30 - Gefangen

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Verwirrung zeichnete sich auf Meias Blick ab, als sie am Boden aufstieß uns sich wieder in die Höhe druckte. Auch Ioanne blickte auf ihre Finger, als hätte sie die Wucht nicht erwartet. Stöhnend stemmte die Hexe sich zurück auf die Beine.

„Ioanne", knurrte die höchste des verfehlten Rates. „Ich kann dich nicht noch einmal töten. Das geht nicht. Du musst jetzt hierbleiben. Wir bringen es zu Ende. Gemeinsam. Und diesmal wirklich."

„Du wirst nie ein Ende finden", keuchte Ioanne. Was war nur geschehen? Wo war alles so schrecklich falsch gelaufen? „Das muss aufhören!"

Meia bleckte die Zähne. „Nein! Du bist die Heldin, die die Tyrannei beendet und das Reich befreit hat!"

„In deiner Geschichte bin ich das. Meia! Du glaubst es ja schon selbst. Wir hatten uns befreit, wir hatten bereits gewonnen. Der einzige Grund, aus dem wir weiter machten, war Hass, Rache und uneinsichtiger Sturrsinn!"

„Nein!" Meia stützte sich an der Wand hinter ihr. Sie verzog das Gesicht in wütender Verzweiflung.

„Es ist nicht deine Schuld." Ioanne hob die Hände an und ging vorsichtig ein paar Schritte durch den Raum. „Es ist meine. Ich habe nicht aufhören wollen und bin darin versunken, das hat dich mitgezogen, das hat alle mitgezogen. Aber das hier..." Sie schritt neben eine der Zellen. Unsichere Augen blickten hinten aus einem dunklen Eck zu ihr. „... muss aufhören."

Keuchend stieß Meia sich ab. Die Luft knisterte und als sie ihre Hände in den Stoff der Robe ballte, rauschte ein Fauchen durch das Gewand. „Es kann nicht aufhören! Alles würde zusammen stürzen. Ich habe es beschützt und ausgebaut. All die Jahre. Sie würden nur wieder alles zerbrechen lassen, wenn ich nicht weiter hier wäre! Das... Das hast du doch selbst gesagt!"

„Nicht so, Meia! Ich habe nie das hier gemeint!"

„Du lügst!"

„Nein, ich war nur blind und wollte nichts erkennen außer meinem eigenen Ziel. Du lügst Meia. Seit einhundert Jahren!"

„Die Legende hat ihnen Hoffnung gegeben!"

„Die Legende hat sie eingesperrt!"

Ioanne trat weiter vor, ihre Stimme war eindringlich und ernst. Aber Meia war wie verbohrt. Sie presste die Hände vor ihr Gesicht, dann riss sie sie ganz plötzlich wieder fort und weitete die Augen.

„Du bist einfach noch verwirrt", meinte sie zu erkennen. „Du wirst es noch erkennen, du brauchst nur Zeit."

Ehe Ioanne verstehen konnte, was sie damit meinte, warf Meia sich auf die Knie und drückte die Hände auf den Boden. Ein Beben schüttelte durch ihre Beine. Ioanne hielt sich erschrocken an den Stangen einer Zelle. Unter ihr tat sich der Boden auf. Erde bröckelte in die Höhe und schloss sich um ihre Stiefel. Mit dem einen trat sie sich frei, an dem anderen wuchs es höher bis an ihr Knie.

„Es ist in Ordnung, ich werde dich nur etwas einsperren und dann sprechen wir wieder darüber, wenn du dich beruhigt hast."

„Nichts davon ist in Ordnung!" Keuchend stemmte Ioanne sich gegen den Zauber. Alles um sie herum waberte. Wildgewordene Magie, die durch ihren Körper fuhr und an ihr zerrte. Noch immer spürte sie die neue, ungewollte Energie in sich pulsieren. Doch was auch immer Meia alles an diesem Ort getan hatte, saß so tief in den Wänden, dass Ioanne Schwierigkeiten sich zu konzentrieren. Zuvor war es nur ein Instinkt gewesen den Meia nicht erwartet hatte. Nun beherrschte die Hexe selbst die Luft um sie herum und zwang Ioanne immer mehr in das steinerne Gefängnis zu rutschen.

Plötzlich fuhr eine Hand zwischen den Gitterstäben hindurch und legte sich über den wachsenden Stein an Ioannes Bein. Eine Frau in ähnlichem Zustand wie jene, die sich nicht mehr bewegte, packte fest zu und wirkte noch einen Zauber. Schwach und ohne wirkliche Kraft, allerdings irritierte es jenen, den Meia heraufbeschworen hatte. Der Stein ließ ab von Ioanne und warf sich über die Gestalt in der Zelle. Unter knirschendem Knacken wurde sie verschlungen.

Ioanne sprang zurück. Wütend schnaubend stieß Meia ein Zischen aus und setzte an zu wiederholen, was sie eben schon getan hatte. Diesmal jedoch kam Ioanne ihr zuvor. Sie trat fest auf den Boden. Magie glitt durch ihren Leib und unter ihrem Fuß erschien ein Riss. Ein Ächzen. Der Grund riss auf und zerstörte die Symbole unter ihnen mit krachendem Tönen.

Panisch sah Meia der Vernichtung ihrer ausgefeilten Arbeit zu. „Nein!", schrie sie und sprang wieder in die Höhe. Mit ihrer Bewegung fauchte auch das Gestein herauf. Es bildete spitze Kanten, die aus dem Boden schossen wie Speere. Ioanne wich zurück und Meia erkannte erschrocken, dass ihr Zauber drohte, eben jene Hexe zu durchbohren, auf die sie so lange gewartet hatte. Sie sprang. Ein lautes Krachen war zu hören. Stein stieß auf Stein und schleuderte eine raue Wolke in die Luft.

Dann wurde es wieder still.

Ioanne saß schwer atmend am Boden. Sie rieb sich über die Augen und blinzelte in den aufgewirbelten Staub hinein. Um sie herum, prangten tiefe Risse an in den dunklen Felsen. Tiefe Narben. Raue Kanten reckten sich in die Höhe, ein paar verklemmten die Tür, hinter der das laute Pochen und dumpfe Rufen der Wachen gehört werden konnte. Vor ihr stöhnte Meia. Ihre Robe war nicht mehr sauber und weiß. Und ihre Haltung war auch nicht mehr erhaben. Sie verzog das Gesicht zu einem schmerzlichen Stöhnen und ihre Finger zitterten tastend nach Ioannes Hand.

„Ich... Ich wollte dich nicht... nicht schon wieder töten...", stammelte sie. Sie rollte sich auf die Seite. Schnell vergrößerte sich ein dunkelroter Fleck auf dem Stoff. Ein Stück des aufgebrochenen Gesteins, ragte aus ihrem Bauch heraus.

Ioanne ließ zu, dass sie nach ihrer Hand griff. Ungläubig sah sie auf ihre einstige Freundin herab. Auf die Verräterin.

„Das wollte ich... wirklich nicht! Glaub mir, bitte!", wimmerte Meia flehend. „Es ging alles so schnell, damals. Ich wollte doch nur... Ich wollte doch nur alle retten und alle beschützen."

Sie keuchte, Blut lag auf ihren Lippen und glitt über ihren Mundwinkel herab. Sie drehte den Kopf und streckte eine Hand nach den Zellen aus. „Schnell, ich kann es heilen... ich... ich kann alles heilen! Bring mir... bring mir..."

Ioanne legte eine Hand über die erhobenen Finger und drückte sie herab. Ihre Brust war zugeschnürt. Kaum ein Ton wollte über ihre Lippen kommen.

„Nicht mehr so", hauchte sie und Meias schwach schimmernder Blick richtete sich herauf zu ihr.

„Es reicht." Einhundert Jahre waren vergangen. Ioanne verstand noch immer nicht ganz, in welcher Welt sie gelandet war. Sie war wütend gewesen, zornig, auch auf die Freundin, deren Hand sie nun hielt, während ihr Atem schwächer wurde. Aber was sie nun empfand, wusste sie nicht. „Es ist jetzt vorbei", hauchte sie zu ihr herab.

Meia schüttelte den Kopf. „Das ist es nie."

„Für dich, Meia. Für dich ist es vorbei."

Die Hexe auf dem Boden atmete rasselnd. Sie blinzelte. Hinter ihnen gaben die Wächter sich Mühe zu ihnen vorzudringen. „Für mich... ja", murmelte sie. Dann schloss sie die Augen und ihr Gesicht entspannte sich auf eine Art, als hätte es das schon sehr lange nicht mehr getan.

Die Legenden alter LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt