5 - Die Fremde

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Tiefe Falten zogen sich über die Stirn der Bäuerin. Scheinbar wurde ihre Miene grimmig und ernst selbst wenn es nur die Wahl des Halstuchs war über die sie nachdachte. Jedenfalls hatte das der Nichtsnutz von einem Ehemann behauptet, der eigenartige fremde Frauen lange nach Sonnenuntergang ins Haus hineinschleppte. Kälte war mit ihm und dem bewusstlosen Körper über die Türschwelle geschwappt obwohl es den Tag über angenehm gewesen war und sie inzwischen die Fenster sogar länger offen ließ, als vor einem Monat noch.

Auch nun noch schien ein seltsames Frieren in den Wänden zu liegen, obwohl die Sonne schien und die Unbekannte wieder draußen war. Womöglich kam es ihr aber auch nur so vor, denn diesmal sah sie nicht nur unruhig besorgt aus, weil ihre Miene eben so erschien, wenn sie sich konzentrierte. Diesmal war sie es auch wirklich. Deshalb fuhren ihre rauen Finger auch immer wieder über das gehärtete Leder, das sie in der Nacht zuvor von dem durchnässten, eisigen Leib geschält hatte.

Symbole waren darauf eingebrannt. Eines kannte sie gut. Es war ein klein wenig anders. Hatte einen gröberen Schwung und weniger Details. An für sich war es aber dasselbe und zeigte die Konturen einer Hand mit einer Rose.

Hinter ihr öffnete sich die Tür und ruckartig ließ sie das schwere Leder zurück auf den Haufen neben dem Bett fallen. Sie drehte sich um und rieb ihre Hände als hätte sie sich verbrannt. Beinahe erleichtert war sie, als lediglich ihr Mann in die Stube stapfte.

„Was macht sie jetzt?", fragte sie und sah an ihm vorbei als könne die Fremde jeden Moment folgen.

Ihr Ehemann zuckte mit den Schultern. „Ich habe sie bei den Schafen abgesetzt, sie meinte die Luft täte ihr gut und sie müsse denken."

„Denken?"

Er schnaubte leicht. „Was weiß ich. Vielleicht sagt man das so, da wo sie herkommt."

Die Bäuerin runzelte die Stirn. „Hast du sie gefragt wo sie herkommt?"

„Nein."

„Das hättest du tun sollen."

„Es geht mich nichts an."

Leise stöhnend schüttelte sie den Kopf. „Sie ist in unserem Haus! Es geht uns etwas an! Sie trug diese... Panzerung oder was das war. Was wenn sie zu den Soldaten gehört?" Fahrig deutete sie auf den Haufen zurück, den sie nicht zum ersten Mal genauer betrachtet hatte. Metallene, zerkratzte Platten waren mit daran befestigt. Es war keine Kleidung die hübsch aussah oder Bequemlichkeit bot. Diese sollte Schutz bieten. Und obwohl sie an dem Leib der Fremden keine weiteren Wunden, abgesehen von Kratzern, Beulen und blauen Flecken, hatte finden können, war das Material um den Bauch herum - selbst noch nach der unfreiwilligen Wäsche in den tiefen Fluten - von Blut vollgesogen gewesen. Mit tiefem Riss im Stoff wie es zu einer großen Wunde passen würde. Vielleicht von der Waffe die in die Halterung an ihrem Gürtel gehörte. Bei sich gehabt hatte sie jedenfalls keine.

„Soldaten tragen Uniformen, keine Lederrüstungen.", meinte der Bauer, auch wenn er sich dabei nicht ganz sicher zu sein schien.

„Vielleicht nur die nicht, die wir kennen. Du hast die Symbole darauf genauso gesehen wie ich. Das Siegel!" Ihre Lippen spannten sich an und ihre Stimme wurde leiser als sie murmelte: „Sie ist eine von ihnen."

Kopfschüttelnd winkte er ab. „Das hätte sie gesagt. Jeder hätte es gesagt. Jeder würde es gerne sagen."

„Es sei denn sie hat etwas verbrochen und ist auf der Flucht.", gab seine Ehefrau mit gehobenen Augenbrauen zu bedenken. Es ließ ihn stocken und den Kopf auf seine grundsätzlich von Arbeit verdunkelten Finger senken.

„Würde sie dann hierbleiben und nichts tun?", fragte er zweifelnd. „Sie schien nicht in Eile zu sein."

„Vielleicht! Ich weiß nicht!" Die Bäuerin lief fort von dem Krankenlager und hin an eines der in quadratischen Formen angelegten Buntglasfenster.

„Vielleicht hast du recht und sie hat sich den Kopf gestoßen.", meinte wieder ihr Mann auf der Suche nach einer Erklärung. „Dann hat sie vielleicht einfach vergessen, warum sie dort war."

„Und auch was sie ist?", zweifelte diesmal sie.

„Als Morben von einem Baumstamm beim Holzfällen getroffen wurde, hat er vergessen, wie man sich eine Hose anzieht. Er hatte sie auf dem Kopf!"

Sie schnaubte augenrollend. „Morben hat auch schon einmal ein Tischtuch als Rock getragen, weil er dachte seine Klamotten würden schneller trocknen, wenn er sie ins Feuer hält. Er ist nicht der beste Vergleich."

Ein beleidigtes Grunzen war das einzige, das ihr Ehemann daraufhin von sich gab. Wirklich widersprechen konnte er der zutreffenden Beurteilung über seinen Freund aber nicht. "Sie wirkt nicht gefährlich.", murmelte er dann.

„Du solltest sie trotzdem zu den Gendarmen bringen.", schlug sie vor. „Nur um sicher zu gehen."

„In der Stadt?"

„Nein im Hühnerstall! Natürlich in der Stadt! Wenn sie etwas angestellt hat, kümmern die sich darum. Wenn nicht, kümmern die sich auch darum."

Er dachte wieder nach. Eine langsame Ruhe die er sich wohl von seinen Schafen abgesehen hatte. „Ich wollte ohnehin die bestellte Wolle fort bringen. Brunjo lädt gerade alles in den Wagen. Ob ich heute oder morgen fahre ist egal."

Sie nickte. Dann riss sie den Kopf zur Seite und als sie sprach, erhielt ihre Stimme eine unverkennbar nervöse Spitze. „Brunjo ist im Stall? Bei den Schafen?"

Irritiert sah er zu ihr auf. „Ja."

Sie schnappte nach Luft. „Wo du sie gelassen hast? Du hast ihn bei ihr gelassen?"

„Ist das... ein Problem?" Verwirrt kratzte der Schäfer sich am bereits teilweise ergrauten Bart.

„Bei den Heiligen, ob das ein Problem ist fragt er! Ich liebe den Jungen aber jede Fliege denkt weiter als er! Wenn sie nun wirklich zu ihnen gehört und er sich verplappert! Was denkst du wird dann geschehen?" Einen Moment lang sahen sie sich nur gegenseitig an, dann setzten sie sich beinahe gleichzeitig in Bewegung und eilten aus der Tür heraus.

Die Legenden alter LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt