13 - Schatten in Gassen

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Sie verstand es nicht. Alles war so wirr und fremd und ergab keinen Sinn. Eine Heldin trug ihren Namen, obwohl Ioanne sich noch in aller Deutlichkeit an die Lieder erinnern konnte, die in finsterem Schaudern gesungen worden waren. Für die Hexen war sie eine Anführerin gewesen aber für die anderen etwas gänzlich anderes. Kinder hatten grausige Lieder gesungen und beim Spielen neue Verse erfunden, nachdem sie die Angst ihrer Eltern belauschten.

Ioanne kommt und holt dich!
Erst frisst sie deine Zehen auf,
dann beißt sie dir die Ohren ab,
dann schlitzt sie dir die Kehle durch
und trinkt dein Blut als Tee.


Damals hatte sie es amüsiert und die Angst war zu einem Werkzeug geworden. Zu einem Biest das sie stetig nährte mit weiteren Lügen oder wahrhaftigen Beweisen. Ein schmaler Grat, um etwas zu erreichen, dass sie für das einzige Ziel gehalten hatte. Nur war sie irgendwann zu weit gegangen und hatte diesen feinen Pfad zwischen dem was richtig und dem was falsch war, völlig aus den Augen verloren. Keelie war die einzige gewesen, die noch wagte ihr das vorzuhalten, denn irgendwann hatten sich selbst ihre eigenen Leute vor der Grausamkeit ihrer Anführerin gefürchtet. Zumindest jene, die nicht davon angesteckt worden waren.

Wie hatte daraus eine Welt entstehen können, in der friedliche Gemeinsamkeit möglich war?

Ihr Schädel dröhnte und sie konnte die Zeit fühlen, die um sie lag wie ein Mantel aus schmelzendem Eisen.

Schatten rutschten neben ihr wie dunkle vom Licht verlassene Schlieren über kleine Mauersteine in den Häuserwänden. Sie konnte das Murmeln der Stadt hören, dass hier nur noch flüsterte, wo es zuvor brüllend in ihre Ohren geschrien hatte. Nun raunte es in den Lücken zwischen den Häusern und schwappte vom Wind geworfen in gelegentlichen Schwüngen die Dächer herab.

Sie war allein. Soweit man allein sein konnte in einer großen Stadt. Hinter halb geschlossenen Fensterläden, dünneren Holzwänden vor Hinterhöfen oder um Ecken herum, bewegten sich Menschen. Stimmen, Schritte oder Schatten fremder Silhouetten.

In ihrer Flucht war sie immer weiter gegangen. Bis keine Kinder mehr ganz plötzlich ihren Weg kreuzten und vorbeiziehende Gestalten eine Seltenheit wurden. Allerdings war ihr nicht nur deshalb aufgefallen, dass sie von verborgener Gesellschaft begleitet wurde. Sie hatte gelernt die Blicke zu spüren, die aus dem Halbschatten heraus ihrem Rücken folgten. Eine Präsenz, die sich im Verborgenen hielt und zu einem Teil der Umgebung wurde. Desto seltener andere Begegnungen wurden, desto näher rückte die Deutlichkeit. Bis ihr fremder Verfolger sogar wagte sich aus dem Schatten zu lösen und in die Mitte der Gasse zu bewegen. Ein langer, dunkler Mantel, eine über den Kopf gezogene Kapuze und in den Taschen verborgene Hände.

Ioanne bleckte die Zähne. Sie stieß ein leises Zischen aus, aber sie ließ ihn auch näher kommen. Naive Unwissenheit vorspielend, bog sie um eine Ecke. Die Straße weiter hinauf konnte sie eine belebtere Straße erkennen. Das Raunen der Menschen echote leise zu ihr herüber. Doch statt darauf zuzuhalten, schwenkte sie in einen angelehnten Hinterhof Eingang. Das Tor knarzte leise und unter ihren Füßen knirschte die Erde einer unaufgeräumten Gartenarbeit mit halb befüllten Pflanzentöpfen. Ioanne legte ihre Finger um den Stab eines abgebrochenen und in ein Eck gelehnten Besens.

Sie wartete, lauerte.

Schritte bogen in die Gasse ein und bewegten sich weiter hinauf. Ein Schatten hielt stumm vor dem Tor inne. Wartend oder sogar zögernd. Dann bewegte sich das Holz und wieder war das Knarzen zu hören.

Die Luft surrte und das Holz knisterte unter ihrem Griff. Ein Zauber sickerte in die pflanzlichen Fasern. Der Stab, der einst ein Besen gewesen war, brummte leise, während ein blauer Schimmer darüber glitt. Mit Schwung sauste die Waffe dem Verfolger entgegen.

Ioanne hörte das überraschte Fluchen einer Männerstimme und das Rascheln seines Mantels. Überrascht, aber ausgesprochen geschickt, gelang es ihm geradeso auszuweichen. Er stolperte über zwei kleine Töpfe. Klirrend ging einer zu Bruch. Der Besenstil schlug hinter ihm gegen den hohen schmalen Zaun. Feine Funken sprangen über das Hindernis, ehe sie den Schlag bereits wieder umlenkte.

Er duckte sich, tänzelte zwischen den Scherben und parierte den nächsten Schlag mit einem langen Messer. Das geschärfte Metall reflektierte das Licht der Magie, so dass es in ihren Augen flimmerte. Ein gezielter Moment der Irritation, wie sie kurz darauf bemerkte. Er nutzte ihr Blinzeln und zwang sie zurück zu weichen. Sein Angriff galt dabei weniger ihrem Leib und mehr ihren Händen. Eine Art wie die Hexenjäger es taten. Menschen die langjährig und präzise dazu ausgebildet worden waren flüchtige Hexen einzufangen, außer Gefecht zu setzen oder direkt zu töten. Sie waren ihre größte Gefahr gewesen. Gnadenlos und präzise. Weit tödlicher für die rebellierenden Hexen, als die königlichen Soldaten es gewesen waren.

Existierten sie noch immer? Trotz der Welt, in der Hexen nun regierten?

Er bewegte sich, als wäre es so und wusste genau wie er zu handeln hatte, um sie von weiteren Zaubern abzuhalten. Allerdings hielt er sich zurück. Ioanne war lange genug im Krieg gewesen, um zu erkennen wann die Intention zu töten fehlte.

Der leuchtende Stab fauchte durch die Luft. Wieder wich er aus. Diesmal streifte sie ihn seitlich und seine Kapuze viel zurück. Dunkles Haar hing ihm in wilden Strähnen ins Gesicht. Ein Gesicht, dass sie zu erkennen meinte.

Erschrocken taumelte sie rückwärts von ihm fort. Den Stab noch immer fest umschlossen und die Augen geweitet, als hätte sie einen Geist entdeckt.

„Kenaen?", keuchte sie verwirrt.

Die Legenden alter LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt