Der Abschiedsbrief

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Ich sehe auf die blutüberströmte Leiche von Charlotte hinunter. Ich habe ihr zwar eigentlich das Okay gegeben, dass es in Ordnung ist, solange sie nicht leidet. Doch ich sehe ein, dass ich sie nicht zurückholen kann und darf. Es würde keinen Sinn machen.

Ich nehme vorsichtig ihre blutige Hand von der Wunde und küsse sie zaghaft. Es bringt nichts, dass weiß ich, doch ein letztes mal muss ich sie nocheinmal küssen.
Mein Vater steht daneben und hat sichtlich mit den Tränen zu kämpfen, Noah legt seinen Arm um mich und streichelt mir vorsichtig über die Schulter. „Amelia, wir sollten gehen und Mrs Scott verständigen. Charly hätte das alles nicht gewollt.", sagt er leise, womit er auch recht hat. Wenn die Liebe meines Lebens etwas nicht gewollt hätte, dann wäre es, dass wir um sie trauern.

Ich stehe auf, auch wenn ich mich am liebsten weiter an ihren toten Körper pressen würde. Mein Vater nimmt mich in den Arm, als der Rettungswagen auftaucht. Der Rettungssanitäter spricht mit Dad's Kollegin, doch was sie sagen, kann ich nicht verstehen. Ich sehe nur noch, wie sie den Kopf schüttelt, Charly auf eine Trage gehoben und mit einem Tuch bedeckt wird. Dann fährt der Rettungswagen, ohne Blaulicht davon.
Am liebsten wäre ich mitgefahren.
Doch mein Vater hält mich fest. „Amy, Charly ist jetzt an einem besseren Ort. Ich brauche dich noch hier. Folge ihr nicht auf diesem Weg. Eines Tages werdet ihr euch dort wieder sehen, aber dieser Tag möge um Himmels Willen noch in ferner Zukunft liegen. Wir fahren jetzt zur Schule und dort besprechen wir alles weitere, doch du musst dich jetzt erstmal von dem Schock erholen.", sagt er leise. Ich nicke, doch dabei sacke ich in mich zusammen. Er hebt mich in seine Arme und trägt mich in das Auto, seine Kollegin fährt alleine zur Wache.

Wenig später sitze ich, noch immer total anteilnahmslos vor meiner Schulleiterin, die gar nicht erst versucht, ihre Tränen zu verstecken. „Amy, du bist ihre Seelenverwandte. Wäre es zu viel für dich, die Trauerfeier und die Beerdigung zu planen?" Ich habe ihr gar nicht richtig zugehört und schrecke aus meiner Starre hoch. „Hm?", frage ich und wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel. „Würdest du die Trauerfeier planen wollen?", fragt sie mich erneut und ich nicke. Mir bleibt wahrscheinlich sowieso nichts anderes übrig.
„Ich habe bereits Mr und Mrs Evans verständigt, wir werden uns im Krankenhaus mit ihnen treffen und alle nötigen Vorkehrungen treffen. Dadurch, dass dies eine staatliche Schule ist, wird es eine große Trauerfeier geben, die auch die Regierung zahlen wird.", sagt Mr Scott, der hinter mir in den Raum getreten ist. Ich nicke. Mehr tun kann ich heute nicht mehr.

Als ich eine Stunde später ins Bett gehe, liegt ein Briefumschlag mit meinem Namen auf meinem Bett.
Ich setze mich und öffne ihn, denn ich weiß, was es ist. Charly's Abschiedsbrief.
Vorsichtig falte ich das in grüner Tinte beschriebene Blatt auf und beginne zu lesen.

„Meine liebe Amelia,

Da du diesen Brief nun liest, heißt es, dass ich es nicht überlebt habe. Ich hoffe, wir haben es trotzdem geschafft und Eamond Pearce ein für alle mal aus dieser Welt verdammt.
Du weißt, wie gerne ich unseren Schulabschluss noch miterlebt hätte. Unser gemeinsames Leben.
Doch nun ist es so gelaufen, daher packe ich das ganze in eine kleine Geschichte, die mich immer an dich erinnern wird. Ich hoffe, du wirst nicht zu lange trauern. Da sind noch so viele andere wie ich auf der Welt. Die meisten sind vielleicht nicht so, durch Dummheit, Selbstmordgefährdet wie ich, aber du wirst noch die richtige Person finden.
Wie du später herausfinden wirst, wenn du meine Eltern triffst, habe ich dir einiges aus meinen privaten Sachen vermacht. Einige von ihnen sind alte Familienerbstücke. Da ich sonst keine Familie außer dich mehr wirklich habe, möchte ich, dass du sie bekommst und an deine Kinder weiter gibst. Ebenfalls habe ich dem Anwalt gesagt, dass ich dir gerne sämtliches Geld auf meinem Bankkonto, sowie meine Sparbücher vermachen möchte. Vielleicht brauchst du es eines Tages. Und selbst wenn nicht, es noch immer genug übrig, um die ganze Welt zu bereisen.
Gestalte meine Beerdigung, wie ihr es wollt, ich habe das alles mit Mrs Scott abgesprochen. Mir ist egal, ob ich in einem Sarg oder einer Urne oder im Meer liege, solange du mich nicht täglich besuchen kommst. Du sollst dein Leben genießen können.
Doch nun zu der kleinen Geschichte:

Schule des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt