Urteil

722 46 1
                                    

(Triggerwarnung)
ODELA

Die tiefe Stille, die sich über dem Steinbruch ausgebreitet hatte, als die beiden Lunas vortraten und gewagt hatten, den königlichen Alpha bei der Urteilsverkündung zu unterbrechen, wurde schwerer und schwerer. Nur das wütende Fauchen der beiden angeketteten Wölfe hinter ihnen war zu hören, als Henry Ellesedil Emma mit einem ruhigen Kopfnicken aufforderte, weiter zu sprechen. Der Blick, welcher die rothaarige junge Frau den beiden ausrastenden Wölfen zuwarf war eine merkwürdige Mischung aus tiefem Mitleid und Abscheu. Doch dann räusperte sie sich und wandte sich wieder dem Richter zu.
„Mia und ich haben uns lange unterhalten. Und ich sehe das genauso wie sie... Irgendetwas hat ihre Seelentiere vergiftet. Und als uns das klar war, haben wir mit Adeline Weston gesprochen, als wir neulich bei Nicolais Rudel zu Gast waren. Auf meine Bitte hin hat sie sich dann mit ihrer Schwester Lydia in Verbindung gesetzt. ... Ja, genau die Lydia... Und, ähm, nun ja... Wir haben ihr Immunität versprochen, wenn sie uns bei dieser Sache hilft." Henry hob eine Augenbraue.
„Immunität? Hmmm... da bin ich jetzt aber gespannt, was dabei rauskommt. Denn versteh mich nicht falsch, meine liebe Rheinland Luna. Der einzige, der der Kräuterhexe Immunität gewähren kann, das bin ich. Und nachdem, was ihr beiden, Alia Blackford und auch mein Sohn mir erzählt haben, scheint diese Lydia die Wurzeln eines wirklich, wirklich üblen Sprosses zu sein. Also hoffe ich sehr, dass sich dieser Preis auch lohnt..."

Emma seufzte leise, doch es war Mia die antwortete: „Um ehrlich zu sein, ich bin mir da auch nicht so ganz sicher. Dieses Dreckstück ist schuld daran, dass ich meine Wölfin fast verloren hab und wie wir herausfanden, ist sie auch schuld daran, dass sich die Wölfe von Henning, Adam, Lasslo und Cole verändert haben. Lydia hat Ivanna - auf Adams Geheiß - die Destillation einer seltenen, so genannten Tauwetter Blume mitgegeben. Was genau sonst noch in diesem Gebräu war... interessiert mich ehrlich gesagt nicht die Bohne, aber es hat bewirkt, dass die Seelentiere uns auf einmal als Feinde gesehen haben. Deswegen haben sie nicht mehr gegen ihre Menschen angekämpft, um uns zu beschützen."
Der königliche Alpha kniff die Augen zusammen und musterte die halb wahnsinnigen und tobenden Wölfe, die an den ächzenden Silberketten zerrten. Dann wandte er seinen Blick wieder den beiden jungen Frauen zu.
„Fahre fort," sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Und Emma sagte: „Auch wenn wir den menschlichen Teil dieser beiden Männer abgrundtief verachten, fürchten und hassen, so gilt das nicht für deren Wölfe. Die sind genauso ein Opfer, wie wir sind... und ... wir... fühlen uns ... schlecht dabei, auch die Seelentiere zu verdammen."
Der Blick des riesigen Mannes vor ihnen wurde sanft und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er antwortete: „Ich verstehe euch. Wirklich, das tue ich! Ich bin nicht leicht mit einem Todesurteil an der Hand, das müsst ihr mir glauben. Aber ich sehe keine Möglichkeit, die menschliche Seite zu bestrafen und die tierische am Leben zu lassen." Mia hob den Kopf und fragte leise: „Wenn es eine Möglichkeit gäbe, würdet ihr sie in Betracht ziehen?" Henry tauschte einen Blick mit seiner Gefährtin und den obersten Mitgliedern seines Rudels. Und schließlich nickte er: „Wenn es eine solche Möglichkeit gäbe, ja... Ich würde die Seelentiere verschonen."
Mia und Emma sahen sich fast schon erleichtert an und wandten dann ihren Blick in Richtung ihrer Gefährten. „Adeline?"
Auf Emmas Ruf hin, trat die Kräuterheilerin und erste Rudel Ärztin von Nico hervor und ging mit ruhigen und sicheren Schritten auf die versammelten hochrangigen Wandler zu. In der Hand hielt sie eine kleine Glasphiole in der sich eine leicht bläulich schimmernde Flüssigkeit befand. Sie neigte respektvoll den Kopf von dem königlichen Alpha und dann sagte sie: „Meine Schwester hat mir das hier gegeben. Es ist das gleiche Destillat, dass sie beim ersten Mal verwendet hat mit zwei winzigen Zusätzen. Zum einen reinstes Silbernitrat für einen schnellen Tod und ... die Essenz des krausen Kastanienbücklings um die Wirkung der Sicht umzukehren und die Seelen schlussendlich zu trennen..."

Spontan meldete sich bei Odela das Frühstück. Oh, an diesem Pilz erinnerte sie sich nur zu gut! Jace warf ihr einen Blick zu und musste ein breites Grinsen unterdrücken, während Dean angeekelt den Kopf schüttelte. Lächelnd legte Nico seinen Arm um Delas Schultern und zog sie enger an sich. Sanft strichen seine Lippen über ihre Schläfe und er flüsterte: „Mach dir keine Sorgen, mein Liebling... DU musst dieses Zeug ja nicht trinken!" „Na, was für ein Glück," maulte die blonde Omega und unterdrückte ein Würgen. Katharina sah über die Schulter und grinste breit. Natürlich hatte jeder im Rudel von der kleinen Eskapade mit dem Stinkepilz gehört - allerdings fanden nur die Hälfte das wirklich witzig. Auch wenn alle über das Endergebnis sehr erfreut waren...
Nach und nach wandte sich die Aufmerksamkeit wieder Henry zu, welcher mittlerweile die kleine Glasflasche in den Händen hielt. Mit einem tiefen Seufzer sah er von der bläulichen Flüssigkeit zu seiner Liebsten hin. Katharina legte ihm die Hand auf den Arm und sagte leise: „Die beiden Omegas haben recht, das weißt du....Das wissen wir alle. Die Wölfe verdienen eine zweite Chance!" Der königliche Alpha nickte, fixierte die tobenden Seelentiere mit einem harten Blick und donnerte: „WANDELT EUCH!!" Knochen brachen, setzen sich neu zusammen, Fell zog sich unter die Haut zurück und schließlich standen Henning und Adam keuchend und schweißgebadet wieder auf zwei Beinen.
„DAS KANNST DU NICHT MACHEN! WIR SIND VERWANDT! WIE KANN DIR DAS EGAL SEIN?" brüllte Adam und riss an den schweren Dübeln, welche die Kette an dem Felsblock verankerten.

Henry schüttelte traurig den Kopf und sagte: „Mach mich nicht für deine Taten verantwortlich! Und berufe dich nicht auf unsere Verwandtschaft. Gerade die hätte dir Demut beibringen sollen. Aber stattdessen hast du deine Macht genutzt und hast sie an wehrlosen Mädchen und jungen Frauen ausgelassen, die deinem Schutz gegeben waren. Ihr hattet viele Jahre, um euren Weg zu ändern, um eure Taten zu hinterfragen, aber ihr habt euch immer wieder dagegen entschieden. Jetzt müsst ihr die Konsequenzen ertragen! Mechthild war eine großartige Frau... Sie hatte euch den Weg vorgegeben, wie ihr Omegas zu behandeln habt, wie ihr die schwächsten eures Rudels zu behandeln habt. Doch stattdessen wart ihr selbstsüchtig und habt Gefallen an den Qualen anderer gefunden. Mein Urteil steht fest! Ihr werdet sterben. Aber vorher werdet ihr dieses hier trinken! Denn auch wenn ihr jenseits jeder Rettung seid, so gewähre ich dem reinsten Teil eurer Seele Gnade. Findet Trost in dem Wissen, dass eure Wölfe überleben werden..."
Der königliche Alpha macht eine auffordernde Handbewegung und vier Gamma Krieger positionierten sich hinter Adam und Henning. Jeweils zwei hielten die beiden in einem eisernen Griff, während Henry auf die Verurteilten zuging. Mit einer rohen Bewegung packte er zu, zwang zunächst Adams und dann Hennings Mund auf und goss jeweils die Hälfte der Flüssigkeit hinein. Der scharfe Alphabefehl, der nun folgte verhinderte, dass die beiden Männer das Gift ausspucken konnten. Dann lösten die Gammas die Ketten und traten zurück.

Adam und Henning waren wie erstarrt... ihre Herzen schlugen schneller und schneller, Zitterkrämpfe durchzogen ihre Körper und dann erschlafften ihre Muskeln. „Wandelt euch!" sagte Henry ruhig und mit der letzten Lebenskraft wechselten die Sterbenden in ihre wölfische Form. Völlig reglos lagen die beiden riesigen Tiere da, während die letzten Muskelspasmen abklangen....
....
Einige Minuten verging, dann eine Stunde und schließlich richteten sich die Seelentiere auf. Unwillig schüttelten sie die Köpfe und das Fell aus und sahen sich schließlich verwirrt um. Ein leises Winseln kam von dem etwas kleineren Wolf, der einst zu Henning gehört hatte. Henry tat vor die beiden großen Tiere und sah ihnen fest in die Augen. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, senkten die Wölfe ihre Köpfe zur Seite und präsentierten den Hals in einer Geste der Unterwerfung. Der königliche Alpha nickte langsam und sah die Garnison des Schurkenlochs an.
„Ich brauche fünf Freiwillige von euch. Fünf, ohne Familie, die diese beiden nach Grönland bringen und sie dort bewachen. Aufgrund der Erderwärmung wird da immer mehr Jagdfläche frei von Gletschern und die einzigen, die dort leben sind ein paar wirklich abgefuckte Eisbär-Wandler, die sich von Wölfen absolut nichts bieten lassen. Dennoch ... auch wenn ich diesen beiden Gnade gewährt habe, bleiben sie unter Bewachung. Sie sind frei, aber sie dürfen Grönland niemals wieder verlassen!"
Ohne Zögern traten fünf Männer vor. Der älteste von ihnen sagte:
„Wir sind die einzigen, die keine Familie haben und auch nicht den Wunsch danach verspüren. Wir sind Krieger, Alpha, keine Familien Menschen. Daher werden wir gehen.." Henry nickte zufrieden und sagte: „Im Namen aller Rudel danke ich euch. In zwei Tagen werdet ihr abreisen. So lange bringt die beiden zum Schurkenloch zurück. Aber sperrt sie nicht in eine Zelle, sondern in den Freilauf im Hof."

Mia und Emma atmeten erleichtert auf sahen den beiden riesigen braunen Wölfen nach, die nun völlig ruhig zwischen den Gammakriegern herliefen. Die drei Alphas, ihre Gefährten traten zu ihnen und Mia flüsterte: „Jetzt ist es endlich vorbei!" Emma lächelte unter Tränen und küsste ihren Jax. Dann warf sie einen verschmitzten Blick zu Dela und sagte:
„Ja.. Jetzt können wir auch endlich zum erfreulichen Teil unseres Besuchs kommen! Ist da nicht eine Gefährtenbund Zeremonie zu planen?"
Odela verdrehte die Augen und ergab sich ihrem Schicksal. „Ich zieh aber kein Kleid an!" grummelte sie und versuchte die dünne Stimme auszublenden, die ihr ‚LAUF!!!!' zubrüllte....

OdelaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt