Die Seelen

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Jeder Tag ist anders. Er bringt Leben und Tod. Es wird jemand geboren und jemand stirbt. Es gibt vieles. Manchmal gibt man für jemanden sein Leben. Und manchmal nimmt man es. Doch es gibt immer zwei Wege. Einen klaren und deutlichen, der immer vor einem ist. Man denkt, man kann nichts ändern. Trotzdem gibt es verborgen im Nebel einen zweiten Weg. Einen unheimlichen, düsteren voller Gefahren. Die meisten nehmen den klaren Weg. Nur ein Weiser kann die Fehler darin sehen. Vor lauter Klarheit achtet man nicht auf die Einzelheiten, die Steine, die Grashalme, die Blumen um einen herum. Nimmt man jedoch den düsteren Weg muss man genau hinschauen. Genau nachdenken. Genau gehen. Alles läuft nach Plan. Man darf nicht abgelenkt sein. Es gibt immer etwas das stört. Schließe es in den hintersten Winkeln deiner Gedanken ein oder lasse es gleich am Anfang des düsteren Weges zurück. Man darf nicht abgelenkt sein. Sonst fällt man wie ein Stein ins Nichts. Denn Nichts ist das, wovor wir uns fürchten. Und Nichts ist die Freiheit in unserem Leben.

~ Erzählung des Geschichtenerzählers Fremdschatten an Terra über die Freiheit der Clans, Teil 1

***

»Hallo?«, rief Schwarzblüte. Das Echo ihrer Stimme hallte in der düsteren Höhle wieder. Sie ging einen Schritt vor. Ein angenehmer Schauer jagte ihr die Pfoten hoch und ließ sie frösteln. Die schwarze Kätzin ging auf kaltem, grauem Stein. Wenn sie genau hinhörte, konnte sie ein Rauschen hören, wie von einem rauschenden Fluss.

»Hallo?«, fragte Schwarzblüte nochmal. Diesmal etwas leiser.

Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie ihre Umgebung näher untersuchen. Von der Decke ragten große, spitze Steine, von denen Wasser tropfte und auf dem Boden mehrere Pfützen bildete. Jetzt konnte Schwarzblüte auch eine Katze sehen, die in den Schatten saß. Ihre gelben Augen musterten sie prüfend.

»Wer bist du?«, fragte die Katze. Immer noch hatte sie sich nicht bewegt und starrte Schwarzblüte an.

»Ich bin Schwarzblüte aus dem FeuerCl... Was geht dich das an? Wer bist dueigentlich?« Sie war selbst erstaunt über ihren herrischen Ton. Auch ihre Stimme schien rauer geworden zu sein.

Die Katze trat aus dem Schatten und kam auf Schwarzblüte zu. Im Dämmerlicht konnte sie nicht sehen, welche Fellfarbe die Kätzin hatte, aber das brauchte sie gar nicht. Der Geruch sagte ihr alles.

»Leuchtflügel?«

»Ja. Das werde ich wohl sein«, miaute Schwarzblütes Freundin.

»Was heißt das?«

»Ich bin Halber Mond. Das ist meine erste Seele. Insgesamt wurde ich zwei Mal wiedergeboren.«

»Was heißt... Wie... Ich verstehe das nicht!«, stotterte Schwarzblüte und setzte sich. Leuchtflügel, oder Halber Mond, leckte sich einmal über das Brustfell.

»Wenn eine Katze stirbt, kommt sie in den SternenClan. Ein Clan, wo alle friedlich leben. Kein Hunger, keine ewige Blattleere. Wäre da nicht der Wald der Finsternis.«

»Wald der Finsternis?«

»Dort kommen alle Katzen hin, die es nicht verdient haben, dem SternenClan beizutreten. Sie haben Schreckliches getan. Gemordet, betrogen und gestohlen. Dort sind böse Katzen. Sehr böse Katzen. Vor sehr langer Zeit gab es einen Kampf zwischen allen Clans. Es gab keinen Unterschied zwischen den Lebenden und den Toten. Das Böse gegen das Gute. In diesem Kampf wurden viele Katzen getötet. Vom SternenClan, sowie vom Wald der Finsternis.« Leuchtflügel hielt inne. »Weißt du, wo wir uns hier befinden?«

Schwarzblüte schüttelte den Kopf.

»Am Ursprungsort der Clans«, erklärte die gelbbraune Kätzin weiter. »Hier habe ich einige Katzen losgeschickt, um uns eine neue Heimat zu finden. Wolkenhimmel war eine von ihnen. Du kennst ihn sicher als Wolken, der Gründer des WolkenClans.«

»WolkenClan?« Schwarzblüte verstand überhaupt nichts mehr und starrte ihre Freundin – jedenfalls glaubte sie, es wäre ihre Freundin – aus großen Augen an.

Diese schüttelte den Kopf. »Alles mit der Zeit. Ich möchte, dass du selber herausfindest, wer du bist. Aber eins sage ich dir. Deine Seele wurde schon drei Mal wieder geboren. Und sie stammt nicht vom SternenClan, sondern vom Wald der Finsternis. Du bist nicht Wind. Wind ist...«

Plötzlich sprang fauchend eine Katze hinter einem Stein hervor und stürzte sich auf Leuchtflügel. Die gelbbraune Kätzin schrie auf, als Blut ihr über die Flanke lief.

Geschockt beobachtete Schwarzblüte das Geschehen vor ihr. Nach und nach erkannte sie, wer soeben ihre beste Freundin getötet hatte. Flammenzorn.

»Und? Hat Leuchtflügel dir auch den Quatsch mit den Seelen erzählt?«, knurrte ihr ehemaliger Gefährte.

»Was suchst du hier?«, schrie Schwarzblüte dem feuerroten Kater ins Gesicht.

»Ich wollte überprüfen, ob meine Reflexe stimmen«, miaute Flammenzorn. Dabei zuckte er belustigt mit den Schnurrhaaren. »Weißt du, was lustig ist? Ein guter Freund von mir hat gezeigt, wie man zwischen seinen Seelen wechseln kann. Schau her.«

Flammenzorn streckte sich. Seine Schultern wurden breiter, seine Krallen wurden länger und größer. Aus flammenrot wurde rabenschwarz. Als er seine Augen öffnete leuchteten sie gelb.

»Ahornschatten, ich bin's Krallenstern. Du bist meine wahre Liebe. Aber du kannst mich nicht aufhalten.«

Der andere Flammenzorn, Krallenstern, eine Legende unter den Katern und ein Monster für die Kätzinnen, fauchte einmal laut auf und rannte auf Schwarzblüte zu. Als plötzlich ein ungeheurer Schmerz sie aus dem Schlaf riss.

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Kurze Zwischenfrage:
Wer ist bisher eure Lieblingsfigur?

Edit: Ziemlich viele werden sich wahrscheinlich fragen, wer denn jetzt auf einmal Krallenstern ist. Und ich kann nur wiederholen, was ich ganz am Anfang schon gesagt habe: Normalerweise funktioniert es in Büchern so, dass bestimmte Sachen erst nach und nach erklärt und Geheimnisse erst nach und nach aufgedeckt werden. Wenn ihr also aufmerksam und geduldig alles durchlest, werdet ihr wissen, wer das ist :) (Nebenbei gesagt tauchte der Name auch schon im Klappentext und ein paar Kapitel vor diesem hier auf.)

WarriorCats - Finstere WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt