Wahrheiten

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ODELA

Mit einem leisen Stöhnen versuchte Odela, trotz der schrecklichen Kopfschmerzen die Augen zu öffnen. Verdammt... Was war passiert? Und seit wann schlief sie im Sitzen? Sie brauchte ganz, ganz, ganz, ganz dringend eine Aspirin. Oder am besten gleich einen ganzen Eimer davon. „Auuu..." wimmerte sie leise und wollte sich an den Kopf fassen... doch ihre Hände... sie konnte ihre Hände nicht bewegen! WARUM KONNTE SIE IHRE HÄNDE NICHT BEWEGEN???
„Was zum... MAMA?" schon kurz nach diesem Ausruf bereute sie es, denn die Kopfschmerzen wurden nun um ein vielfaches schlimmer. Nur wenig später erklangen Schritte und die Tür öffnete sich. Und dank des Lichtes, das durchs Treppenhaus fiel konnte Odela endlich erkennen, dass sie sich im Keller befand. Das Haus der Schuster Familie war eines dieser alten schweren Backsteinbauten, mit dicken Betonwänden im Keller. Vermutlich konnte man hier unten ein Heavy Metal Konzert abhalten und im Wohnzimmer wäre nicht ein Pieps zu hören gewesen.
„Du bist wach... Das ist gut. Du musst wach sein für das, was in der nächsten Zeit passieren wird."
Adelheid trat in den Kellerraum, machte das Deckenlicht an und schloss die Tür hinter sich. Dann griff sie nach einem weiteren Stuhl und zog ihn so, dass sie sie sich vor Dela hinsetzen konnte.

Nachdem ihre Mutter Platz genommen hatte, legte sie die Handflächen auf ihre Oberschenkel und betrachtete ihre Tochter mit einem undurchschaubaren Blick. Odela zerrte an den Handfesseln, die sie an den Metallstuhl banden. „Warum bin ich hier unten, Mama? Warum bin ich gefesselt und wo wir schon mal dabei sind, warum in drei Teufelsnamen hast du mich mit einem Kerzenständer niedergeschlagen?" knurrte die junge Frau wütend.
Adelheid atmete tief durch und richtete ihren Blick in die Ferne.
„Weißt du... Bis vor 16 Jahren war ich glücklich verheiratet. Mit der Liebe meines Lebens. Wir hatten unglaublich viele Pläne und Träume für unsere Zukunft und dann wurde ich auch noch schwanger. Es war wundervoll - perfekt... Mein Mann wollte unbedingt Kinder und zwar so viele wie möglich und ich wollte das auch. Ich war im sechsten Monat, kam gerade von meinen Eltern nach Hause, sie wohnten damals nur ein paar Gehminuten von uns entfernt... ich hörte nur das Quietschen von Reifen, fühlte einen heftigen Schlag in den Rücken und dann nichts mehr.
Ich kam im Krankenhaus nach drei Wochen wieder zu mir. Mein Mann saß neben meinem Bett und wartete. Und dann sagte er zu mir, dass unser Baby tot wäre. Du musst wissen, er wollte mich damals von meinen Eltern abholen, aber ich bestand darauf zu Fuß zu gehen, da ich mir die Beine vertreten wollte. Er gab mir die Schuld am Tod meines Kindes. Denn hätte er mich abgeholt, wäre das alles nicht passiert. Er konnte mich kaum ansehen, während er mir das erzählte... während er mir vorwarf, dass ich unser Baby ermordet hätte. Und dann ging er weg. Als ich eine Woche später aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war er ausgezogen. Und ich hab nie wieder etwas von ihm gehört...
Naja, das stimmt nicht ganz... Ein Jahr später habe ich die Scheidungspapiere bekommen. Er ist nun glücklich verheiratet mit einer 15 Jahre jüngeren und hat vier Kinder. Ich war am Boden zerstört, als er mich verlassen hat und wollte wissen, wer mich angefahren hatte.. Also heuerte ich einen Privatdetektiv an, da die Polizei niemanden finden konnte - keine Beweise, nichts. Angeblich hatte niemand etwas gesehen... Nun der Detektiv war sehr teuer - er hat meine ganzen Ersparnisse gekostet - aber er hat herausgefunden, wer für mein Unglück verantwortlich war. Es war ein Wandler, genauer gesagt war es der Alpha das Eifel Rudels. Clayton Manning, hieß er... Ein verfluchter Wandler hat mein Kind ermordet, hat mein Mann von meiner Seite gerissen und hat mich alles gekostet, was ich jemals hatte. Ich hasse Wandler mit jeder Faser meines Seins."

Adelheids Stimme war kühl und tonlos, während sie Odela von ihrem Trauma erzählte.
Der Blick war in die entfernte Vergangenheit gerichtet und ihre Augen glühten vor Zorn. Der jungen Frau liefen die Tränen über die Wangen. Ganz egal, was ihre Mutter ihr angetan hatte und noch antun würde... es musste entsetzlich für sie gewesen sein, ihr Baby zu verlieren und den Mann, den sie mehr als alles auf der Welt geliebt hatte.

„Wie dem auch sei," fuhr die ältere Frau nun fort. „Ich wollte immer Kinder haben, doch durch den Unfall konnte ich keine mehr bekommen. Ich war unfruchtbar geworden, denn sie mussten mir bei dem Not-Kaiserschnitt auch die Gebärmutter entfernen, weil diese zu stark verletzt war. Also suchte ich nach anderen Möglichkeiten, ein Kind zu bekommen. Und dann kamst du. Fünf Jahre alt, so allein wie ich, mit deinen honigfarbenen Ringellöckchen und den großen, unschuldigen blauen Augen. Du brauchtest mich genauso sehr, wie ich dich brauchte. Es war einfach perfekt. Ich habe dich von Anfang an so sehr geliebt. Du warst für mich mein Kind, mein Baby. Und ich hätte die Welt für dich niedergebrannt, wenn es hätte sein müssen. Doch dann, an deinem 21. Geburtstag musste ich mitansehen, wie mein süßes, unschuldiges Baby zu einem fellbedeckten Monster wurde. Du bist das, was ich am meisten auf dieser Welt hasse und trotzdem bist du mein geliebtes Kind. Ich werde versuchen, diese Wandler Infektion aus dir herauszubrennen. Und es wird mir gelingen! Ich werde dich retten!!! Dann bist du wieder mein unschuldiges kleines Kind sein. Und was ich bis dahin tun muss, meine Kleine, das wirst du mir irgendwann vergeben. Irgendwann wirst du verstehen, dass es für das Beste ist... für DEIN Bestes ist! Du wirst mich vermutlich eine Weile hassen, aber ich glaube ganz fest daran, dass wir beide das überwinden werden. Denn du bist schließlich meine Tochter."

Ein fast manisches Glänzen lag in den Augen Adelheids und Odela bekam Angst. Nicht ein bisschen, nein, sie bekam echte Todesangst. Ihre Mutter brauchte offensichtlich ganz, ganz dringend einen Therapeuten!
„Mama... Bitte .."
„NENN MICH NICHT SO! Solange du dieses Monster in dir trägst, bin ich nicht deine Mutter. Ich bin deine Retterin. Wenn ich dir den Wolf aus dem Körper geschnitten habe, dann, mein Liebling, dann bin ich wieder deine Mama. Aber so lange wirst du mich ausschließlich mit meinem Namen ansprechen!"
Dela begann zu zittern und nickte kleinlaut. Adelheid fuhr sich durch die dunklen Haare und betastete sorgfältig den strengen Dutt in ihren Nacken.
„Gut... Es freut mich, dass wir vernünftig miteinander umgehen. Also, Odela... jetzt da du weißt, warum ich tun muss... was ich tun werde. Gibt es irgendetwas, was du mir noch sagen möchtest?"
Der jungen Frau liefen Tränen über die Wangen, als sie leise sagte:
„Ich fürchte, es ist egal, was ich sagen werde. Es wird deine Meinung nicht ändern, nicht wahr? Wenn ich dir erzählen würde, dass mein Wolf ein unglaublich liebes, verspieltes und verschmustes Wesen ist, welches noch nie jemandem Schaden zugefügt hat, das wäre dir völlig egal, oder? Du kannst nicht alle Wandler in eine Schublade stecken. Das ist einfach nicht fair. Dieser Alpha Mannig war ein Ungeheuer, da hast du vollkommen recht... Mam.. äh.. Adelheid, aber ICH bin kein Monster. Ich bin die Frau, die du großgezogen hast. Bitte... Überleg es dir doch noch mal! Versuch, mich kennen zu lernen, meine Wölfin kennen zu lernen. Bitte! Lass mich dir beweisen, dass ich kein Ungeheuer bin!" noch während sie sprach, wusste Odela, dass es vergebens war. Der Blick ihrer Mutter war vollkommen verschlossen und ihre Lippen zusammengepresst. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie nicht mehr für Vernunft zugänglich war.

„Nun... Du hast gesagt, was du sagen musstest. Also, lass uns anfangen... Denn je eher wir anfangen das Biest aus dir rauszuholen, desto eher bist du wieder mein unschuldiges kleines Mädchen..."

OdelaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt