20 - In Wut und Wirbel

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In einem Satz sprang Rikkon voran. Der Körper der Gefallenen, schlug gegen ihn. Erschöpft und müde. Betrunken von Selbsthass und Schuld. Klirrend zersprang die Flasche, die sie bis dahin so entschieden bei sich gehalten hatte.

„Du bist hartnäckig", brummte sie lallend. Eigentlich hatte er sie doch gar nicht so lange allein gelassen. Doch allem Anschein nach, reichte es aus, um ihr nun wirklich den Kopf zu vernebeln. Ihr Knie zitterten und ihre Finger klammerten sich fest in seinen Arm. Dennoch schob sie das Kinn wieder in die Höhe um herausfordernd denen entgegen zu blicken, die ihren Ärger nun nicht mehr einzig gegen Ioanne richtete. Auch gegen Rikkon schien das Ziel ihrer Vorwurfsvollen Blicke zu sein. Immerhin war es wohl ganz so, dass sie zusammengehören.

Längst standen die Männer wieder. Andere Gäste versuchten durch die Tür hinaus zu entkommen oder sich weiter in den Hintergrund zu drängen. Wieder andere traten hervor und spannten zornig die Schultern an. Rikkons Plan, die wiedergeborene Hexe still und heimlich fort zu bringen und die Verantwortung an die nächsten zu übertragen, löste sich mehr und mehr in Luft aus.

„Sie hat es nicht so gemeint", bemühte er besänftigend dem aufgebrachten Mob entgegen zu werfen. Die Menschen schienen wenig beeindruckt zu sein. Dennoch hielten sie einen gewissen Abstand. Zum einen wohl, da sie eben bereits beachtlichen Schaden verursacht hatte trotz der Trunkenheit, die Hexen für gewöhnlich daran behinderte. Zum anderen war sie eine Hexe und während Ioanne noch in ihrer eigenen Vergangenheit fest klemmte, hatten sich in dieser Gegenwart die Dinge verändert. Die Hexen waren an der Macht.

Nichts desto trotz, wusste Rikkon, dass es besser wäre sie schnellst möglich aus den Blicken der Öffentlichkeit heraus zu ziehen. Noch schien niemand die gewisse Ähnlichkeit zwischen der schwankenden, fauchenden Gestalt und den Statuen überall im Land bemerkt zu haben. Aber Aufmerksamkeit zogen sie dennoch mehr auf sich, als ihm lieb war.

Ioanne machte es ihm allerdings nicht wirklich leicht. Schnaubend legte sie sich ihr Zorn auf ihn.

„Ich meine es so, wie ich es sagte!", beschwerte sie sich und verzog das Gesicht. Er fühlte ein Kribbeln auf seiner Haut, dort wo sie sich an seinem Arm hielt und sein Hemd in ihren Fingern zerknüllte.

Leise raunte er ihr ebenso beruhigend zu: „Sicher doch, unterhalten wir uns in Ruhe darüber, ja." Behutsam führte er die torkelnde Hexe mit sich auf den Ausgang zu.

„Du hast keine Ahnung", brummte sie weiter, folgte ihm aber, als merkte sie gar nicht, wie ihre Beine sich unter ihr bewegten. „Ihr habt alle keine Ahnung!"

Rikkon zog ein kleines Säckchen klimpernder Münzen aus einer Innentasche seines Mantels hervor und schob ihn einem Mädchen mit Schürze vor, dass sich noch immer ein Tablett wie ein Schild vor die Brust hielt und neben der Tür gegen eine Bank drückte.

„Gib das dem Wirt, ja? Zur Widergutmachung. Sie wollte sicher keinen Ärger machen."

Langsam schien Ioanne zu registrieren, dass sie sich fort bewegte. Genauso huschte ihr Blick aber auch über die von Emotionen heimgesuchten Gesichter um sie herum. Ärger und Angst verteilten sich beinahe gleichmäßig vor ihr. Es stimmte sie wohl nachdenklich, denn sie sagte nichts mehr und warf dafür die Stirn in Falten. Auch ihr Hautton schien noch eine Spur bleicher zu werden, selbst wenn das kaum noch möglich gewesen war.

Erfolgreich zog er sie mit sich durch die Tür auf die Straße hinaus. Ein frischer Wind wirbelte ihnen entgegen und rauschte durch Ioannes dunkles Haar. Vor der Bar hatte sich inzwischen eine kleine Menschentraube versammelt und neugierige Blicke verfolgten die beiden herauskommenden und die noch immer angespannten Männer, die ihnen folgten.

„Sie soll sich entschuldigen!", verlangte einer der Kerle, die es wohl mehr erwischt hatte. Eine kleine Platzwunde auf seiner Stirn blutete, auch wenn er kaum wirklich darauf achtete. Wieder gab Rikkon sich Mühe zu schlichten

„Es war keine Absicht. Sie kam gerade erst von der Front zurück", versuchte er ihr Verhalten zu erklären. Ganz gelogen war es zumindest nicht. „Ihr kennt das, der Krieg verwirrt die Köpfe der Soldaten."

Diesmal erwachte Ioanne doch aus ihrer Starre. Mit überraschender Kraft und einem Ruck, den er nicht hatte kommen sehen, riss sie sich wieder von ihm los. Die Menschen auf der Straße wichen instinktiv zurück, selbst wenn sie nicht wusste, was geschehen war. Doch die Fenster der Bar waren eingerissen und den Knall, hatte wohl jeder hören können. Außerdem bebte die Hexe in kochendem Zorn und ihre Augen schimmerten von magischer Energie.

„Der Krieg!" Sie keuchte und riss die Hände zur Seite. „Ist vorbei!" Wütend schnaubend trat sie auf. Ein vibrierendes Brummen zog durch den Boden und kleine schmutzige Körnchen zitterten über den Pflastersteinen. Irritiert sah Rikkon herab. Hexen mussten Dinge mit ihren Händen berühren, um Zauber zu wirken. Deshalb hatte man sie ihnen abgeschlagen in alten Zeiten. Und deshalb trug das neue Sigel des Reiches eine geöffnete Hand.

Doch Hexen konnten auch keine Magie mehr wirken, wenn sie zu betrunken waren, um gerade zu stehen. Bereits kleine Mengen, konnten sie ganz durcheinander bringen und ein Feuer aus ihren Fingerspitzen zu winzigen Funken verkümmern lassen. Aber Ioanne tat das Gegenteil. Ihre Macht war unkontrolliert, aber statt zu versiegen, schien sie selbst für die Umherstehenden spürbar aus ihr heraus zu sickern.

„Ich habe ihn beendet!", fauchte sie weiter und erneut folgte ein Beben auf ihr Stampfen. Sie drehte sich im Kreis. Aus ihrem Blick schwappte Verzweiflung. „Der Krieg ist vorbei! Und ich bin keine Heldin!"

Leise fluchend biss Rikkon die Zähne zusammen. Die unübliche Art ihrer Magie hatte ihn durcheinander gebracht. Nun erinnerte er sich wieder an sein eigentliches Vorhaben. Unauffällig bleiben!

Sie war gut darin eben das, nicht zu sein. Und sie war auch gut darin andere dazu zu bringen ihr zuzuhören. Selbst wenn er bezweifelte, dass sie sich auf die selbe Art verhalten hatte, während sie flammende Reden hielt und die Rebellion erblühen ließ.

„Es reicht jetzt!", beeilte Rikkon sich zu sagen und lief wieder hinter ihr her. Sie wich seinen nach ich greifenden Händen aus.

Unruhige Emotionen schwammen in ihren Augen. Herumgewirbelt und durcheinander geraten.

„Das ist alles nicht wahr! Ich bin nicht hier! Das ist ein Fluch!" Heftig schüttelte sie den Kopf. „Eine Strafe, eine Trance."

Ihre Finger fuhren an ihren Hals und unter die Kette. Sie zog daran, ehe Rikkon es verhindern konnte. Schwankend stolperte sie zur Seite und riss den Anhänger wieder unter dem Stoff hervor. Das Blaue Leuchten fasste um ihre Haut und fauchte wie strahlendes Brennen um sie herum. Es war intensiver geworden, seit er es zuletzt gesehen hatte.

„Ich bin tot!", fauchte sie gereizt. In der Luft lag ein zischendes Kribbeln. Trotz der emotionalen Wucht ihres Auftritts, schwankte sie aber erneut und ihre Knie knickten zur Seite. Wieder war es Rikkon, der sie davon abhielt zu stürzen. Langsam verlor er die Geduld mit ihr.

„Und jetzt bist du es nicht mehr!" Er schob sie zurück auf die Beine. Mit einer Hand hielt er ihre Schulter stützend und fixierend. Mit der anderen versuchte er den Stein zu verdeckten und wieder unter ihr Kleid sinken zu lassen.

Etwas tat sich in der Menge um ihn herum. Bewegung zog sich wieder durch die Menschen und als Rikkon den Blick hob, sah er die Uniformen der Stadtwache eilig näher kommen.

Die Legenden alter LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt