In Sicherheit

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NICO

Kaum hatte er den obersten Rand der Schlucht erreicht, begann die kleine Wölfin zwischen seinen Fängen zu strampeln. Nico senkte den Kopf und setzte sie auf dem Waldboden ab. Erschöpft hechelnd blieb sie dort für einige Sekunden hocken, dann erhob sich der Winzling und stackste wie der widersprüchliche Storch durch den Salat auf steifen Pfötchen langsam in Richtung Rudelhaus.. Der Alpha konnte deutlich sehen, dass jeder einzelne Schritt der Kleinen schreckliche Schmerzen bereitete, trotzdem trieb ihr Dickkopf Odela weiter. Als wolle sie jedem beweisen, dass sie keine Hilfe brauchte. Alle paar Meter blieb sie stehen, den Kopf gesenkt um Kraft für die nächsten Schritte zu sammeln. Jace, Dean und Chris folgten in Menschengestalt, während der riesige goldbraune Alphawolf - wie ein Hai seine Beute - Dela umkreiste. Doch nach weiteren 10 m gaben schließlich die geschundenen Pfoten unter der kleinen Wölfin nach und sie rollte sich mit einem leisen Winseln zusammen. Odela senkte die Schnauze und leckte sich mit rasselnden Atemzügen über die Wunde in ihrer linken Vorderpfote. Mittlerweile hatte Nico sich soweit zusammen gerissen, dass er wieder in der Lage war sich in einen Menschen zu wandeln. Er ging neben der kleinen Omega in die Knie und wartete darauf, dass sie den ersten Schritt für den Kontakt machte. Schnuppernd streckte sie ihre Nase vor und drückte diese gegen sein Bein. Zaghaft wedelte ihre Rute und dann erlaubte sie ihm schließlich sie zu streicheln.
„Ach, mein süßes, kleines Sturköpfchen... Ich weiß ja, dass du selber laufen kannst. Aber du brauchst ganz dringend jemanden, der sich um deine Pfoten und um deinen Rücken kümmert. Du darfst gerne auf mir rumkauen, aber ich werde dich jetzt tragen!" Behutsam schob Nico eine Hand unter ihrem Bauch, die andere unter die Hinterläufe und hob dann die Wölfin hoch. Sofort begann die Kleine zu meckern und versuchte, sich aus seinen Armen zu befreien.
„Genug!" Ein Alpha Befehl schwang in diesem einen Wort und brachte den Winzling zur Räson. Leise vor sich hin maulend schob Odela das Schnäuzchen unter und schloss erschöpft die Augen.

Mit großen Schritten eilten die vier Männer zum Rudelhaus, Nico schnurrte die gesamte Zeit über und streichelte beruhigend die flauschigen Ohren seiner gewählten Gefährtin. Nach und nach schlossen sich immer mehr der Alphagarde ihnen an und warfen wütende und zutiefst besorgte Blicke auf die verletzte Omega. Mila stürmte ihnen entgegen und rief entsetzt: „Grundgütige Göttin! Wer...? Ich verstehe nicht, wie konnte..." Dean fing seine Gefährtin ab und packte sie fest an den Oberarmen. „Liebes, beruhige dich! Es hilft uns jetzt nicht, wenn du ausrastest. Ist Adeline bereit?"
Die Deltawölfin riss sich sichtlich zusammen und nickte hastig. „Ja, alles ist vorbereitet!"
„Gut!" grollte Nico und betrat das Haus. Mit schnellen Schritten ging er in das provisorische Arztzimmer, welches sich direkt neben dem Wohnzimmer befand. Dort legte er die kleine Wölfin auf einer Liege ab und trat mühsam gegen den Drang seines Seelentieres bei ihr zu bleiben kämpfend einen Schritt zurück. Adeline kam in den Raum, ein Handy am Ohr.
„Gut... ich danke dir, mein Schatz. Nein, ich habe alles da. Das ist lieb von dir, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Alpha darauf bestehen wird, sein Blut zu nehmen. Grüß Ace von mir, ja? Ich melde mich, wenn es unserer Omega Luna besser geht."
Unruhig knurrend hatte Nico begonnen auf und ab zu gehen und fixierte jetzt seine Heilerin. „Wie sieht's aus?" fragte er scharf.
Geschäftig begann Adeline verschiedene Beutel hervorzukramen und antwortete ein wenig abwesend: „Meine Tochter hat mir die genauen Zutaten für das Omega Heilmittel genannt. Ich habe zum Glück alles hier, vor allem die Hauptzutat. Das wäre dein Blut, Alpha..." Entschuldigend sah die Heilerin auf den großen Mann vor sich.
„An dein Blut zu kommen wird leider sehr, sehr unangenehm für dich werden. Ich kann natürlich auch bereits fertiges Heilmittel von meiner Tochter bringen lassen. Es wäre ein paar Stunden hier."
Doch Nico knurrte nur. „Mein Weibchen, MEINS! Du wirst mein Blut nehmen!"
Mit einem maunzenden Laut erwachte Odela und sah sich benommen um. Sie schnupperte und nieste. Unwillig vor sich hin grummelnd stemmte sich die Omega in die Höhe, sprang mit der Eleganz einer an Land watschelnden Seekuh von der Liege und landete mit einem Bauchplatscher auf dem Boden. Kurz fiepte sie, dann wankte Odela ins Wohnzimmer um sich dort auf ihren Lieblingsteppich niederzulassen.
Zufrieden schnaufend grub sie die kleine Nase in den flauschigen Teppich und rieb dann ihr Kinn darüber um erneut ihre Besitz Ansprüche geltend zu machen. Mila und Dean setzen sich neben die Omega und sahen zu ihrem Alpha. Die Delta streckte entschuldigend die Hand nach Nico aus und sagte leise:
„Sie braucht wahrscheinlich im Moment nur etwas, wo sie sich sicher fühlt. Ich glaub nicht, dass das Arztzimmer vertrauenserweckend für sie ist. Lass sie doch hier auf dem Teppich, den hat Dels bereits bei ihrem letzten Besuch als ihr Eigentum gezeichnet... Sobald du das Heilmittel hast, könnt ihr sie ja immer noch behandeln. Lass deine Gefährtin solange ein bisschen Sicherheit hier spüren."

Nico presste kurz die Lippen zusammen und nickte schließlich. Er beugte sich zu Odela und strich ihr zärtlich über den Kopf. Zaghaft klopfte die Rute auf den Boden, als sie ihren Kopf gegen seine Hand drückte. Dann schnaufte die Wölfin und kuschelte sich tiefer in den Flauschteppich. Widerstrebend richtete sich der Alpha auf und mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf Odela kehrte er zu Adeline zurück.
Diese sah ihn beim eintreten an und hob mit einem bedauernden Lächeln ein Glas hoch. „Das wird nicht angenehm werden, Alpha. Im Prinzip ist das die reinste Giftmischung, aber keine Sorge. Es wird dich nicht töten. Es wird allerdings Scheiße weh tun. Dieses Zeug ist ein Cocktail aus Wolfswurz, Eisenkraut und Silberoxid. Es wird deinen Wolf außer Gefecht setzen und mir gerade genug Zeit geben, eine Nadel durch deine Haut zu stoßen, um an dein Blut zu kommen. Ich werde etwa 1 l brauchen. Und das werde ich dann mit der Mischung in diesem Beutel hier versetzen. Das ganze muss 1 Stunde lang durchziehen und dann kann ich es deiner Omega geben."

„Was ist da drin?" fragte Nico neugierig auf den Beutel deutend.
„Beinwell, die Rinde von Kirschbaum und Rosskastanie, Ringelblüten und Wolfskraut. Alles Heilpflanzen, die bei Wandlern wahre Wunder bewirken können. In Kombination mit deinem Alphablut gibt es einem Omega kurzfristig dieselbe Heilfähigkeit, die ein normaler Wandler hat."
Nico nickte nachdenklich, dann trank er mit einem einzigen Zug das Glas aus. Sein Wolf stieg mit einem Jaulen auf, als das Gefühl von flüssigem Feuer in seinen Adern seinen Körper lähmte. Adeline beobachtete scharf die Augen des Mannes und als der goldene Glanz des Wolfes daraus verschwand, stieß sie schnell die Nadel in die Vene in seiner Armbeuge und befestigte die Kanüle.
Nachdem der Liter in eine Schale geflossen war, zog die Heilerin die Nadel aus dem Arm des Alphas und rief: „Einen Beta, bitte!"
Lex und Chris waren sofort zur Stelle und packten Nico unter den Armen um ihn ins Wohnzimmer zu tragen, während Adeline die Kräutermischung in das Blut rührte. Nebenan angekommen ließen die beiden Betas den Rudelchef auf der Couch nieder und Chris legte ihm eine Decke um die Schultern. Stöhnend beugte der Alpha sich nach vorne und stürzte den Kopf in den Händen ab. Fuck!
So beschissen war ihm noch nie zuvor gewesen, am liebsten würde er sich die Eingeweide aus dem Leib kotzen. „Alles ok, Mann?" unruhig sah Dean zu ihm hinüber. Als Anführer der Alphagarde war der Instinkt, Nico zu schützen bei ihm stärker ausgeprägt als bei allen anderen und im Moment war er hin und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, seinen Alpha vor weiterem Schaden zu bewahren und seine Luna zu bewachen.
Fiepend hob die kleine, zerrupfte goldene Wölfin den Kopf und sah sich unruhig um. Als sie den Mann auf dem Sofa sah, jaulte sie laut und verängstigt auf und schlingerte dann ausgesprochen wacklig zu ihm hinüber. Mühsam stieg Dela an seinem Bein empor, setzte die kleinen Krallen wie Steigeisen ein und versuchte, sich so auf seinen Schoß zu ziehen. Ächzend langte Nico nach unten, legte seine Hand unter ihren Bauch und hob sie mühelos hoch.
Odela wühlte sich unter seine Decke und schmiegte sich mit einem leisen Bellen an die nackte, muskulöse Brust des Mannes. Die Wärme und das sanfte Schnurren lullte die Omega allmählich in den Schlaf und während sie sich entspannte setzte die Wandlung ein, so dass Nico nun seine nackte Gefährtin in den Armen hielt.
Seine nackte und verletzte Gefährtin!
Sein Blick nahm den blutig geschlagenen und mit zahlreichen Brandwunden bedeckten Rücken, Bauch und Brust und die eiternden, durchbohrten Hand-, und Kniegelenke wahr und ein gnadenloser Hass stieg in dem Alpha auf. Wer auch immer Odela das angetan hatte, den würde er zur Not bis an den Rand der Welt jagen und so qualvoll wie möglich ins Jenseits befördern!
Er senkte den Kopf und presste seine Lippen auf ihre Schläfe, während er ihr das stumme Versprechen gab, dass ihr niemand jemals wieder ein Leid zu fügen würde.

OdelaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt