29 - Leben

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Sie stiegen tief hinab. Alle weiteren Fragen ließ Meia abprallen oder beantwortete sie, ohne sie wirklich zu beantworten. Stattdessen rauschte sie wie gezogen voran und schließlich befahl sie zwei stummen Wächtern, ein schweres Tor für sie zu öffnen. Sie traten hindurch und hinter ihnen wurde es wieder geschlossen.

An der Decke hingen nun echte Lampen. Es war auch nicht mehr hell und weiß, sondern dunkel und grau. Finstere Wände, die das Licht in sich versinken ließen. Sie bewegten sich durch zwei Räume, in denen nichts war, außer weiteren, diesmal durch Zauber verschlossenen Türen und einem Geräusche schluckenden Boden. In dem dritten Raum waren Rillen im Grund. Kreisförmig eingeritzte Muster, die zwei Flächen bildeten wie bei größeren Ritualen. Allerdings hatte Ioanne etwas Derartiges noch nie gesehen. Insbesondere nicht in diesem Ausmaß. Symbole am Boden und an der Decke. Direkt in massiven Fels geschnitten. Die Wände waren von einer Reihe langer Gitterstäbe bedeckt.

„Ich habe die Technik inzwischen sehr verfeinert", erklärte Meia stolz. In ihrem hellen Gewand, schien sie in der umgebenden Dunkelheit zu leuchten. „Gut, bleib jetzt genau dort stehen", wies sie an und nickte aufgeregt.

„Welche Technik?", fragte Ioanne misstrauisch. Sie blickte an sich herab und stellte fest, dass sie im Zentrum eines der Kreise zu stehen schien. Ein rasselndes Geräusch, ließ sie wieder aufblicken. Dann sah sie, wie Meia eines der Gitter zur Seite gleiten ließ. Sie streckte die Hand aus und kurz darauf, war ein Wimmern und Schluchzen zu hören. Etwas schliff über den Boden und einen Moment später erschien eine zusammengekauerte Gestalt, die mit den Armen ruderte, aber doch nichts dagegen unternehmen konnte von der um sie geschlungenen Kette herbei gezogen zu werden. Direkt hinein, in einen weiteren Kreis. Dort blieb sie liegen. Eine Frau. Ob sie älter war oder jünger, war nicht zu erkennen. Langes, verdrecktes Haar hing ihr ins Gesicht und fleckige Haut zog sich über angespannte Glieder.

Sie lag einfach nur da. Wimmernd und die Beine an den Körper gezogen. Ohne jede Gegenwehr.

Erst jetzt registrierte Ioanne, dass in den Schatten hinter den Gittern, Bewegung herrschte. Keine wilde, nur zurückgezogenes Schleichen und an den Seiten scheinbarer Zellen herum gedrücktes Verstecken.

„Was soll das Meia!", keuchte Ioanne entsetzt und wollte aus dem Kreis, in dem sie selbst stand, heraustreten. Doch irgendetwas schien ihre Beine zu halten. Sie war wie verwachsen mit dem Boden und selbst als sie sich mit aller Macht dagegen lehnte, tat sich nichts.

„Oh keine Sorge, der Zauber hat bereits begonnen, du musst dich noch etwas gedulden", meinte Meia gelassen. „Und das hier" Sie deutete um sich herum und auf das winselnde Bündel vor ihr „sind keine Menschen von Bedeutung. Es sind Gefangene. Deserteure, Lügner, Unruhestifter. Alles das sich gegen die Ordnung auflehnt, weil es nicht versteht, wie gut sie für alle ist."

„Du bist wahnsinnig!", schnappte Ioanne, die sich noch immer zu befreien Versuchte. Sie ging in die Hocke, tastete über den Boden neben ihren festgesetzten Füßen und versuchte den Zauber aufzuspüren, um ihn brechen zu können. Meia schüttelte den Kopf und seufzte wieder.

„Ich weiß, wie das hier wirkt. Und es ist in Ordnung, dass du es noch nicht verstehst. Mir ist es selbst immer noch sehr unangenehm. Aber ich musste einen Kompromiss finden." Sie bewegte sich hinter das am weitesten Entfernte Symbol und setzte sich selbst herab. Mit langen, bleichen Fingern strich sie über die eingeritzten Wege. „Du wirst dich besser fühlen", versprach sie Ioanne, ehe sie die am Boden kauernde Gestalt ansah und ihr ein sanftes Lächeln schenkte. „Und für dich ist es auch ganz schnell vorbei. Du darfst dich geehrt fühlen, das hier ist die Heldin, zu der ihr alle aufgesehen habt."

„Hör auf Meia!", rief Ioanne. Sie presste die Hand auf den Boden. Ein ihr unbekannter Zauber, brachte ihren eignen ganz durcheinander. Es war, als hätte sie ein Netz heraufgezogen, durch das die Magie aus ihren Fingern nicht dringen konnte.

Meia senkte die Hand über die Linien und schloss die Augen zur Konzentration. Ein Licht glitt durch den Boden. Ein Strahlen, als würde die Erde sich öffnen und von innen heraus in weißem Schein leuchten. Hell und blendend. Die Luft vibrierte, der Boden bebte. Ranken aus Licht wuchsen über die Gestalt am Boden, bis sie ganz davon umhüllt war, dann rollten sie sich hinauf um Ioannes Beine. Sie kletterten und streichelten. Das Gefühl, dass sie auslösten, war warm und weich. Es schien in ihre Haut zu sickern wie die Morgensonne, die zart auf ihren Wangen kribbelte. Wie ein lauwarmer Hauch im Frühling, der ihr frisch um die Nase glitt. Doch vor ihr zuckte ein Körper stöhnend unter dem strahlenden hellen Zauber und aus den umliegenden Zellen, sickerte die Angst hervor in stinkender Panik.

Ioanne wand sich, sie wollte sich losreisen und befreien. Ihre Stärke schien zurückzukehren und eine neue Energie durchflutete ihren Leib. Dennoch wollte es ihr einfach nicht gelingen. Erst als das Licht wieder herabsank und die Dunkelheit zurückkehrte, riss sie sich plötzlich los und stolperte schwer atmend aus dem Kreis heraus.

Die Frau vor ihr bewegte sich nicht mehr. Ihre zuvor um sich geklammerten Arme waren herabgefallen und lagen auf dem Boden. Ihr Kopf war zur Seite gekippt und ihr nun doch erkennbares noch lange nicht altes Gesicht, schien einfach nur zu schlafen. Aber Ioanne konnte es spüren. Da war kein Leben mehr in der Gestalt.

„Wie fühlst du dich? Es ist gut, nicht wahr?", fragte Meia. Ihr Blick leuchtete vor Begeisterung.

Wie sie sich fühlte? Ioanne bewegte sie Finger. Stark, mächtig, von neuer Kraft durchflutet. Und dennoch war ihr so übel, dass sie einen sauren Geschmack auf der Zunge schmecken konnte.

„Jetzt bist du wie ich! Wir beide! Wir werden es zu Ende bringen und jede Hexe befreien." Meia lachte und drehte sich zu den Gefangen in den Zellen. „Seht sie euch an! Das ist Ioanne, die wahre, die echte!"

Ioanne schluckte. Sie hob die Hand an. Magie pulsierte durch ihren Körper und rauschte in ihren Ohren. Wie benommen streckte sie die Finger aus und sah Meia entgegen die zufrieden in die Hände klatschte. Dann bewegte sich wieder ein Beben durch den Boden und eine Energie schlug durch die Luft. Meia wurde in die Höhe geschleudert. Ihre lange Robe flatterte, ehe sie gegen die Wand auf der anderen Seite stieß und von dem Felsen herunter rutschte.

Die Legenden alter LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt