Kapitel 6 - Nate - "Dich gibt es nicht!"

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Manchmal verstehe ich die Menschen nicht. Partys konnten auch zu meiner Zeit wild und rebellisch sein, wir taten was wir wollten, wenn unsere Eltern es nicht mitbekamen. Doch heute unterstützen Eltern regelrechte Gelage. Die Massen an Alkohol die es hier gibt! Natürlich waren wir zu meiner Zeit, in dem Alter der anwesenden Studenten, auch schon oftmals viel reifer. Wir waren verlobt, arbeiteten oft schon Jahre, hatten eventuell schon Kinder. 

Das Verhalten der Menschen hier ist mir fremd und doch fasziniert es mich auf seltsame Weise. Ich sitze auf einer der hohen Gartenmauern des Anwesens und frage mich warum mein innerer Kompass mich heute hierher gebracht hat. Die Musik ist zum Glück nicht ganz so fremdartig wie diese seltsame elektrische Musik, die in den letzten Jahren zugenommen hat, und ich wippe ein wenig mit den Füßen. Ich spüre hier einiges an Zuneigung und Liebe, jedoch sind die Gefühle der Menschen gerade an Feiertagen nicht immer ganz real. Oftmals sind es die gesamte Atmosphäre und die Stimmung der gesammelten Anwesenden, welche die Gefühle anfeuern und ernster erscheinen lassen als sie es in Wahrheit sind.

Zudem ist der Valentinstag der Tag der Liebe. Natürlich sind an diesem Tag die Hormone der Menschen besonders eifrig. Eine leichte Anziehung wird gleich als wahre Liebe deklariert welche, nach einer meist nur sehr oberflächlichen Befriedigung und der Rückkehr des Alltages, schnell bei Seite geschoben wird. Oftmals wird auch die Schuld auf den konsumierten Alkohol oder die eigene Einsamkeit geschoben. Männer neigen dazu zu sagen, sie hätten es halt einfach 'nötig'  gehabt.

Der Valentinstag stellt für Paare oftmals eine große Belastung dar, weshalb ich von diesen Menschen auf dieser Party eine größere Anspannung wahrnehme. Feiertage sind generell eine Belastung für Paare, viele Trennungen passieren an Weihnachten und noch eher an Silvester. Instinktiv wissen Paare, welche nach diesen Tagen noch zusammen sind, wie wertvoll ihre Beziehung ist und möchten deshalb einen perfekten Valentinstag. Paare die nach Silvester (oder gar an Silvester) zueinander gefunden haben, glauben gar mit einem perfekten Valentinstag ein gutes Fundament zu legen. All dies ist natürlich albern. Eine gute Beziehung braucht immer das Bemühen beider Partner, jeden Tag, in jeder Situation. Ein schöner Valentinstag überspielt niemals die anderen Missstände, die es geben mag.

Ich könnte so manchem Menschen hier die Augen öffnen, jeden von ihnen erkennen lassen, ob sie etwas Wahres vor sich haben oder ob sie sich an etwas Falsches klammern. Doch dies ist nicht meine Aufgabe. Die Menschen besitzen ihren eigenen Willen und was heute als falsch erscheint, kann nach einem Stück gemeinsamen Weges sich durchaus in etwas Wahres wandeln. Ebenso kann das heutig Wahre, am Ende doch nur Enttäuschung und ein verletztes Herz bedeuten. Oder Schlimmeres.

Seufzend schüttele ich mich. Ich wünschte ich könnte meinen Geist ebenso wie die feiernden Menschen um mich herum betäuben. Einfach mal nicht denken, nicht fühlen.

Plötzlich lässt mich ein Gefühl, elektrisierend wieder Schlag eines Blitzes, aufsehen. Er erscheint mit einer Frau. Das Gefühl zwischen ihnen ist Liebe. Jedoch die warme, verspielte und endlos loyale Liebe von Geschwistern. Das muss Mel sein. Nachdem Andriel mich ratlos zurückließ, nachdem ich mich eine Weile in meinem Leid gesuhlt hatte, machte ich mich daran alles über Elias herauszufinden. Ich forderte viele Gefallen ein, die andere mir schuldig waren.

Elias ist ein Einzelkind. Seit einem Jahr sind seine Eltern tot. Gestorben bei einem tragischen Flugunfall. Seine beste Freundin Mel und er sind seit der High School unzertrennlich. Er lebt seine Homosexualität offen aus und hat sich stets gegen alle Vorurteile behauptet. Er hatte bis vor einen paar Monaten eine längere Beziehung mit einem Mann namens Jeremy, welcher es mit der Treue weniger genau nahm. Natürlich musste ich gleich überprüfen ob einer meine Kollegen diese Beziehung einst begleitet hat. Aber dem ist nicht so.

Das Geburtstagskind begrüßt nun beide und ich kann beobachten wie er einem anderen Mann vorgestellt wird. Die Augen des anderen Mannes bekunden eindeutig Interesse an Elias. Und Elias ist zumindest nicht ganz verschlossen, diesem Interesse gegenüber.

Sie verschwinden im Haus, nur um kurz darauf mit beladenen Tellern, auf den Stufen der Veranda Platz zu nehmen. Ihre Unterhaltung scheint flüssig. Ich nutze letztendlich mein Engelsgehör um ihre Worte zu verstehen. Ein Franzose also. Der eindeutig auf Elias steht. Man kann es ihm nicht verdenken, denn Elias ist einer dieser schönen Menschen, die ihre eigene Schönheit gar nicht erkennen. Der Franzose Henry dagegen ist jemand der eine ganze Weile im Bad verbringt, penibel darauf bedacht das Beste aus sich heraus zu holen. Dies ist aber ja durchaus keine schlechte Eigenschaft. Ich fühle dass da durchaus etwas entstehen kann. Klingt auch nicht schlecht. Elias und Henry. Henry und Elias. Hat was. Es hat nichts zu bedeuten für das Funktionieren einer Beziehung, aber ich mag es wenn Namen gut zueinander passen. Die Kombination ihrer Namen klingt  harmonisch und melodiös.

Als Henry nun aufsteht und seine Hand nach Elias ausstreckt, konzentriere ich mich auf Elias allein. „Trau dich!" flüstere ich ihm innerlich zu. Hoffe er ist offen für meine Stimme. Ich beobachte wie er seine Hand in Henrys legt und der Franzose beweist, dass er durchaus Potential zum Traummann hat mit der Art wie er sie beide herumführt. Sie tanzen ungeachtet der entzückten Blicke vieler weiblicher Gäste. (Warum nur himmeln Frauen oft männliche Paare an?)

Das leichte Knistern zwischen ihnen gibt mir Hoffnung, dass diese Aufgabe doch nicht ganz hoffnungslos ist. Ich werde vielleicht gar nicht viel mehr tun müssen, als Elias ein wenig Mut zu geben. Das sollte ich selbst mit meinen Zweifeln an meiner Fähigkeit schaffen. Ich betrachte sie eingehend, betrachte ihre Haltung, die Art wie sie sich miteinander bewegen, wie ihre Körper sich zu einander verhalten. Oh ja. Da ist Potential. Ich spüre das alte Kribbeln, welches mich immer erfüllte wenn ich eine potentielle Liebe erfasst habe.

Doch dann erschrecke ich, als Elias Augen sich weiten. Entsetzt starrt er mich an. Das heißt wohl tatsächlich er sieht mich immer. Ich halte seinen Blick, möchte nicht dass er glaubt er drehe durch.

Er flüstert Henry irgendetwas ins Ohr, dreht sich auf der Hacke um und stürmt davon. Henry schaut ihm irritiert nach und ich meine Enttäuschung in den Augen des Franzosen zu sehen. "Es liegt nicht an dir! Ihr seht euch wieder!"  flüstere ich Henrys Geist zu, bevor ich von der Mauer springe und Elias nachjage.

Außerhalb des Grundstückes sehe ich mich irritiert um. Kam er mit dem Auto? Was ist mit Mel? Erleichterung durchflutet mich als ich sein rotes Hemd an der Straße erspähe. Er telefoniert. „Mir egal wie lange das Taxi braucht...ich warte!" sagt er atemlos und jault dann auf als ich in seine Blickfeld trete. „Du brauchst echt Hilfe! Henry mag dich und du ziehst so eine Nummer ab!" entfährt es mir anstatt einer Begrüßung.

Elias Augen werden groß und rund. „Woher weißt du...fuck was für 'ne Art Einbildung bist du eigentlich? Gott ich brauche einen Therapeuten! Psychopharmaka! Sofort!" Er geht hin und her, knabbert dabei gestresst an seinem Daumennagel. „Ich bin keine Einbildung. Ich bin hier!"

Ein plötzliches Feuer glimmt in seinen Augen und er tritt auf mich zu. Greift nach mir und lacht irre auf, als er natürlich nichts zu fassen bekommt. Ich schaudere als seine Hand durch mich gleitet. „Siehst du? ES GIBT DICH NICHT! Begreife es doch bitte auch! Du bist nur eingebildet!" „Nein, hör' mir bitte zu. Es gibt eine Erklärung..." Versuche ich ihn zu beruhigen, doch sein Herz schlägt nur noch wilder als schließlich meine Hand seine berührt. Nur leicht und sanft. Und nicht wirklich. Ich weiß er spürt keine Wärme wie von einem anderen Menschen. Der Schleier zwischen uns, verhindert eine wirkliche Berührung. Aber zumindest kann ich ihn berühren, während er dies bei mir nicht kann. 

Wieder werden seine Augen groß. Und dann schließen sie sich, als sein überforderter Geist sich schließt und ihn aus der Situation befreit. Ich fluche leise und fange seinen Körper auf, bevor er den harten Straßenzement kennen lernt.

EngelsherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt