7 - Mutterliebe

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Scheppernd polterte ein metallener Eimer von einem Heuballen, als sie dagegen stieß. Eine Wolke der Verwirrung lag so deutlich in der Luft, als könnte sie sie spüren. Wie Watte die tiefer in ihre Kehle rutschte bei jedem Atemzug. Ioanne zwang sich stehen zu bleiben und auf die Mutter herabzublicken, die vor ihr auf ihre Knie gefallen war.

Einst hatte Ioanne eine Erinnerung mit sich getragen und gehütet wie einen Schatz. Ein Hauch von Wärme, die sie an sich presste, wenn die Welt kalt und dunkel wurde. Das Bild ihrer eigenen Mutter, die zu Boden sank und die Arme in die Höhe riss, in dem verzweifelten, unmöglichen Flehen ihre Tochter nicht an den Priester zu verlieren, der gekommen war um seine Pflicht zu erfüllen. In all der Angst, die das kleine Mädchen einst empfunden hatte vor der Ungewissheit ihrer neuen Reise, war sie doch von unerwarteter Erleichterung durchflutet worden. Eine Hexe wurde nicht unter Freude geboren. Sie wuchsen nicht in die liebenden Arme einer blutsverwandten Familie hinein. Nicht sie, die Kinder, die aus einer Laune böser Geister und grausamer Dämonen heraus in die Welt rutschten. Die Geburt einer Hexe, war ein direkter Beweis für eine Sünde, die man bereits begannen, hatte oder noch begehen würde. So sprach man und so glaubte man. Die Anzeichen erschienen früh.

In der absurden Hoffnung das, was sie zum Unglück machte, möge verschwinden, wenn sie es nur lange genug ignorierten, hatten sie eben das getan. Alles, um den lauernden Fluch in ihrer Mitte zu verbergen. Doch dabei waren sie sich über die eigenen Füße gefallen. Wer hätte es nicht bemerken können, dass sie das Kind nie in die Arme nahmen, dass sie es nicht liebten oder gar ansehen konnten, ohne die Farbe auf den Zügen zu verlieren.

Doch dann, als der Priester gekommen war um sie unter die Kontrolle eines Herren zu stellen – hatte ihre Mutter heiße Tränen vergossen. Jene Frau, die trotz aller Mühen nie gewagt hatte sie lange zu berühren, als fürchtete sie sich zu verbrennen an dem Kind. Auf Knien und voller Innbrunst. Ioanne war sich gewiss gewesen, nun das... das musste die Liebe sein nach der sie sich so lange gesehnt hatte.

Lange hatte sie es so mit sich getragen. Bis man es ihr erklärte. Die Wahrheit die dahinter lag und die Schande, die eine Familie befiel, wenn sich die Nachricht verbreitete, eine Hexe sei aus ihren Reihen hervor gegangen. Darum hatte ihre Mutter geweint. Nicht weil sie das Kind verlor.

Vorsichtig hob diese Mutter vor ihr ihren Blick. „Bitte! Wir werden alles tun nur..."

„Still!", unterbrach Ioanne die Frau mit der bebenden Stimme. Ein von Sturheit und Befehlsgewalt angewöhnter Ton. Im nächsten Moment bereute sie ihn bereits wieder, den die Mutter trug plötzlich ein panisches Glänzen in den Augen.

„Ich meine nicht..." Ioanne keuchte. „Nicht wegen ihm. Oder euch. Ich werde niemanden holen."

Erleichterung strich über die Mienen der Eltern vor ihr. Allerdings rasch wieder eingeholt von der nachrutschenden Irritation, die auf unerfüllte Befürchtungen folgte.

Es mussten die aufgewühlten Gefühle sein. Die unerwartete Erfahrung, die einen durcheinanderbrachte, wenn man gestorben und wiederauferstanden war. Weshalb sonst riss sie es so sehr von den Beinen, dass sie von dem Bedürfnis übermannt sich setzen zu müssen, tatsächlich auf eine kleine schmale Bank zuwankte und sich niederlies.

Mutterliebe... kannte sie nicht. Sie hatte es gedacht, war enttäuscht worden und vertraute nun auch dieser nicht. Doch sie kannte etwas anderes. Etwas von alles umschlingender Intensität. Hexen hatten keine blutsverwandten Familien. Sie wurden von ihnen genommen so bald deutlich wurde, was sie waren. Aber mit der Zeit fanden sie etwas ähnliches. Sie fanden Brüder und Schwestern untereinander. Auch Ioanne, hatte eine kleine Schwester gehabt. Zwei sogar. Beide hatte sie verloren.

War es die damit zusammenhängende verzerrende Schuld, die sie in den unvollbrachten Tod gezogen hatte?

Sitzend strich Ioanne sich durch die Haare. Ein paar ihrer Strähnen hingen noch immer in den feinen geflochtenen Zöpfen.

„Sie hat sich den Kopf gestoßen!", raunte der noch immer am Boden knieende Vater über die Schulter zu seiner Frau herüber. So tuschelnd, als ginge er wirklich davon aus, die Fremde könne ihn nicht verstehen in dem kleinen Stall. Sie hörte ihn, aber sagte nichts, um ihn von der Vermutung abzubringen. Womöglich hatte er ja recht. Sollte er es glauben. Dann konnte diesmal sie die Fragen stellen und vielleicht auch wirklich antworten darauf erhalten.

„Warum hätte ich ihn holen sollen?", begann sie.

Die Bäuerin runzelte unsicher ihre Stirn. Langsam erhoben sich die Eltern wieder und klopften Stroh von Rock und Hose.

„Wegen dem Gesetz. Weil alle Jungen für drei Jahre in den Kriegsdienst gestellt werden, sobald sie achtzehn werden. Und wir hätten es auch eingehalten, wenn er ein Junge wie jeder andere gewesen wäre aber so... Das ganze Dorf hat uns geholfen ihn..."

Ioanne hob die Hand und die Frau stockte in ihrem polternd, zitternden Geplapper.

„Dann ist der Krieg... noch nicht vorbei?", fragte sie weiter. Ihre Finger senkten sich wieder. Legten sich auf ihr Knie herab und krallten sich hinein. Sie war sich sicher gewesen die letzte Schlacht geführt zu haben. Eine endgültige Schlacht.

Diesmal war es der Mann, der antwortete. „Es gibt ständig Krieg." Er sah sie so zweifelnd an als könne er die Absurdität ihrer Frage nicht ganz glauben. „Und nicht nur einen. Wir gegen... alle anderen."

„Wir..." Ehe Ioanne ihre Worte ganz zu Ende formulieren konnte trat der so sehr beschützte Junge von der Seite herbei.

„Der Hexenrat. Bist du keine Hexe?"

„Scht!", unterbrach ihn sein Vater rasch. Da lehnte Ioanne sich allerdings bereits weiter vor und blickte die anderen auf eine Art so eindringlich an, dass ihr kleiner von Dreck und blauen Flecken malträtierter Körper sehr viel größer erschien. Sie war nie die Stärkste, nie die Fähigste, Klügste oder irgendwo aller Beste gewesen. Aber sie besaß einen Blick in ihren Augen, dass andere dem nicht entkommen konnten.

„Ein Hexenrat", stellte sie das Wort in den Raum, schmeckte es auf ihrer Zunge. Als sie nicht mehr gewesen waren, als eine von Rachsucht getriebene kleine Armee die durch eine Übermacht schnitt, wie die Klinge einer vergeltenden Gottheit, war der Begriff eines Rates nur eine Spielerei gewesen. Sie leckte sich unruhig über die trockenen Lippen.

„Die Stadt, Lutejan. Wie lange ist es her seit... seit sie niederbrannte?" Ein Ruckeln ging durch ihre Stimme und ihre Finger schoben sich über ihren Knien nun in einen verkrampften Knoten.

Die Antwort hierauf kam schneller als sie erwartet hätte. Und einfacher. Begleitet von einem irritierten Schulterzucken. Erklärte die die Bäuerin direkt: „Einhundert Jahre. Sehr genau sogar. Das Jubiläumsfest ist übermorgen."

Ein Rauschen sauste durch ihren Kopf und durch ihre Adern. Sie hörte es in ihrem Körper strömen und wirbeln, als hätten sich ihre Innereien in einen regentragenden Sturm verwandelt. Die Welt unter ihr schien sie aufzubäumen. Sie spürte das Vibrieren im Boden, schien damit aber die Einzige zu sein, denn die drei anderen betrachteten sie nur verwundert, während sie da saß. Die Augen geweitet, der Mund zu einem tonlosen Keuchen geöffnet.

„Es wird ein großes Fest!", verkündete der Schäfers Junge über den Druck in ihren Ohren hinweg. „Sie hat den gleichen Namen", erklärte er dann weiter und schien die um sie wabernde Anspannung zu überwinden als registriere er sie wirklich nicht. Wie ein Kind. Ein begeistertes Kind, das aussah wie ein Schaf und so groß war wie ein Mann. Kein Soldat, das glaubte sie ihnen.

„Sie hat denselben Namen wie die Befreierin", verriet er seinen Eltern. „Wie die Heldin die den Tyrannen stürzte und den Hexenrat erschuf. Ioanne!"

Die Legenden alter LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt