Jahr 350 nach dem Götterkrieg, Winter
Fort Carraig an Iarainn, Kaiserreich
Strahlende Tochter der Sonne, geheiligt werde dein Name.
Hellster Stern am Firmament, dein Licht ist mein Leuchtfeuer.
Ich übergebe dir diesen Körper.Die Flammen verschlangen den Körper und es blieb nichts als Asche. Weitere Tote gab es laut Ausaláin nicht in Carraig an Iarainn und er war sichtlich unzufrieden damit gewesen, dass jemand, dem der Rang aberkannt wurde, hier in seinem Fort Befehle verteilte und Tote entweihte. Am liebsten hätte er sie aus dem Fort geschmissen, aber angesichts der aktuellen Lage hatte er davon abgesehen. Sara hatte sich daran wenig gestört. So lange er verstand, wie die Lage war. Riordán, Émer, Rohan und Bricín waren am Ende alle ihrem Rat gefolgt und waren damit ein großes Risiko eingegangen. Doch am Ende hatten sie damit vermutlich viele Leben gerettet. Doch das war auch leichter zu glauben: Eine Armee marschiert ein und macht jedes Dorf dem Erdboden gleich. Dass sich die Toten wieder erheben dagegen? Sie verstand jeden, der ihr das nicht glauben wollte. Es war alles zu absurd und sie wollte kein Teil davon sein. Doch sie hatte eine Pflicht zu erfüllen. Nicht umsonst wurde sie über lange Jahre ausgebildet. Nicht umsonst wurde arrangiert, dass sie ohne Probleme einen Posten im kaiserlichen Heer erhielt. Nicht umsonst wurde sie letzten Endes im Westen stationiert. Wenn dies nicht die Situation war, auf die sie vorbereitet wurde, dann würde sie niemals kommen.
"Unser aktueller Stand ist also: Die Toten stellen sich gegen uns", wollte Áed trocken wissen.
"Ja", antwortete Sara ebenso trocken.
"Verstehe... Das war's. Ich bin raus. Ich gehe nach Osten und lebe als Fischer. Möchte jemand mitkommen?" Wie bei allen Göttern im Himmel sollten sie denn dagegen bestehen? War die Situation bis jetzt noch nicht schlecht genug?
"Nicht dein bester Scherz. Es ändert an unsere Situation rein gar nichts. Außer, dass wir wohl mit etwas mehr Feuer arbeiten müssen."
Odhrán mischte sich ein: "Sobald es möglich ist, verschwinden wir von hier und reisen nach Merun. Sara, du hast einen Plan?"
"Ich habe einen Plan."
Sie alle saßen im Speisesaal des Forts. Áed, Sara, Odhrán, Casidhe, die Kinder und der Koch. Áed hatte seinen Namen schon wieder vergessen. Sie alle stimmten zu, dass sie nach Merun reisen würden. Die meisten, weil sie keine wirkliche Alternative hatten. Casidhe? Seine Gründe wusste Áed nicht.
Und so blieb der Plan unverändert. Und so blieb die Lage unverändert. Der erste Tag der Belagerung neigte sich dem Ende und die erste Nacht folgte. Die Taktik der Soldaten wandelte sich und so wurde die Dunkelheit mit dem Schein von Fackeln und brennenden Leichen auf Abstand gehalten. Áed für seinen Teil hielt Abstand von den Mauern, um davon nichts mitzubekommen. Die Ruhe, zu schlafen, fehlte ihm dennoch. Und so wanderte er ziellos durch das Fort. Zumindest so weit ihn die Soldaten ließen. Ausaláin hatte ihnen den Zugang zu den meisten militärischen Anlagen verboten und mittlerweile waren wohl alle informiert worden. So wanderte er die meiste Zeit zwischen Kapelle und Speisesaal hin und her. Nachdem ein Teil von ihnen zu Bett gegangen war, mied er die Baracken. Er selbst war voll nervöser Energie, doch er gönnte den anderen ihren Schlaf.
Sara setzte sich neben ihn auf die Bank und starrte gemeinsam mit ihm auf den Brunnen. Er hatte sich schon überlegt, ob er wieder aufstehen und noch eine Runde drehen sollte. Doch hier war es ruhig gewesen und er hörte nur wenig davon, was auf der anderen Seite des Forts vor sich ging. Er wollte nicht in den Himmel schauen, nicht wissen, wie spät es eigentlich war. Er wollte Frieden und ein gutes Essen und ein weiches Bett und einen Geist, dem nach schlafen zumute war. Doch er saß hier und Sara setzte sich neben ihn. Sie sprach nicht. Nicht zu beginn. Sie saß nur da und starrte ebenfalls auf den Brunnen. Er war nichts Besonderes. Alt. Vermutlich so alt wie der Grundstein des Forts. Man sah ihm sein Alter an. Frost hatte ein paar der Steine gesprengt. Andere waren mit Moos überwuchert. Recht viel mehr konnte er im Mondschein nicht erkennen. Aber es wäre auch nicht wichtig gewesen, wenn es der imposanteste Brunnen gewesen wäre, den Zwerge je gebaut hatten, er diente nur als Anker für seinen Blick, während seine Gedanken kreisten und versuchten zu verarbeiten, was in den letzten zwei Wochen geschehen war. Und vielleicht - ihm war vollauf bewusst, dass das nichts brachte - einen Sinn darin zu sehen. Oder ein Muster. Eine lenkende Hand. Irgendetwas. Etwas, woran er sich festhalten konnte. Etwas, auf das er wütend sein konnte. Jemanden. Aber es blieb nur der Kreis.
Und dann sprach Sara doch.
"Ich glaube nicht, dass sie tot ist. Ich kann nicht. Erst, wenn ich sie selbst sehe."
Áed antwortete nicht.
"Sechs Jahre. Sechs beschissene Jahre habe ich ihr keinen Brief geschickt. Sechs gottverlassene Jahre, in denen ich nicht wusste, wo sie ist oder ob sie noch lebt. In denen sie nicht wusste, wo ich bin und ob ich noch lebe. Und dann komme ich nach Moore zurück und... Die Welt geht unter. Sie ist nicht da. Sie war da. Sie war immer da. Ihr Kodex war noch da. Sie würde ihn nicht zurücklassen."
Sie atmete tief.
"Hat die Inquisition sie? Wo bei den Göttern soll sie sonst sein? Scheiße! Nichts davon ist fair."
Sie ließ sich auf die Seite kippen. Ihre Schulter an seinem Arm. Ihr Kopf auf seiner Schulter. Áed rührte sich nicht. Sagte nichts, aus Angst, etwas falsches zu sagen.
"Sie ist nicht tot... Sie kann nicht tot sein."
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Necrosis (Weltentod I) [Deutsch]
FantasiaDie Welt liegt im Sterben. Die Bäume verdorren, der Boden wird unfruchtbar und die Toten weigern sich, tot zu bleiben. Wie eine Krankheit breitet es sich vom Westen her aus. Aus dem Eisenwald heraus und über die zentralen Ebenen und die Flusslande. ...