Kapitel 2 -Nathaniel- Er hat mich gesehen!

177 39 52
                                    

„Komm runter Nate! Ist doch egal!" Genervt blicke ich meinen Freund Max an. Aber ich bin ja selbst Schuld. Warum dachte ich auch, das mein stets fröhlicher Freund von meiner Geschichte genauso irritiert ist, wie ich? Für Max sind die Menschen unser Job. Mehr nicht. Er interessiert sich nicht mehr wirklich, für die Belange der Welt. Und trotzdem musste ich ihm erzählen, dass ein Mann mich angesprochen hat. Mich bemerkt hat. „Ich glaub du bist taub oder? Dieser Mensch konnte mich SEHEN! Er hat mit mir GESPROCHEN!" aufgebracht fahre ich mir durch das Haar. Schon immer habe ich das gemacht, wenn etwas mich aufgeregt hat. Ich empfinde es als tröstlich zu wissen, dass nicht alles meines ursprünglichen Ichs von meiner Engelsexistenz geschluckt wurde.

Max fährt sich mit der Hand durch sein silbrig-anthrazitfarbenes Haar. Im Gegensatz zu meinem Haar, ist seines kürzer und dunkler, wenn auch ebenso silbrig. „Ja und? Du tust gerade so, als wäre es noch niemals vorgekommen..." Ich seufze. Er hat ja Recht. Es ist nicht total unmöglich. „Aber normalerweise sind es Kinder, Tiere oder todgeweihte Menschen, die uns sehen können..." „Vielleicht ist er ja todgeweiht?"

Ich hebe eine Braue. Max lacht „Was? Auch junge Menschen können geholt werden. Wir sind der beste Beweis! Frag doch einen von den schwarz Gefiederten!" Er lacht wiederum als ich den Kopf, auf seinen Vorschlag hin, schüttelte. „Niemals. Ich bin doch nicht bescheuert. Dann endet es nur wieder in einem Vortrag, warum die schwarz Geflügelten Gottes wahre Krieger sind!"

Wir schauen gemeinsam zum anderen Ende der Halle. Dort steht eine Gruppe, allesamt dunkel gekleidet, schwarze Haare. Man könnte glauben irgendwo findet ein Grundge Festival statt. Todesengel. Die meisten von ihnen bilden sich was ein, auf ihre schwarzen, schillernden Flügel. Dabei sind die goldenen Flügel der Schutzengel, oder die bunt schillernden der Musenengel oder auch die silbrigen meiner Art, nicht minder beeindruckend. Aber im Gegensatz zu uns anderen niederen Engeln, tragen sie ihre stets geöffnet. Damit die Seele des sterbenden Menschen sie sogleich als das erkennt, was sie sind. Ihr Geleit in das Leben nach dem Tod. Ich erinnere mich selbst nur dunkel an diesen Tag. Es war eine Frau, die mich holte. An mehr soll ich mich auch nicht erinnern, es würde den Frieden der Gemeinschaft doch recht stören, wenn neue Engel immer wissen würden, wer sie aus dem Leben geholt hat.

„Nate? Du tust es schon wieder!" Die nörgelnde Stimme meines besten Freundes holt mich aus meinen Gedanken. Er seufzt „Du denkst zu viel nach!" „Ich bin halt so" sage ich mit einem Schulterzucken. „Aber es ist schlimmer seit dem Vorfall. Man Nate! Du musst das echt hinter dir lassen. Es ist nun ein Jahr her. Du warst auf dem besten Weg, der jüngste Engel mit Zugang zuwerden. Du hättest deine Familie schon längst wieder sehen können..." Max stoppt, als meine Hand hochschießt. „Schnauze Max!" herrsche ich ihn an. Ich will nicht darüber reden. Will nicht erinnert werden an die Sache, die meine Karriere im Engelsreich ins Stocken geraten ließ. Will nicht daran denken, dass ich die Seelen meiner Eltern hätte wiedertreffen können nach der langen Trennung.

Gerade als Max den Mund öffnet - wahrscheinlich um mir gehörig Kontra zu geben - bricht die von uns zuvor beobachtete Gruppe in Gegröle aus, welches allenfalls in ein Fußballstadion passt, jedoch nicht in die ehrwürdige Halle der Engel. Ein weiterer Engel landet vor ihnen. Langes schwarzes Haar weht hinter ihm, als er seine Flügel pompös ausschüttelt und sich spielerisch vor den anderen verneigt.

Ich spüre wie sich mein Gesicht verzieht, als sein Blick meinen trifft, während er sich wieder aufrichtet. Ein maliziöses Grinsen erscheint auf seinem androgynen Gesicht. „Hallo Nathaniel..." er stolziert auf uns zu, natürlich nicht ohne seine Flügel dabei zu präsentieren. Sie schillern ganz besonders prächtig. „Und wieder einer mehr..." sagt er und automatisch schauen nicht nur Max und ich hinüber zur großen Tafel auf der die erfolgreichen Dienste eines jeden Engels vermerkt werden. Hinter seinem Namen prangt die größte Zahl. Deswegen schimmern und schillern seine Flügel besonders. Je besser wir die uns erteilte Aufgabe lösen, umso prächtiger erscheinen wir. „Glückwunsch! Wobei ich immer wieder sage, es erscheint mir grotesk dazu zu gratulieren, dass ein Mensch gestorben ist und seine Liebsten nun trauern." sage ich und verschränke meine Arme.

EngelsherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt