XCVI - An Madra Dubh - II

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Jahr 350 nach dem Götterkrieg, Winter

Cnocdragan, Kaiserreich


Mit jedem Stiefel, der hart auf den Boden auftrat, mit jedem Körper, der fiel um nie wieder zu erwachen, mit jedem erstickten Schrei und mit jedem hellen Aufleuchten der Gasse fuhr ein Ruck durch seinen Körper und Geist, dass er es in seinen Fingern, Zehen und hinter seinen Augen spüren konnte. Er wagte es nicht, hinaus auf die Straße zu sehen. Wenn er nicht sah, was passierte, sah es vielleicht auch ihn nicht.

"Einen Scheiß hätte es sanfter sein können", hörte Casidhe Áed schreien. Er war ganz in der Nähe. "Was passiert, wenn ihr die Mauer durchbrecht?"

"Es wird schnell gehen." Die Stimme des Fremden jagte ihm einen Schauer über den Rücken.

Dann war es in diesem Teil der Stadt plötzlich taghell, als wäre die Sonne mit einem Schlag aufgegangen. Casidhe hoffte, dass es Sara war. Das war nicht, was er sich vorgestellt hatte, als er von Carraig an Iarainn aufgebrochen war, um nach Merun zu reisen. Es war dumm gewesen, sein Leben zurück zu lassen für eine vage Ahnung. Und jetzt würde er es hier verlieren. Verdammt all die Heiligen und verdammt all die Götter.

Dann hörte er Áed gurgeln und husten und es riss ihn aus seinem Selbstmitleid. Nein. Er malte sich Furchtbares aus. Die Realität war schlimmer. Als er es endlich wagte, seinen Kopf aus seinem Versteck zu heben, hing Áed nur noch leblos am ausgestreckten Arm des fremden Magiers.

Es war keine Entscheidung, die er sich je bei klarem Verstand treffen sah, also dachte er nicht darüber nach. Er sprang auf und rannte die kurze Strecke. Er wusste nicht, was er tat und er vermutete, dass seine Chancen nicht besser gewesen wären, wenn er es getan hätte.

Er warf sich mit seinem vollen Gewicht gegen den Fremden. Er wankte, doch er stand. Er stieß Casidhe von sich. "Danke, dass du von selbst gekommen bist. Ich hätte dich sonst suchen müssen. Auch, wenn mir andere Umstände lieber gewesen wären." Wieso klang er noch immer so ruhig? Und wer war er, dass dieser Fremde Interesse an ihm hatte?

Dann stand er in einem Nebel aus Staub und Schnee und Asche. Der Lärm von fallendem Geröll war ohrenbetäubend. Casidhe atmete ein und hatte das Gefühl, an der dicken Luft zu ersticken. Trümmer schlugen um ihn ein. Er konnte sie nicht sehen, doch er hörte sie. Er wagte es nicht, sich zu bewegen, aus Angst, dass dort draußen im Nebel etwas auf ihn lauerte.

Der Fremde war das einzige, was mit ihm in dieser Wolke aus Weiß und Grau existierte. Er und Áeds lebloser Körper. Der Magier hatte den Kopf in die Höhe gereckt, als würde er etwas wittern und sein Arm senkte sich. "Ich habe sie unterschätzt." Er warf Áed achtlos in das Grau. "Gib mir einen kurzen Moment. Wir werden uns gleich unterhalten." Seine Form veränderte sich. Casidhe sah es zunächst in seinem Gesicht. Diese Augen waren nie die eines Menschen gewesen, doch jetzt passten sich auch seine Züge daran an. Seine Haltung. Seine Gestalt. Vor ihm stand ein Hund, groß wie ein Wolf, mit schwarzem Fell und schwarzen Augen. Nacht in leibhaftiger Form. Dann verschwand auch er im Grau.

Casidhe gab sich nicht die Zeit, darüber nachzudenken, was gerade geschehen war. Er stürzte in die Richtung, in die Áed geworfen worden war und fand ihn gekrümmt an einem der massiven, behauenen Felsblöcken, aus denen die Mauer errichtet worden war. Was auch immer geschehen war, hatten ihn seinem angestammten Platz entrissen.

Áed rührte sich nicht. Göttin, das durfte nicht sein. Sie durften nicht noch jemanden verlieren. Casidhe fiel neben ihm auf die Knie. Er sah kein Blut. Das war gut. Keine äußeren Verletzungen. Nein, das war nicht, worum er sich Sorgen machen sollte. Was hatte ihm sein alter Meister beigebracht? Konzentrier dich. Betrachte das Wesentliche. Atem. Herzschlag. Danach kannst du nach Verletzungen suchen. Und obwohl sich der Körper nicht bewegte, hatte er beides und Casidhe war erleichtert.

Während es in den ersten Momenten, nachdem die Welt in diesen Nebel gehüllt wurde, unglaublich still war, begann er sich langsam zu lichten und der Lärm der Welt und des Kampfes kehrte zurück. Der schnell erstickte Schrei eines Mannes. Das nasse Schmatzen, das folgte.

Es war wirklich nicht die Art, mit einem Patienten umzugehen, aber Casidhe schlug Áed mit der flachen Hand ins Gesicht. Das war nicht Teil seiner Ausbildung gewesen. Doch er konnte ihn hier nicht liegen lassen. Warum hatte er nur diesen beschissenen Traum gehabt. Er hätte jetzt in seiner warmen Hütte sitzen können.

"Verdammt! Wach auf Áilleánach!"

Nein. Verdammt. Nichts. Verdammt. Das konnte nicht sein. Er war zu unvorbereitet. Was hatte er bei sich? Er kramte in seiner Tasche. Unkonzentriert und nachlässig. Nein. Nein. Nein. Das nicht. Er hatte zu viel aus seiner Hütte mitgenommen. Wann hatte er sich erhofft, seine Beete wieder einzurichten? Wo? Er warf ein Bündel nach dem anderen in den Schneematsch. In einer anderen Situation wäre es vielleicht schade um das Wachspapier gewesen, doch jetzt hatte er nicht den Kopf dafür.

Bei einem Bündel stockte er. Er war sich nicht sicher, ob er es überhaupt hätte mitnehmen sollen. Er zerdrückte es in seiner Hand, hielt die Luft an und öffnete es vor Áeds Gesicht. Phallus impudicus. Er hatte gehofft, eine kleine Kolonie zu züchten und Arzneien aus dem Hexenei zu machen.

Jeder einzelne Herzschlag schien sich über Stunden zu ziehen, als die Welt um ihn wieder sichtbar wurde. Als er sehen konnte, von wo die Schreie stammten und was sie verstummen ließ. Teile der Mauer waren eingestürzt und die Wiedergänger, die es in die Stadt geschafft hatten, lagen in verstümmelten, zerfetzten, verbrannten, ausgezehrten Resten auf der Straße verstreut. Was ihn erschreckte, war, dass es vielen Wachen nicht anders ergangen war.

Der Koloss lag begraben von Mauertrümmern da als lebloser Berg aus verformtem, verrottetem Fleisch. Einzig drei standen noch. Odhrán, gestützt auf seinen Kriegshammer und zerfressen von schwarzen Adern. Der schwarze Hund, Blut um sein Maul und Blut in seinem Fell, Geifer, der ihm vom Kiefer tropfte. Und Sara. Eine Gestalt von Flamme und verzehrender Sonne. So grell war sie, dass Casidhe nur Umrisse von ihr erkennen konnte. Er wagte nicht, sich vorzustellen, was sie getan haben mochte, welche heilige Grenze sie überschritten hatte.

Mit einer Hand hielt sie den Hund auf Abstand und in ihrem Licht band sie ihn. Er zerrte an seinen Ketten und zehrte von ihrer Kraft. Ein wildes Tier, das seiner Gefangenschaft entfliehen würde.

"Casidhe?"

"Gut... Gut, du bist wach."

"Das riecht widerlich."

"Oh. Natürlich." Casidhe ließ das Bündel in den Schnee fallen. "Wir haben eine Situation."

Necrosis (Weltentod I) [Deutsch]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt