Begegnungen

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ODELA

„Aaarrgh!!!"
Wutschnaubend stürmte Odela in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. War das Mutters Ernst? Echt jetzt?
„ODELA!!! Komm sofort wieder runter!"
Die junge Frau fauchte wütend: „Ja, klar, damit mich dein schmieriger Freund weiterhin antouchen kann! Wenn das so weitergeht, vergesse ich die halbwegs gute Erziehung, die ich genießen durfte und trete dem Kerl so heftig in die Klöten, das er seine Familienplanung auf Dauer vergessen kann!"
Dann riss sie schwungvoll die Tür wieder auf und brüllte zurück: „Nein! Kein Interesse! Ich hab Kopfschmerzen!" und knallte die Tür wieder zu.
Sie liebte ihre Mutter ja... Aber in letzter Zeit war sie irgendwie merkwürdig geworden. Ständig versuchte sie Odela mit einem Freund ihrer Kindertage zu verkuppeln. Der Typ war Mitte Vierzig und sah aus wie ein Misthaufen auf links gedreht (und er roch auch so!) Nichts gegen ältere Männer, aber HALLOHO... Dela war gerade mal 22! Und nach der letzten und zugegebenermaßen einzigen Erfahrung, die sie mit einem Mann oder besser gesagt Jungen gemacht hatte, war sie auch nicht wirklich daran interessiert, eine weitere hinzuzufügen. André war ja ganz süß gewesen. Sie waren zusammen in eine Klasse gegangen und hatten die gleichen Leistungskurse im Abitur belegt ... er war halt ein niedlicher, schüchterner Nerd, zumindest oberflächlich betrachtet. Sie waren beste Freunde, doch dann hatte er sie ins Kino eingeladen und irgendwie war eins zum anderen gekommen. Romantische Komödie... Rumgeknutsche im Dunkeln... und da Odela sich gerade in einer rebellischen Teenagerphase befand, hatte sie auch nicht nein gesagt, als André sie auf dem Rücksitz seines Autos ausgesprochen klischeehaft zuerst befummelte und sie dann mehr schlecht als recht entjungferte.

Es hatte echt wehgetan, war eine schmierige, schmutzige und vor allem kurze Angelegenheit gewesen. Dela war nicht auf ihre Kosten gekommen.... so überhaupt nicht ... und nachdem André sie danach wie die letzte Schlampe vom Dienst behandelt hatte, war ihr Interesse an Männern gänzlich erkaltet. Kerle bedeuteten nichts als Ärger! Und da hatte sie nun wirklich kein Bock drauf. Dummerweise wollte ihre Mutter das nicht einsehen.  

- ‚Irgendwann werde ich nicht mehr da sein, mein Liebling. Werde nicht mehr für dich sorgen können, und dann will ich, dass du in guten Händen bist! Das musst du doch verstehen, mein Schatz...'    

- und da die junge Frau ihrer Mutter nicht enttäuschen wollte, machte sie gute Miene zum bösen Spiel. Oder ... hatte sie gemacht, denn dann war der Kerl ein bisschen zu aufdringlich geworden. Sobald ihre Mutter in der Küche verschwunden war um neuen Tee zu kochen, hatte dieser schmierige Widerling seine Hand auf ihr Bein gelegt und war damit über ihren inneren Oberschenkel gefahren. Und dieses schleimige Grinsen dabei hatte ihr echt den Rest gegeben! Lieber würde sie für den Rest ihres Lebens Baumrinde oder Fliegenpilze fressen und als Vagabund alleine im Wald leben, als dass sie sich noch einmal in die Nähe von Muttis besten Freund begab. Ihre Wölfin fauchte zustimmend und schüttelte das gesträubte Fell. Das Seelentier hasste alles an dem Mann. Seinen Geruch, sein Verhalten, seine Stimme, die Art, wie er sprach... Die Liste war schier endlos und Dela musste ihr da vollkommen Recht geben.

Deshalb verstand sie auch nicht, warum ihre Mama auf diese ‚Bekanntschaft' bestand. Geld war doch nicht alles im Leben...
Überhaupt hatte sich ihre Mutter in letzter Zeit stark verändert. Genau gesagt seit Odelas 21. Geburtstag. Sie war distanzierter, gleichgültiger und die Freundlichkeit und Fürsorge wirkte zunehmend aufgesetzter. Es war auch der Grund, warum Dela ihr nicht erzählt hatte, dass sie eine Wandlerin war als ihre Wölfin vor einem halben Jahr erwachte. Sie wusste, dass das Wandlersein nicht familiär bedingt war. Es lag keine Blutsverwandtschaft vor, denn sie war im Alter von fünf Jahren adoptiert worden.

Ein heftiges Hämmern an der Tür riss die junge Frau aus ihren Gedanken.
„Odela Karolina Schuster... Du kommst jetzt SOFORT wieder mit nach unten!!!! Ich werde nicht zulassen, dass du mich von meinem Freund blamierst. Helmut ist heute extra für dich hergekommen. Er hat sich frei genommen, um dich kennen zu lernen und du bist so unhöflich!"
„Mir geht's nicht gut Mama, ich hab ...äh...Kopfschmerzen und ... Unterleibskrämpfe. Es tut mir wirklich leid... Wenn er das nächste Mal kommt, werde ich ihm einen Kuchen als Entschuldigung backen."
Kaum dass ihre Mutter wütend nach unten polterte, knurrte Dela:
„Ja... Und dann zieh ich ihn das Ding über die glatzköpfige Rübe!"
Sie schüttelte sich angewidert und ging zum Fenster.. Ein kurzer, prüfenden Blick und nachdem sie festgestellt hatte, dass weit und breit keine Menschenseele sehen konnte welchen Stunt sie jetzt abziehen würde, sprang sie einfach in die Tiefe. Und wieder einmal bedankte sie sich bei sämtlichen Göttern, die es im Universum gab für die Tatsache, dass ihr Garten praktisch schon Wald war. Lautlos huschte sie zwischen den großen, knorrigen Stämmen hindurch, bis das Haus nicht mehr zu sehen war. Dann zog sie sich rasch aus und räckelte sich genüsslich. Für einige Herzschläge genoß sie die kühle Waldluft auf ihrer Haut, fühlte den Frieden und die Stille... ... mit einem Aufseufzen ließ sie ihre Knochen brechen und seidenweiches Fell flutete über ihren Körper. Wenige Augenblicke später stand eine winzige, welpenhaft wirkende, goldfarbene Wölfin da und stieß ein glückliches Fiepen aus. Fröhlich trabte das Wölfchen drauf los, um zu ihrer Lieblingsstelle an einem kleinen Waldsee zu gelangen. Wenn Dela in ihrer Wolfsform durch die Eifel streifte, überließ sie ihrem Seelentier stets die Kontrolle und ihre Wölfin nutzte das auch immer aus. Verspielt und fröhlich tollte sie dann durch den Wald und schmuste mit so ziemlich jedem Tier, dass sich ihr nährte. Und Odela genoss es. Sie liebte diese überschäumende Verspieltheit und Freiheit, die ihr inneres Tier dabei empfand.

An ihrem See angekommen plumpste sie ins Gras und schnaufte zufrieden. Dann wälzte sie sich auf den Rücken, zog die Pfötchen an und ließ sich von der Sonne das Bauchfell wärmen. Träge wedelte ihre Rute hin und her, während sie den Schmetterlingen zusah, die über ihrer Nase herumflatterten. Langsam döste Odela ein, bis mit einem Mal etwas die Sonne verdeckte. Mit einem unwilligen Fiepen öffnete die kleine Wölfin ihre Augen und sah in in das Gesicht eines gewaltigen, dunkelbraun-schwarzgescheckten Wolfes. Dieser hatte in die Schnauze gesenkt und schnupperte an Dela. Seine Nase glitt langsam an ihrem Hals entlang und dann über ihren Bauch. Während der Mensch im innern vor Angst halb wahnsinnig war, empfand die kleine Wölfin keine Furcht. Die Körpersprache des dunklen Giganten über ihr war eindeutig freundlich, also erwiderte sie diese Freundlichkeit. Ihre Rute wedelte wild hin und her und sie streckte das Schnäuzchen empor um ebenfalls an ihm herumzuschnuppern.. Was sie da roch... gefiel ihr... Dieses Männchen roch gut!!
Ein tiefes, warmes Brummen kam aus seiner Kehle und Delas Seelentier fühlte sich auf einmal pudelwohl. Begeistert sprang sie auf die Pfoten, begann um den Riesen herumzuhüpfen und zwickte in seine Hinterbeine um ihm zum Spielen zu animieren. Und der gewaltige Rüde folgte der Aufforderung. Gemeinsam tollten die beiden über die Lichtung, ihr fröhliches Fiepen und Kläffen mischte sich mit dem tieferen, fast donnernden Bellen des riesigen Männchens. Nach einiger Zeit ließ Odela sich japsend und hechelnd ins Gras plumpsen und jaulte leise, als sich das große Männchen vor sie legte. Sanft stupste er sie mit dem Maul an und brummte leise vor sich hin. Die kleine Wölfin gähnte und ließ sich zur Seite fallen. In dem Bewusstsein sich in völliger Sicherheit zu befinden, schlummerte sie schließlich weg... eingelullt von der Wärme und der Stärke des schwarz-braunen Wolfes.

OdelaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt