Irrwege

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NICO

Als die Tür hinter Odela ins Schloss fiel, herrschte erschrockene Stille im Raum. Für ein paar Herzschläge lang konnte sich niemand rühren, dann sprang Nico auf und wollte hinter seiner erwählten Gefährtin her, doch Chris hielt ihn mit einer schnellen Handbewegung auf. „Alpha, warte... Mir ist klar, dass du sie nicht gehen lassen willst und kannst, aber die Kleine braucht ein wenig Abstand. Lass sie sich etwas beruhigen und geh morgen zu ihr um das zu klären. Heute Abend wirst du keinen Erfolg haben!" Nicos Augen leuchteten in einem klaren goldenen Licht - so verzweifelt war sein innerer Wolf vor Sorge und Kummer über die Worte, welche sein Weibchen ihm an den Kopf geworfen hatte. Lex stimmte jedoch dem ersten Beta zu.
„Chris hat recht... So aufgebracht wie die Omega gerade ist, wird sie dir vermutlich ne Pfanne über den Schädel ziehen, bevor du ihr auch nur zu nah kommen kannst. Plus, es wird deinem Wolf darüberhinaus Zeit geben, sich abzureagieren, damit er sie nicht sofort wieder aus lauter Sorge zu Boden takelt."
Als auch noch Mila sich auf die Seite der beiden Betas schlug, ließ der Alpha sich wieder auf der Couch nieder. Mit einem Stöhnen vergrub er das Gesicht in den Händen und flüsterte: „Ich verstehe einfach nicht, was ich falsch gemacht habe!"
Adeline seufzte leise und antwortete: „Ich fürchte Alpha, deine Gefährtin ist ein klassischer Trotzkopf. Und vermutlich liebt sie ihre Mutter sehr. Der Gedanke, dass die eine Person, die dich bedingungslos lieben sollte dir etwas getan haben könnte, was dich verletzt hat....der ist für kein Kind leicht zu ertragen, ganz egal wie alt das besagte Kind ist..."
Nico stöhnte erneut und fuhr sich durch das dichte Haar. „Oh, fuuuuuck... das hätte ich wirklich besser angehen sollen und ihr habt recht. Ich werde bis morgen warten, um nach meiner Kleinen zu sehen."

Die Nacht war kurz und voller Unruhe. An Schlaf war gar nicht zu denken gewesen. Stattdessen war Nico wie ein gefangenes Raubtier im Zimmer auf und ab gestromert. Sein Wolf konnte sich kaum beruhigen und versuchte immer wieder durchzubrechen, um zu seiner kleinen Gefährtin hinüberzulaufen, so dass er sie packen und in sein Bett schleifen konnte, damit sie dort vor der ganzen bösen Welt in Sicherheit war. Das Seelentier wusste nur, dass die Mutter ihrem eigenen Kind geschadet hatte und es war auf dem Kriegspfad. Das verzweifelte Bedürfnis dieser hochnäsigen Kuh die Kehle herauszureißen, wurde von Sekunde zu Sekunde immer stärker. Als endlich, ENDLICH die Sonne aufging, stürmte Nico die Treppe hinunter in Richtung Haustür. Dort stand bereits Mila und hielt ihm eine Tasse Kaffee entgegen. „Du hast auch nicht geschlafen, hm?" fragte sie mitfühlend.
Der Alpha schüttelte den Kopf und exte den Kaffee. „Nicht wirklich," antwortete er. „Mein Wolf will Blut sehen. Wenn ich ihn ließe, wäre die Kehle der Mutter Geschichte..." Mila kicherte leise. „Meine Wölfin ist auch nicht glücklich. Sie will ihre Luna beschützen. Ich bin mir sicher, dass es den Jungs genauso geht. Dean hat die halbe Nacht geknurrt... also mit Schlaf war bei uns auch nichts..."

Chris trat an Nicos Seite und fragte: „Wie sieht's aus, Alpha... können wir?" Der Alpha knurrte nur kurz, dann riß er die Tür auf und stürmte hinaus. Sein Beta verdrehte die Augen und folgte ihm. Nur zwei Minuten später klopfte Nico ungeduldig an die Tür des Schusterhauses. Es dauerte eine Weile, doch schließlich öffnete Adelheid und sah verwundert auf den großen Mann.
„Herr Ellesedil.... Das ist ja ein Vergnügen so am frühen Morgen. Kann ich irgendetwas für Sie tun?"
„Frau Schuster... Ich würde gerne mit Odela reden. Wir hatten gestern Abend einen kleinen Streit und ich möchte die Sache wirklich dringend mit ihr klären. Mein Freund hier meinte es wäre besser, wenn wir uns alle beruhigen könnten, bevor wir diese Aussprache haben... daher bin ich erst jetzt gekommen."
Adelheid Schuster legte eine Hand an ihre Kehle und sah bestürzt drein. „Oh, nein... Das ist ja furchtbar... ich fürchte, meine Odela hat einen ziemlichen Sturkopf und ein sehr aufbrausendes Temperament. Aber sie ist leider nicht hier... Sie.. das erklärt ... ach Gottchen... Das erklärt natürlich ihre Stimmung von gestern Abend. Sie war sehr aufgebracht und wütend und rannte ihr Zimmer hoch, schloss die Tür hinter sich ab und kam dann nach paar Minuten mit einer vollen Reisetasche wieder runter."
Chris trat einen Schritt vor und fragte: „Eine Reisetasche? Also ist sie weg?" Die Frau nickte und breitete entschuldigend die Hände aus. „Hätte ich das gewusst, hätte ich sie natürlich aufgehalten, aber sie sagte, sie bräuchte dringend etwas Freiraum und wollte eine Freundin besuchen fahren, um abzuschalten und sich zu beruhigen. Es tut mir so leid..." Nico machte einen Schritt zurück und war am Boden zerstört. Sein Wolf jaulte vor Kummer und stand stocksteif da, unfähig ein Muskel zu rühren. Chris warf ihm einen kurzen, abschätzenden Blick zu, dann wandte er sich wieder an Odelas Mutter.
„Können Sie uns vielleicht sagen, zu welcher Freundin ihre Tochter fahren wollte?"
„Aber ja... Sie heißt Pauline Steigerl und wohnt in Bayern. Sehr urig... Auf einer Alm. Die haben nicht mal Strom dort oben und zum Lebensmittel kaufen müssen sie den Berg hinunterklettern bis ins Dorf ... das ist wirklich rückständig. Aber Dela meinte, sie bräuchte den Abstand, um wieder klar denken zu können."
„Alles klar... Können Sie uns eventuell das Dorf noch nennen." Frau Schuster dachte kurz nach, dann seufzte sie: „Das müsste ich nachschauen, auswendig weiß ich das leider nicht. Geben Sie mir einen Augenblick, bitte..." Rasch drehte sich die Frau um und verschwand im Haus, während Chris sich zu seinem Freund umwandte. „Kopf hoch, Nico... Wir finden sie. Sobald wir das Dorf kennen, gehen wir nach Hause, du schnappst Lex und mit ihm als Tracker wird es nicht schwer sein, deine Kleine aufzuspüren."

Nico riß sich spürbar zusammen und nickte schließlich. „Du hast recht. Ich werde nicht aufgeben, bis ich sie in meinen Arm halte. Und wenn ich bis zum Ende der Welt reisen muss, um sie zu finden!"
„So, das Dorf heißt Kleinhintersee. Und liegt etwa 100 km westlich von München," Adelheid war zurückgekehrt und zeigte ihnen einen Eintrag über Google Maps. „Wunderbar... Vielen Dank, Frau Schuster!! Sie haben uns sehr geholfen." „Wenn Sie Odela finden, sagen Sie bitte, dass ich mir Sorgen mache und dass ich möchte, dass sie bald nach Hause kommt." Chris nickte höflich und verabschiedete sich mit einem warmen Lächeln, packte Nico und zog ihn hinter sich her zurück zum Rudelhaus.
Dort angekommen lief Chris mit großen Schritten in das Gebäude, während Nico in die aufgehende Sonne blickte. Sein Wolf war unglaublich unruhig. Er wollte los...seine Gefährtin könnte in Gefahr sein und er war nicht bei ihr um zu helfen!
Nur wenig später kam Lex mit zwei Reisetaschen aus dem Haus und sagte: „Es ist alles geregelt, Alpha. Chris wird sich um das Rudel kümmern und wir beide holen jetzt deine Gefährtin zurück. Rein in den Wagen! Je eher wir losfahren, desto eher hältst du sie in deinen Armen!" Mit einem frechen Grinsen betätigte der Tracker die Zentralverriegelung eines großen schwarzen Geländewagens mit Allradantrieb und warf die beiden Taschen in den Kofferraum.
Nico schmunzelte kurz, dann stieg er auf den Beifahrersitz, während Lex sich hinters Steuer schwang. Mit dem Wissen, dass sein Rudel bei Chris in guten Händen war, sagte der Alpha nur: „Gib endlich Gas. Sonst macht sich mein Wolf noch alleine auf dem Weg!!!"
Lachend machte der Beta einen auf Lucan Blackford und trat das Gaspedal bis zum Boden durch.

OdelaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt