Kapitel 36

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Sicht: Manuel

Hastige Schritte näherten sich und wenig später flog die Tür mit Wucht auf. "Manuel?!" rief Patrick aufgebrach, stürmte auf mein Bett zu und setzte sich. Ich verstand nicht ganz und betrachtete ihn, in seiner Hand hielt er etwas zusammengerollt, eine Zeitung oder sowas. Er hatte Tränen in den Augen, das zweite Mal, dass ich ihn so verletzlich sah. Es war komisch und ungewohnt, sonst war er immer unantastbar gewesen, zwar störte es mich nicht aber dran gewöhnen werde ich mich wohl nie. Wahrscheinlich verfolgte er meinen verwirrten Blick, welcher auf seiner Hand lag, denn Palle gab mir wortlos das Stück Papier.

Ich verstand noch immer nicht ganz, bis ich es umdrehte und das Bild erkannte. Mit aufgerissenen Augen las ich die Überschrift "Suizid-Drama am Montagabend!!" und die darunter stehende fette Schrift. Mit Tränen in den Augen wanderte mein Blick weiter auf das Bild, es zeigte deutlich erkennbar mich und den Brünetten, wie er mich hielt und Ärzte sich um uns sammelten. Mein Herz raste, die Kurve auf dem Bildschirm der Maschine an der ich noch hing, schoss in die Höhe.
Es herrschte eine eisige Stille, Patrick wartete auf eine Reaktion aber ich wusste nicht wie. Ich konnte meine Augen nicht von dem dreckigen Stück Papier lösen und schluchzte leise in mir zusammengesackt.

"Ich..ich-" begann ich, aber meine Stimme brach. "Pschht" Palle rückte an mich ran, legte eine Hand auf meinen Arm. "Jeder..jeder w-weiß.." heulte ich und wurde nun endlich in den Arm genommen. "jeder.." als wäre die Situation nicht schon schlimm genug, so wusste jetzt jeder auf dieser verdammten Welt was passiert war. Jeder, wirklich alle. Nun bin ich nur noch der depressive Junge der sich und seinen Freund umbrachte. "I..ch-" Mein Gegenüber nahm dieser ganze Scheiß mindestens genauso mit wie mich. Ich musste wissen was geschrieben wurde und löste mich, fing an mehr oder weniger laut zu lesen:

"Montagabend, rauschende Stille am Fluss, eine friedliche Nacht im Vollmond. An genau diesem Abend trugen sich erschreckende Bilder an der alten Brücke zu: Manuel B. ist betrunken, verzweifelt und stürzt sich von ihr. Auf der Klassenfahrt der Jugendlichen kam es auf einer Party zu einem großen Streit und die betrunkenen jungen Erwachsenen gerieten außer Kontrolle. Sein Freund Patrick M. versuchte noch mit allem ihn daran zu hindern, jedoch war der Streit den die besten Freunde vorher hatten ausschlaggebend und dem Retter fehlten die passenden Worte. Wie die Lage ausgegangen wäre, wäre er sensibler oder schneller gewesen, darüber lässt sich nur spekulieren. Selbst der von ihm gerufene Notdienst kam nicht rechtzeitig und beim versuch nach dem Arm des Depressiven zu greifen, fiel er schwankend und unbedacht selber vom Geländer und landete im reißenden Strom. Wie durch ein Wunder wurden sie angespült und konnten einander an Land helfen. Doch selbst da war kein Frieden in Sicht: ein wildes Geschrei und Vorwürfe prasselten nur so aus ihnen heraus. Lehrer, Familie und Freunde sowie Klassenkameraden waren geschockt und besuchten die beiden schon am nächsten Tag im Krankenhaus. Die Schwere der Verletzungen ist noch unklar, denn beide kämpften ums Überleben. Ende der Woche werden sie zurück nach Köln fahren, wo sie erst einmal in eine Psychatrische Einrichtung eingewiesen werden um das Geschehene zu verarbeiten und einen zukünftigen Alkoholkonsum auszuschließen. Außerdem wird eine Depression vermutet die den Anlass darstellt. (...)"
Ich verstummte und meine Welt zerbrach erneut. Das kann nicht sein. Das kann einfach nicht sein. Wer verbreitet sowas?! So viele Lügen und so viel voreilige Schlüsse. Ich wusste nicht wie, wie ich reagieren und weiter machen soll. Warum sollte ich das auch noch wollen? Warum konnte ich nicht einfach erfrieren, oder verbluten, oder ertrinken? Ich will hier nicht mehr sein. Will nicht auf dieser Welt sein. Bitte erlöst mich doch endlich von dieser Qual..

"Sie..wissen unsere Namen..", sprach Patrick das aus, was zuvor beide dachten aber keiner sage mochte. "Das hat doch alles keinen Sinn, verdammt!", jammerte ich verzweifelt und meinte jedes Wort genauso. Er nahm mich in den Arm. "Pschht.. sag sowas nicht..", versuchte er mich zu beruhigen. "Es.. es gibt doch so viel wofür es sich lohnt! Bitte, geb jetzt nicht auf wir schaffen das zusammen, okay? Die Leute werden diesen Artikel schon morgen vergessen haben, es geht dabei doch eh nur um Unterhaltung und dann kommt halt eine neue Story auf die Deckseite. Und wenn das nicht so ist, dann keine Ahnung, wir könnten weg von hier oder so, aber ich versichere dir ich werde zu dir stehen." Patrick machte eine Pause und ich war erstaunt wie er so unfassbar lieb und einfühlsam sein konnte. Ihn betraf es auch, er war genauso am Arsch wie ich und es wäre egoistisch das nicht zu sehen. Trotzdem wusste ich nicht, wie ich ihm Mut zusprechen könnte, ich bin einfach nicht der Typ dazu andere zu trösten, auch wenn ich es wollte.

Der Junge, den das Schicksal traf...|#kürbistumorfanfiction Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt