...Einst...
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Die schweißnassen Finger fest ineinander verkeilt, hasteten sie zwischen den dichten Bäumen des Waldes entlang. Zwei Mädchen, kaum wirklich als junge Frauen zu bezeichnen. Beide zierlich, mager aber in den teuren, übergroßen Stoff junger Herren gekleidet. Die langen Haare grob unter Mützen gestopft, die die schweißnassen Strähnen kaum wirklich zurückhalten konnten. Schwere Taschen hingen ihnen über den Schultern und rutschten immer wieder ungeschickt herab.
„Ich kann nicht mehr, Ioanne", keuchte die kleinere von ihnen leise wimmernd. Tränen schwammen in ihren großen Augen und gekringelte brauen Locken klebten ihr in der Stirn. Bisher hatte sie sich Mühe gegeben ohne jedes Klagen mit den längeren Beinen der älteren mitzuhalten, doch nun zitterte ihr Körper als könne sie jeden Moment in sich zusammen fallen.
„Wir müssen weiter Keelie. Bitte, halte nur noch ein bisschen durch, dann... dann..."
Sie blieben stehen. Ihre Schultern bebten. Ioanne rieb sich mit einer grob bandagierten Hand über die Stirn. An ihrer Schläfe klebte noch das getrocknete Blut, dass sie nur grob und in gehetzter Eile fort gewaschen hatte. In der Mühe ihrer jüngeren Schwester etwas Erleichterung zu verschaffen, nahm sie ihr die Tasche ab, um sie zusätzlich zu ihrer eigenen zu tragen. Es klirrte leise unter dem Stoff.
Decken, Essen und verschiedene Wertgegenstände, die sie in der Eile zusammengepackt hatten. Dabei wusste sie nicht einmal, ob es ihr tatsächlich gelingen würde einen goldenen Kerzenständer oder dergleichen zu verkaufen, ohne sofort unter Verdacht zu geraten. Es war die erste Idee gewesen, die ihr gekommen war. Erst jetzt begann sie wirklich darüber nachzudenken.
Aber wirklich schlimmer hatte sie es sowieso nicht mehr machen können. Eine Diebin zu sein, wurde nahezu unbedeutend, wenn man einen Mord begonnen hatte. An dem eigenen Meister zu allem Überfluss.
„Wohin gehen wir?" Keelies Beine schwankten und ihr Blick glitt zur Seite an den Rand der Straße, als der verlockende Gedanke sich einfach niederzusetzen stärker wurde. Stattdessen biss sie aber die Zähne zusammen und schien ihre Füße mit den viel zu großen Schuhen noch fester in den Boden zu drücken. Ioanne litt. Nicht nur, da ihr Körper wohl genauso schmerzte, auch, da sie bereits log, seit sie aufgebrochen waren. Sie verhielt sich, als wüsste sie was zu tun war. Dabei war sie selbst verloren und ratlos.
„Wir müssen einfach weg. Weit weg. Und das so schnell wie möglich!", erklärte sie wage.
Alles war so schrecklich schnell geschehen. Immer wieder riss die Erinnerung durch ihren Verstand und warf ihr vor, wie sie alles hätte anders tun können. Vielleicht wenn sie geduldiger gewesen wäre, vorsichtiger, besser, unterwürfiger. Eben noch hatten sie wie die anderen ihr Leben tröpfeln lassen. Früh morgens aus den Betten, um zu den Mienen gebracht zu werden, das Werkzeug, die Steine oder den Boden zu verzaubern, bis die Magie ihre unterernährten Körper in die Knie zwang und sie abends erst in den Tempel und dann in ihre harten Betten gebracht wurden. Für die jüngeren genauso wie für die älteren. Sobald eine Hexe alt genug war zu arbeiten, übergaben die Priester sie in die Obhut eines Meisters, der die Aufgabe im Erbe erhielt, die dämonischen Kreaturen zu bewachen und kontrolliert einzusetzen.
Wieder griff Ioanne nach den schmalen Händen ihrer kleinen Schwester. Es war ihre Schuld und dennoch war Keelie mit hineingeraten. In ein paar Wochen hatten sie ihren Geburtstag feiern wollen. Einer der Priester die hin und wieder gut und mitleidig waren, hatte heimlich versprochen ihnen etwas Zimtkuchen zur Seite schaffen zu wollen, wenn sie sich bis dahin gut benehmen würden. Nun müssten sie froh sein den nächsten Tag zu überleben, ehe die Soldaten oder Hexenjäger sie aufspürten.
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Die Legenden alter Lügen
FantasyFür gewöhnlich blieben jene die starben, auch tatsächlich tot. So sah auch sie es immer - die Hexe die das Land ins Chaos stürzte als sie entschied sich aufzulehnen. Sie starb einsam und frierend voller Reue. Oder zumindest ging sie davon aus, denn...