aemond Pearce und sieht Mr Scott vernichtend an.
Mrs Cooper verschließt die Tür und ich höre nur noch ein: „Ach, dass ist also dein Mr Scott?"
Eine Zeit lang passiert nichts. Die Türen der Schule und die Wände sind allesamt so gebaut, dass man nichts durchhören kann. Alles eine Sicherheitsmaßnahme, damit keine Eltern etwas schlechtes über diese Schule denken.
Erst, als Mr Pearce beginnt, seine Tochter anzuschreien, höre ich wieder etwas.
„Lauren, du weißt, dass du keinen Mann haben darfst. Es macht dich schwach. Ich dachte, ich hätte genug getan, als ich damals deinen, wie hieß er noch? Ach stimmt, Jack, aus dem Weg geschaffen habe. Aber du bist weich geworden. Habe ich dich so erzogen? Hat es nicht gereicht, dass du ohne deine Mutter aufgewachsen bist?"
Meine Schulleiterin schreit ihn ebenso laut an. „Vater, ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben. Du hast mein Leben ruiniert. Lass mich glücklich sein. Wenn du es nicht bist, dann tut es mir leid. Du hättest Mutter nicht vergraulen müssen. Aber lass deine Wut nicht an mir aus. Thomas, gehst du bitte raus, das ist eine Sache zwischen meinem Vater und mir."
Eine kurze Zeit höre ich nichts, dann öffnet sich die Tür und Mr Scott kommt heraus.
Er erblickt mich hinter der Säule und zieht mich zu sich heran.
„Kein Wort zu niemandem, okay? Wir konnten es jetzt schon einige Jahre geheimhalten. Nur jetzt, wo sie... egal, dass kann ich nicht sagen.", sagt er leise und ich nicke. Ich kann mir ein wenig denken, was er meint, aber ich möchte keine Spekulationen äußern oder Gerüchte verbreiten.
Es dauert eine Weile, doch dann ertönt aus dem Büro ein Schrei und weder mich, noch meinen Lehrer, hält es hinter der Säule. Wir rennen beide zu der Tür und Mr Scott öffnet sie gewaltsam. Da steht Mr Pearce über seiner Tochter, deren Rock er hinunter gezogen hat und macht etwas, was ich nur zu gut von ihm kenne.
Nur, dass seine Tochter eine erwachsene Frau ist.
Ich blicke schockiert weg, doch weiß auch, dass ich es nur beenden kann, wenn ich hinsehe.
„Lassen Sie sofort Ihre Hände von Mrs Cooper!", schreie ich meinen alten Lehrer an. Verzweiflung wird in meiner Stimme hörbar. Nur eine falsche Bewegung und alles könnte vorbei sein.
Für den Bruchteil einer Sekunde sieht mich Mr Pearce an, dann sagt er: „Oh meine süße, kleine Charlotte. Ich kann nicht anders, dass weißt du. Ich bin doch der Grund, weshalb du hier gelandet bist. Du musstest nur mit deinem Trauma zurecht kommen, bis du Mrs Scott ermordet hast. Aber was sage ich da überhaupt?"
Mir laufen Tränen die Wangen hinunter. Die letzten Jahre waren für mich eine Qual. Seit ich Mr Pearce im Unterricht hatte, behielt er mich nach einigen Stunden gerne mal bei sich unter der Ausrede, ich solle noch die Tische mit putzen. Sobald ich den Lappen in der Hand hielt und den ersten Tisch gesäubert habe, tat er mir schreckliche Dinge an. Ich verlor durch ihn meine Jungfräulichkeit und konnte nächtelang nicht schlafen. Ich habe nicht einmal meinen besten Freundinnen davon erzählt, so sehr schämte ich mich dafür, auch wenn ich es eigentlich gar nicht wollte.
„Vater, geh raus und lass dich hier nie wieder blicken!", schreit meine Direktorin ihn an.
Er sieht uns alle noch mit einem verachtendem Blick an, dann verschwindet er nach draußen.
Ich sinke zu Boden, die Wangen mit Tränen überströmt.
„Charlotte, was hat er dir angetan?", fragt mich meine Rektorin. Ich sehe ihr mit schmerzerfüllten Blick in die Augen. „Er hat mir alles genommen. Meine Schwester, meine Jungfräulichkeit, mein Leben. Ich habe nur durch ihn Mrs Scott ermordet. Er meinte, sie würde mich unfair benoten und er meinte, ich solle es so machen. Ich wollte das doch alles nicht. Bringen Sie mich bitte einfach nur zur Polizei, da bin ich am besten aufgehoben."
Ich schluchze weiter. Ich habe es die letzten Wochen so oft verdrängt, doch nun...
Nun kommen die ganzen alten Gefühle und der Schmerz wieder hoch.
Ich sehe meine Schulleiterin bettelnd an. „Charly, höre mir zu. Du bist an nichts Schuld. Mein Vater ist der Teufel höchstpersönlich. Ich wurde wöchentlich von ihm für seine sexuellen Vorlieben ausgenutzt. Er hat meinen damaligen Freund Jack O'Sullivan ermordet. Ich habe ihn seit damals nur noch zweimal in meinem Leben gesehen. Ich weiß davon, was er anderen kleinen Mädchen, die ähnlich wie meine Mutter und ich sind, angetan hat. Du bist ähnlich wie wir. Deine Schwester war ähnlich wie wir. Deine Schwester war damals eine gute Freundin von mir. Ich höre ihre Schreie noch immer jede Nacht. Ich konnte ihr genauso wenig helfen, wie ich dir und Jack helfen konnte. Aber nun kann ich es. Und damit hilfst du den Mädchen die da noch draußen sind. Wenn du noch immer dazu bereit bist, nach dem, was er dir angetan hat."
Meine Augen sind mittlerweile geschlossen, dann setze ich mich auf, öffne die Augen und sage, mit noch bebender Stimme: „Ich tue es. Für mich, meine Schwester, Sie, alle, die er noch gefoltert hat und die er noch foltern wird. Ich werde seine Schreckensherrschaft zu Ende bringen. Und wenn es das letzte ist, was ist tue. Ich möchte diesen scheiß Mistkerl nur noch tot sehen. Er hat mir mein ganzes Leben genommen. Er hat nur den Tod verdient!"
Meine Stimme wird immer stärker und lauter.
Mrs Cooper sieht Mr Scott fragend an. Er nickt. „Charlotte, du bist bereit, aber dir fehlt es noch an Selbstdisziplin. Wir werden öfter, härter und stärker trainieren. Wir treffen uns zweimal täglich zum Training, einmal morgens vorm Unterricht, einmal nachmittags nach dem Unterricht. Eventuelle nächtliche Einheiten werden folgen.", sagt Mr Scott. Mrs Cooper sagt: „Ich werde dich weiter in der Theorie lehren. Du wirst diese Schule und ihre Geheimgänge, sowie Londons komplette Geschichte auswendig können und du wirst jede Menge Zeit mit Meditation verbringen. Du hast Glück, dass ich mich nicht zu viel auspowern darf, daher werde ich noch freundlich, aber trotzdem hart mit dir umgehen. Das wird die schlimmste Zeit deiner kompletten Schullaufbahn, du wirst froh sein, wenn du am Ende des Tages noch genug Kraft hast, um Abend zu essen. Aber ich weiß, dass du das schaffen wirst!"
Ich nicke. „Also darf ich Ihnen jetzt gratulieren?", frage ich. Sie nickt und ich richte den werdenden Eltern meine Glückwünsche aus.
Dann gehe ich in den Unterricht.

Schule des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt