2 - Tote können nicht ertrinken

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Eine Stadt war in Flammen aufgegangen. Feuer hatte sich heiß und verzerrend seinen Weg gebahnt. Unaufhaltsam und in grausam tödlicher Präzision darauf bedacht keine Beute dem heißen Hunger entkommen zu lassen. Vielleicht war deshalb von allen Seiten um sie waberndes Wasser. Die Vergeltung des Schicksals. In einem Überlebensreflex – den sie nicht mehr haben sollte nun, da sie gestorben war – fuhr sie mit den Armen um sich und drückte gegen die Wassermassen. Verschwommen in der Leere schwebend, wusste sie nicht wo oben oder unten war. Ob es Oben oder Unten überhaupt noch gab. Ein unsichtbarer Zug schien an ihrem Körper zu zerren, wie eine Strömung die sie weiter riss. Ihre Beine streiften etwas festes, scharfkantiges, das ihr in die Haut schnitt. Sie öffnete erschrocken den Mund und Wasser glitt rücksichtslos über ihre Lippen ihre Kehle herab. Es schmeckte brackig, fahl und es bahnte sich einen Weg in ihre Lungen.

Die Tote gurgelte gequält, paddelte haltlos mit den Armen und griff nach allem, was sie zu fassen bekam. Sie wurde umher gewirbelt. Von ihren vollgesogenen Klamotten und dem Metall an ihrem Leib in eine Richtung gepresst die die falsche sein musste. Hilflos wie ein Käfer der in einen Fluss gefallen war. Scharfe Steine zerkratzten ihre Finger aber dann hielt sie sich doch und zog sich daran entlang. Durchbrach sie eine Oberfläche oder kam ihr das nur so vor? Ihr Schädel dröhnte, ihre Lungen brannten, vor ihren Augen zog trotz der Nässe ein Nebel auf und in ihren Ohren lag ein schreckliches Brummen.

Ihr Kopf stieß aus dem Wasser hervor. Sie klammerte sich an einen Felsen zu ihrer Seite und keuchte hustend brennend kalte Flüssigkeit hervor.

Es musste ein Traum sein. Oder eine undurchsichtige Vision in ihren letzten Atemzügen. Vielleicht war auch das das Niemalsland, in welches die Seelen kamen, die weder Ruhe noch Nichts gestattet bekamen.

Blinzelnd blickte sie in graues Licht. Über ihr hing eine Höhlendecke so tief, dass sie sich stoßen konnte wenn sie sich weiter aus dem Wasser streckte. Verwirrung lähmte ihren um sich drehenden Geist. Sie konnte nicht denken, nicht planen, nicht abschätzen was bei allen Göttern geschah. War sie nun gestorben oder nur von einer Qual in die andere geworfen worden?

Tastend bahnte sie sich einen Weg durch die noch immer gegen sie drückenden Massen. Ihre klammen Finger nestelten an dem Verschluss der Lederschnallen um sich zumindest von dem Gewicht zu befreien. Den Mantel wurde sie los, er entglitt in unbekannte Ferne, der Rest hielt sie aber weiter in Umklammerung. Immer wieder rutschte sie zurück in das dunkle Nass, kam dann wenige Momente wieder prustend hervor und wischte sich wirre Strähnen vor den Augen fort. Solange, bis sie etwas herab hängen spürte. Wurzeln die sich in ihrem Haar verfingen und von oben in die Tiefe reichten. Sie streckte die Hand nach der Decke aus und fasste in dichtes Blattwerk. Nach oben grabend fasste sie durch das Gestrüpp, bis sich mit einem Mal weiteres Licht auf sie legte und ihre wunden Augen blendete. Von einer Energie gepackt die erneut nicht dem Wesen einer Toten entsprach, griff sie in die Höhe.

Erde und kleine Steine krümelten ihr entgegen. Blätter, Gräßer und langer Farn fielen vorbei an ihr ins Dunkle herunter. Sie kletterte, kämpfte, stützte sich an rauen Felsen und dann endlich schob sie sich durch ein Loch an die Oberfläche.

Schnaubend zog sie sich über den Boden der bis eben noch die Decke eines nassen Grabes gewesen war. Ihre Glieder zitterten, ihr Atem knisterte und ihre Finger gruben sich durch die aufgewühlte Erde eines von niederen Pflanzen bedeckten Waldbodens. Sie rollte sich auf den Rücken, starrte unter langsam klarer werdendem Blick einem nächtlichen Himmel entgegen. Äste mit zaghafte sprießenden Frühlingsblättern ragten in ihr Sichtfeld, wie Schatten, die sich scheuten all zu aufdringlich zu werden. Die Sterne, die sie dazwischen sah, kamen ihr bekannt vor. Genug, um zu ahnen, dass sie die Welt in der sie gestorben war, nie verlassen hatte.

Ihr kamen Geschichten in den Sinn. Erzählungen von Wiedergängern. Von Toten, die sich aus ihren Gräbern erhoben und von unerfüllter Sehnsucht nach Vergeltung über das Land zogen, bis man sie von ihrem Kopf befreite und zurück unter die Erde setzte. War das geschehen? Dafür erschienen ihr ihre Gedanken aber unerwartet klar.

Tastend fuhren ihre kalten Finger ihre Seite herab zwischen die aus Leder und Metall gefertigten Platten. Die Wunde war fort. Verschwunden als wäre sie nie dort gewesen. Nur spüren konnte sie sie noch als müsste die Heilung eine Täuschung sein. Eine irreführende Illusion.

Über das durch den Stoff picksende Gestrüpp kriechend, schob sie sich weiter fort von dem Loch aus dem sie gekommen war. Sie drehte sich zurück auf den Bauch, würgte Wasser und eine verschluckte Pflanze hervor. Dann sah sie auf.

Ein paar geweiteter dunkler Augen blickte ihr mit stumm geöffnetem Mund entgegen. Ob er sich fürchtete, erschrocken hatte oder lediglich überrascht war von der Frau die des Nachts aus einem Loch im Boden kroch, gelang ihr nicht zu erkennen. Ein Kind, oder Mann, ganz wie man es sah mit den zarten Stoppeln auf dem Kinn und der schlaksigen heranwachsenden Gestalt. Neben seinen Beinen blickte ein müde kauendes Schaf vorbei und hinter ihm bewegte sich der Rest einer kleinen Herde.

Schemenhaft schien sich eine weitere menschliche Gestalt irgendwo im Schatten zwischen den vereinzelt stehenden Bäumen zu regen. Jemand sagte etwas. Vielleicht der Junge während sie gerade nicht zu ihm sah. Vielleicht der andere der sich nun näherte. Womöglich war auch sie es die krächzend versuchte den Mund zu bewegen.

Sie erfuhr es nicht mehr, denn mit einem Mal schlang sich erneute Dunkelheit um ihren Geist.

Tote konnten nicht ertrinken, doch die erdrückenden Wasser überleben, konnten sie für gewöhnlich eben so wenig.

Die Legenden alter LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt