Jahr 349 nach dem Götterkrieg, Spätsommer
Rúnknǫttr, Titanengrab
Eine ausführliche Einführung in die moderne Medizin von Aman sa Ura. Bei weitem nicht so interessant, wie Iora es sich vorgestellt hatte, doch Thorgest hatte es ihr in der Stadt besorgt war stolz darauf gewesen, ein Exemplar für sie gefunden zu haben. Er hatte damals daraus gelernt und hielt es für das beste, dass auch sie ihre ersten Schritte damit machte. Also saß sie jetzt in ihrem Zimmer im Einhorn und blätterte lustlos durch die Seiten.
Thorgest und Giræsea hatten darauf bestanden, mit ihr über ihre Vision zu sprechen. Sie war sehr vage geblieben. Danach hatten die beiden sie in Bezug darauf in Ruhe gelassen. Um die Schatulle hatte sie aber einen weiten Bogen gemacht. Die weitere Reise nach Rúnknǫttr war ab diesem Tag ereignislos verlaufen. Iora hatte ihre Herkunft stets vor Leuten verborgen, die ihren begegnet waren und so kamen sie ohne Probleme bis vor das Stadttor. Hier boten Thorgest und Giræsea ein Bild des Selbstvertrauens und so fragte niemand danach, das Gesicht der Person unter der Kapuze zu sehen. Auch im Einhorn hatte niemand nachgefragt, als die Ork mit den Schwertern an ihrer Hüfte ein paar Münzen auf die Theke gelegt hatte. Der Zwerg hinter der Theke hatte Iora danach bereitwillig übersehen. Sie hatte aber auch nur selten ihr Zimmer verlassen in den vergangenen Tagen. Selbst ihre Mahlzeiten hatte sie sich auf ihr Zimmer bringen lassen. Manchmal fragte sie sich, ob der Wirt vermutete oder gar wusste, wer sie war. Oder was. Aber solange er sie weiterhin hier wohnen durfte, sah sie es nicht als Problem.
Zurück zum eigentlichen Problem: Eine ausführliche Einführung in die moderne Medizin von Aman sa Ura. Sicher, das Buch hielt Unmengen an Wissen, dass ihr bisher unbekannt war, doch wenig davon vermochte, ihr Interesse lange zu binden. Der Text war trocken formuliert und nahm sich selbst deutlich zu wichtig. Die Zeichnungen und Diagramme hielten ihre Aufmerksamkeit länger, doch entweder kannte sie sie schon auswendig oder sie waren zu kompliziert und sie verlor schnell die Lust daran, sie weiter anzustarren. Hinzu kam, dass sie zumindest einige Grundlagen in Anatomie aus ihrem früheren Studium beherrschte und daher einige Passagen einfach nur langweilig waren. All das und es war ihr unmöglich, aus dem tiefen Brunnen des Wissens vor ihr zu schöpfen. Thorgest und Gira waren noch unterwegs, obwohl es laut der Kerze in ihrem Zimmer schon längst Nacht war. Es war aber unmöglich zu sagen, ob dies tatsächlich der Fall war. Hier unter Meilen aus Gestein reichte auch nicht der stärkste Sonnenstrahl. Tag und Nacht wurden die Straßen von Laternen erleuchtet und auch den Menschen und besonders den Zwergen hier schien es vollkommen gleichgültig, welche Stunde es war. Es schien stets jemand seiner Arbeit nachzugehen.
Ihre magischen Übungen hatte sie für diesen Tag ebenfalls bereits abgeschlossen und so schloss sie das Buch und entschied, sich in der Stadt umzusehen. War es eine gute Idee? Auf keinen Fall, dessen war sie sich bewusst, doch würde sie noch einen Tag nur in diesem Zimmer verbringen, würde sie sicher bald ihr Verstand verlassen. Kurz überlegte sie, eine Notiz zurückzulassen, entschied sich aber dagegen. Es erschien ihr unnötig.
Mantel um ihre Schultern und Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Nicht die unauffälligste Kleidung hier in der traditionsliebenden Stadt im Stein, doch besser als sich offen zu zeigen. Und ihrer Meinung nach könnte sie leicht als Mensch durchgehen, so lange ihr niemand ins Gesicht sah. Davon gab es hier nicht viele, doch einige kamen auf der Durchreise vorbei oder hatten Geschäfte in der Stadt zu erledigen. Und nicht jeder wollte dabei erkannt werden. Und wenn ihre Fähigkeiten sie nicht verlassen hatten, sollte sie immer noch in der Lage sein, einem Verfolger zu entkommen. Darin hatte sie Erfahrung. Sie besah sich kurz in dem trüben Spiegel, der in ihrem Zimmer hin, zog die Kapuze noch etwas tiefer in ihre Gesicht und entschied dann, dass es reichen würde.
![](https://img.wattpad.com/cover/289334668-288-k34544.jpg)
DU LIEST GERADE
Necrosis (Weltentod I) [Deutsch]
FantasyDie Welt liegt im Sterben. Die Bäume verdorren, der Boden wird unfruchtbar und die Toten weigern sich, tot zu bleiben. Wie eine Krankheit breitet es sich vom Westen her aus. Aus dem Eisenwald heraus und über die zentralen Ebenen und die Flusslande. ...