Etienne war, obwohl alles zwischen ihnen geklärt war, vorsichtiger geworden. Er verbrachte jetzt mehr Zeit alleine auf dem kleinen Felsplateau oder saß am Klavier, wenn die Essenszeit vorbei war.
Ganz in sein Stück vertieft, merkte er nicht wie Gabriel hereingekommen war und so zuckte er zusammen, als er sein Stück beendet hatte und dieser laut zu klatschen begann.
„Du spielst wirklich wunderbar." Sofort schloss Etienne die Klappe über den Tasten und nahm seine Noten.
„Du solltest auf dem Abschiedsfest für alle spielen."
„Nein, das werde ich nicht."
„Aber warum nicht?"
„Ich helfe schon beim Kochen. Ich habe mich bereits in die Liste eingetragen."
„Aber Etienne, das ist doch Quatsch." Doch Etienne war schon an ihm vorbei nach draußen geeilt. Er hatte keine Lust vor allen zu spielen und sich angreifbar zu machen und niemand in der Welt würde ihn dazu zwingen können.
An diesem Abend war er nicht zum Lagerfeuer gegangen, denn er wollte es nicht riskieren, erneut auf Gabriel zu treffen. Er hatte sich in den Bungalow zurückgezogen und nach kurzer Zeit gesellten sich auch auch die anderen zu ihm.
Sie waren in bester Laune und Etienne erfuhr auch ziemlich schnell warum dies so war. Milo zauberte zwei Flaschen Wein unter seiner Kapuzenjacke hervor.
„Woher hast du die?", fragte ihn Etienne schockiert. „Aus der Küche entwendet. Ich hatte heute Spüldienst." Etienne konnte nicht fassen, dass er das getan hatte.
„Wir fliegen raus, wenn sie uns erwischen." „Na, dann lassen wir uns am besten nicht erwischen", sagte Dante und nahm Milo eine Flasche aus der Hand.
„Also trinkst du mit oder gehst du petzen?" Widerwillig nahm Etienne die Weinflasche, die ihm Dante entgegen reichte und drehte den Schraubverschluss auf. Er konnte es selbst nicht glauben, dass er gerade alles für eine billige Flasche Wein riskierte.
Dann setzte er die Flasche an und genehmigte sich einen großen Schluck. Dante hatte sich neben ihn aufs Bett gesetzt und Angelo und Milo saßen auf dem Bett gegenüber.
Sie vertrugen den Wein nicht alle gleich gut, aber die Zungen hatte er bei allen gelockert. So lachte Etienne nun auch über den ein oder anderen Witz, bei dem er sonst nicht mal mit dem Mundwinkel gezuckt hätte.
„Was ließt du eigentlich die ganze Zeit für einen Scheiß?", fragte Dante und nahm den Gedichtband von Shakespeare zur Hand. „Gib das wieder her", sagte Etienne, aber Dante hatte sich schon aufs Bett gestellt und zitierte aus dem Band.
„Nie soll des neidischen Todes Blick Dich finden, Denn fort lebst Du in meinem Lied unsterblich..." Nun bekam Etienne das Buch zu packen und entriss es Dante, während die anderen drei Jungen lachten.
„Bist du ein kleiner Romantiker?", fragte Angelo. „Ihr habt doch keine Ahnung. Ihr denkt, ihr seid was Besseres, dabei seid ihr einfach nur scheiße."
„Jetzt beruhig dich mal. Das war nur ein Spaß", schaltete sich Milo ein, aber Etienne dachte gar nicht daran, sich zu beruhigen. Der Alkohol hatte ihn mutig gemacht.
„Nur Spaß? Für dich ist immer nur alles Spaß. Du denkst nie an die Konsequenzen. Du benimmst dich wie ein kleines Kind. Und du Dante, machst dich ständig nur an die Mädchen ran, dabei hast du nichts zu bieten und merkst gar nicht, dass sie nur in deiner Nähe sind, weil sie Milo toll finden. Und du... Angelo. Bist nur ein verdammter Mitläufer ohne eigene Meinung."
Noch bevor einer der schockierten Jungen was sagen konnte, schmiss Etienne den Gedichtband aufs Bett und eilte in die Nacht hinaus.
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Die Melodie des Sommers
RomanceEin Sommer in Italien Ende der 80er Jahre. Der 18-jährige Etienne muss seine Sommerferien, gegen seinen Willen, in einem Jugendcamp an der Adria verbringen. Alles, was er sich wünscht, ist, dass die sechs Wochen schnell vorbeigehen mögen, doch dann...