Der Traum

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Schwarzblüte sah sich um. Sie befand sich wieder auf einem ihr unbekannten Flachland. »Hallo?«, fragte sie leise und es war, als würde sich das Echo ihrer Stimme bis an den Horizont ausbreiten.

»Ich bin hier.« Schwarzblüte fuhr herum. Dort saß die Kätzin, der sie schon zweimal begegnet war. Doch diesmal schien ihr Pelz nicht mehr so durchsichtig zu sein wie letztes Mal.

»Was ist mit dir passiert?«, fragte die schwarze Königin verwirrt.

Die andere Katze sah zu Boden. »Ich habe mich erinnert«, sagte sie schließlich.

Schwarzblüte starrte die Kätzin immer noch verwirrt an. »Lass mich an deiner Erinnerung teilhaben.«

Die, wie jetzt zu erkennen war, braun getigerte Katze erhob sich und stieß ohne Vorwarnung ihren Kopf gegen Schwarzblütes Flanke. Diese sog scharf die Luft ein, entspannte sich dann aber. Sie schloss die Augen.

***

Schwarzblüte befand sich auf dem Moorland, wo sie schon vorher gewesen war. Bloß, dass von der seltsamen Katze nichts zu sehen war. Sie drehte den Kopf. Vor Verwunderung achtete Schwarzblüte nicht darauf, wo sie ihre Pfote hinsetzte und stolperte.

»Alles in Ordnung?«, fragte der grau getigerte Kater, wegen dem sie gestolpert war.

»Ja, alles gut«, antwortete sie und ging weiter.

Es ist bloß eine Erinnerung, bloß eine Erinnerung. Das ist nicht echt, es ist gleich vorbei, redete Schwarzblüte sich ein. Sie ließ ihren Blick über den Horizont schweifen.

»Denkst du es sind viele Kaninchen unterwegs?«, fragte der grau getigerte Kater.

»Ich weiß nicht«, miaute Schwarzblüte so normal wie möglich.

Möchte er etwa jagen?, fassungslos schaute sie den Kater an.

»Ist was?«

»Nein, schon in Ordnung. Ich... ich dachte nur da wäre ein Kaninchen«, sagte Schwarzblüte hastig und deutete in Richtung eines Ginsterstrauchs.

»Tatsächlich! Da ist eins!«, rief der getigerte Kater aus. »Du hast gute Augen, wie immer. Dann los, du hast es zuerst gesehen.« Er sah sie erwartungsvoll an und Schwarzblüte verstand, dass sie das Kaninchen erjagen sollte. Also ist es doch nicht so anders...

Blitzschnell rannte sie in Richtung des Strauchs los, wo auch schon ein kleines Kaninchen rausschoss. Ihre Pfoten flogen über den staubigen Boden und sie spürte den Wind, der kühl über ihr Fell wehte. Sie war schneller als sonst, ihre Beine länger und ihre Sprünge weiter. War das die Erinnerung? Was ist so besonders daran?

Plötzlich wurde sie von den Pfoten gestoßen. Nach Luft schnappend kam sie hart auf der Seite auf und rollte noch einige Schwanzlängen weiter. Frustriert fuhr sie die Krallen aus, um sich irgendwo festzuhalten. Es gelang ihr. Mit gesträubtem Fell erhob sie sich und fuhr herum. Das Kaninchen war fort und nur noch eine kleine Staubwolke zeugte davon, dass es überhaupt da gewesen war. Stattdessen sah sie sich jemand anderem gegenüber. Es war ein dunkelgrauer Kater.

Auf einmal spürte Schwarzblüte weiches Fell an ihrer Seite. Der grau getigerte Kater hatte sich an ihre Seite gesellt. Ein Gefühl flammte in der Kätzin auf. Liebe. Sie liebte den grau getigerten Kater. Für den dunkelgrauen Kater empfand sie nur Wut. Er hatte etwas getan. Etwas, das sie wütend machte. Er hatte ihr Territorium betreten. Wieder.

Woher weiß ich das?, fragte Schwarzblüte sich, wurde aber von dem Eindringling unterbrochen.

»Wegen euch habe ich mein Kaninchen nicht gekriegt!«

»Dein Kaninchen?« Schwarzblüte ahnte, dass ihr Geliebter sich gleich auf den fremden Kater stürzen würde. Um ihn zu beruhigen, strich sie ihm mit dem Schweif über den Rücken, bis sie spürte, wie er sich wieder etwas entspannte. Trotzdem blieb die Wut. »Was glaubst du, wie dieser Krähenfraßfresser auf die Idee kommt, dass es sein Kaninchen war?«, fragte er sie mit einem bissigen Unterton in der Stimme.

»Ich habe keine Ahnung«, antwortete sie kühl. Dann wandte sie sich mit gesträubtem Nackenfell an den Fremden. »Wir beobachten euch, musst du wissen. Ihr seid einfach hier aufgetaucht und stehlt unsere Beute!«

»So ist es«, stimmte der grau getigerte Kater an ihrer Seite ihr zu. »Wo seid ihr eigentlich hergekommen? Ihr habt hoffentlich nicht vor, länger zu bleiben, weil...«

»Wir bleiben, so lange wir wollen«, unterbrach der dreiste Eindringling ihn. »Die Beute gehört der Katze, die sie fängt, und hier ist genug für alle da.«

Schwarzblüte fühlte unbändige Wut in sich aufsteigen. Sie fuhr die Krallen aus ohne es wirklich zu wollen. Alles war so real, obwohl sie es noch nie so erlebt hatte. »Das hast du nicht zu entscheiden!«, fauchte sie und wollte sich gerade auf den Kater stürzen, als eine schwarze Kätzin hinter dem Fremden auftauchte.

»Hast du Ärger, Grauer Flug?«, fragte sie den dunkelgrauen Kater. Ihre schmalen, grünen Augen bedachten sie und ihren Geliebten mit einem skeptischen Blick. Neben ihr erschien eine orange getigerte Kätzin, die sich jedoch aus dem Gespräch heraushielt.

»Die da hat mich umgerannt, als ich gerade ein Kaninchen verfolgt habe«, knurrte der Kater, der offenbar Grauer Flug hieß.

»Ich habe dich umgerannt?«, zischte Schwarzblüte zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Du bist mir direkt vor die Pfoten gelaufen. Anscheinend bist du so blind wie ein Maulwurf im Tageslicht!«

»Die Frage lässt sich auch ohne Worte klären«, miaute da die schwarze Kätzin und zeigte ihre Krallen. Ihre gesamte Erscheinung wirkte eindrucksvoll und einschüchternd. »Ich an eurer Stelle würde jetzt gehen. Oder sollen wir nachhelfen?«

»Komm, Wind, es hat keinen Zweck. Gehen wir«, flüsterte der grau getigerte Kater ihr ins Ohr und ging.

»Glaubt ja nicht, dass ihr damit durchkommt. Ihr seid hier nicht willkommen!«, knurrte Schwarzblüte noch, bevor sie ihm folgte.

Wind, dachte sie. Ich bin Wind. Mein Name ist Wind.

Aus irgendeinem Grund schien ihr dieser Name vertraut. Sie kannte ihn irgendwo her. Aus einer anderen Zeit. Aus einem anderen Ort.

WarriorCats - Finstere WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt