Kapitel 29 - Ayla

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"Danke", verabschiedete ich mich von Nisha und sie lächelte mich breit an, als ich aus ihrem Wagen stieg.

Während der Fahrt hatten wir nicht viel gesprochen, außer darüber, dass sie meinen Wunsch nachvollziehen konnte.
"Ein menschliches Leben bietet dir wirklich nicht viel und ich versteh, dass du es beenden willst. Ich hätte in einem Körper wie deinem, keine Zehn Jahre überlebt", beteuerte sie immer wieder, wie klug meine Entscheidung zum Tod war.
Hielt sie mich für so dumm, dass ich nicht merkte was sie gerade versuchte oder war das wirklich ihre begrenzte Meinung?
"Was denkst du denn, wie es als Mensch ist?", hob ich interessiert eine Augenbraue.
"Nun ja", fing sie an, "Wenn ich mir deine Narben so ansehe", senkte sie kurz ihren Blick auf meine Arme, "So etwas kann ich mir gar nicht zufügen und es würde mich in den Wahnsinn treiben, wie schwach alles ist. Ihr braucht sechs Stunden Schlaf, um halbwegs fit zu sein, dafür brauche ich zwei. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie eine Erkältung oder Fieber und war auch noch nie auf ein Spital angewiesen. Ich stelle mir dieses Leben unmöglich vor. Bei jedem Schritt aufpassen, dass es nicht der Letzte ist. So verletzlich durch eine brutale Welt zu gehen, würde mir die Lust am Leben nehmen", klang sie aufrichtig.
"Dafür können wir durch Sex Kinder bekommen", rutschte es aus meinem Mund.
Sofort zog ich meinen Kopf ein und schämte mich für diese Aussage.
Leise fing sie an zu lachen, "Das stimmt. Bei uns ist es sehr aufwändig und nicht immer ein Erfolg", sah sie bedrückt auf die Straße.
"Wie funktioniert es bei euch?", hatte sie mein Interesse geweckt.
"Es werden mir Eizellen entnommen und diese werden mit dem Samen von Gabe befruchtet. Dann, wenn diese Befruchtung funktioniert hat, werden sie mir wieder eingesetzt, prinzipiell wie bei einer künstlichen Befruchtung, aber um diese Eizellen wachsen zu lassen, muss ich eine sehr schmerzhafte Operation über mich ergehen lassen. Denn bei einem Körper, der sich sofort heilt, muss man immer wieder aufschneiden, um an meinen Unterleib zu kommen. Schicht für Schicht wird geschnitten und das im Sekundentakt. Die Hormone, die meine Eizellen reifen lassen, werden direkt in meinen Bauch eingepflanzt und dieser Eingriff dauert Wochen. Die meisten unserer Art bekommen deswegen einfach mit einem Menschen ein Kind und ziehen es dann gemeinsam auf, kaum eine Frau gibt ihre Gene weiter, weil die Prozedur so anstrengend und Schmerzhaft ist. Gabe und ich wollen aber eigene Kinder und vielleicht hat der Doktor etwas, das das ermöglicht", sah sie traurig aus dem Fenster und ich konnte ihren starken Wunsch nach Nachwuchs sehen.
"Ihr könnt euch mit Männern fortpflanzen? Kann eine Frau vielleicht einfacher von einem Menschen schwanger werden?", vielleicht war ihre Art so aufgebaut, ich merkte, wie wenig Ahnung ich hatte.
"Nein. Für uns Frauen ist es immer der gleiche Aufwand. Deswegen irritiert es mich auch, dass Jaros Vater der Mensch ist. Die Qualen, die diese Frau für zwei Kinder aufgebracht haben muss, sind absoluter Wahnsinn", schüttelte es Nisha kurz bei dem Gedanken daran und mir fiel auf, dass sie nicht von dem dritten Bruder zu wissen schien.
Schnell lenkte ich das Thema wieder auf den Auftrag und es dauerte nicht lange, bis wir bei mir waren.

Müde schloss ich meine Wohnung auf, endlich hatte ich mich getraut, für meine Wünsche und Träume einzustehen und es fühlte sich befreiend, aber auch beklemmend an. Die Reaktion von Jaro konnte ich zwar verstehen, aber es war mir egal. Immer wieder hatte ich betont, wie wenig wertvoll mein Leben für mich war und die Wahrheit hatte ihn getroffen, bald würde er sich beruhigen und dann wieder normal sein.
"Scheiße", schrak ich hoch als ein fremder Mann in meiner Wohnung stand.
Er war groß und in seinem dunklen Anzug, aus alten Zeiten, sah er sehr bedrohlich aus. Sein schwarzes Haar war streng nach hinten gegelt und es wirkte, als hätte jedes einzelne seinen festgelegten Platz. Eilig wollte ich fliehen, aber er stellte sich zwischen mich und die Tür.
"Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Mein Name ist Arun, Arun Anzai", klang er ruhig und ich blieb wie angewurzelt stehen.
"Mein Bruder, Jaro, braucht unsere Hilfe und er hat mir von deiner Bedingung erzählt", schob er mich rückwärts in meinen Wohnraum, "Du bist ein Mensch", sprach er das offensichtliche aus, "Du bist ein seltsamer Mensch", betonte er es und schubste mich auf mein Bett.
"Kleine, hör mir mal zu. Jaro ist nicht so wie die Anderen. Sollte er dich wirklich verlieren, stirbt etwas Reines und das kann ich nicht zulassen", dröhnte seine tiefe Stimme durch den Raum, dabei stellten sich meine Nackenhaare auf.
"Ich werde dein Leben beschützen und zur Not werde ich die junge Kreatur, die dich hergebracht hat, einfach töten. Verstehst du mich? Dein Leben ist so viel mehr wert als du selbst erkennst und Jaros Leben ist für mich alles. Er ist mein Fleisch und Blut und niemand wird ihn brechen. Sein Schicksal ist noch nicht erfüllt und wenn du ihm das kaputt machst, werde ich Wege finden, die schlimmer sind als der Tod", knurrte er angewidert.
"Kapierst du das?", sah er verächtlich zu mir herab und ich nickte langsam.
Kaum blinzelte ich, war er auch schon weg.

Scheiße war das unheimlich.

Zitternd ging ich durch meine Wohnung, das musste ich erst einmal verdauen. Schicksal und Rein, scheiße war seine Stimme noch laut in meinem Kopf. Mir wurde schlecht und ich drehte den Fernseher auf, um diese Stimme endlich loszuwerden. Diese dröhnende, tiefe Stimme. Ich hatte sie zum ersten Mal gehört und glaubte ihr einfach jedes Wort. Diese Selbstsicherheit, mit der er sprach, ließ keine Zweifel zu.

Wie ein unruhiger Tiger schlenderte ich durch meine Wohnung, hätte ich eine Schrittzähler, würde er mir jetzt zu meinen 10.000 Schritten gratulieren. 

Verliebt in GrünWo Geschichten leben. Entdecke jetzt